Lösen Hülsenfrüchte in der Schweiz bald die Viehwirtschaft ab?
Eine Gruppe von Landwirt:innen setzt auf Linsen und Kichererbsen als Teil der Lösung für den Klimawandel in der Schweiz. Diese Hülsenfrüchte sind trockenheitsresistent und reich an Proteinen. Doch ihr Anbau ist alles andere als einfach.
Angesichts der steigenden Durchschnittstemperaturen sind Hülsenfrüchte in der Schweiz auf dem Vormarsch: Heisse, trockene Sommer begünstigen Pflanzen wie Linsen, Kichererbsen und Lupinen, während wasserhungrige Kulturen wie Kartoffeln, Rüben oder Mais immer schlechtere Ernten liefern. Das führt auch zu höheren PreisenExterner Link für die Konsument:innen.
Weltweit zeichnet sich ein ähnlicher Trend ab: Die globale Produktion von Hülsenfrüchten ist zwischen 2000 und 2021 um rund 60 Prozent gestiegenExterner Link, selbst in Gebieten ausserhalb des globalen Südens, wo diese Nahrungsmittel eine längere Tradition haben.
Kanada betrachtet Hülsenfrüchte als «Lebensmittel der Zukunft» und hat deren Anbau seit 2015 massiv ausgeweitet, so dass es nach Indien zum zweitgrössten Produzenten der WeltExterner Link geworden ist.
In NordeuropaExterner Link wird sich der Anbau von Hülsenfrüchten aufgrund des Klimawandels günstiger entwickeln als im Süden. Länder wie Dänemark, die Niederlande und das Vereinigte Königreich sind Vorreiter bei der Umstellung.
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Auch in der Schweiz hat ein Teil der Landwirtschaft begonnen, auf Hülsenfrüchte zu setzen. «Sie machen sehr viel Sinn», sagt Stephan Gysi, während er uns seine Felder zeigt, die mit grünen Linsen und Kichererbsen bepflanzt sind.
Gysi arbeitet auf einem Biobetrieb im Zürcher Oberland und experimentiert mit verschiedenen Kulturen, darunter auch mit Hülsenfrüchten.
Der Biologe glaubt, dass diese Pflanzen, die wenig Wasser benötigen, ideal sind, um den Landwirt:innen bei der Bewältigung des Klimawandels zu helfen.
Durch den vermehrten Anbau von Hülsenfrüchten könnte der Eiweissbedarf der Schweiz gedeckt werden, der derzeit durch die Fleisch-, Milch- und Eierindustrie gedeckt wird, die grosse Mengen Kohlendioxid ausstossen.
Eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) zeigt, dass der Anbau von Hülsenfrüchten auf Flächen, die für Tierfutter verwendet werden, mehr Menschen pro Hektar ernähren und die Umweltkosten senken könnte. «Es gibt ein grosses ungenutztes Potenzial für den Anbau», heisst es in der Studie.
Hülsenfrüchte nähren den Boden und enthalten viel Eiweiss
Gysi zweifelt nicht am Potenzial der Hülsenfrüchte. Obwohl in seinem Betrieb erst seit zwei Jahren mit diesen Pflanzen gearbeitet wird, ist er sehr stolz auf seine Felder.
Die Linsensetzlinge haben den Winter überstanden und wachsen gut, weil sie sich an den langen, starken Stängeln der Gerstenähren festhalten, die sie stützen.
«Linsen haben einen dünnen Stängel. Es ist üblich, sie zusammen mit einer anderen, stärkeren Pflanze anzubauen», sagt Gysi. Die beiden Pflanzen helfen sich gegenseitig: Die Gerste ernährt sich von dem Stickstoff, den die Linsen aus der Luft aufnehmen und an den Boden abgeben.
Auf diese Weise düngen die Hülsenfrüchte den Boden auf natürliche Weise und verringern die durch chemische Düngemittel verursachten CO2-Emissionen.
Gysi nennt dies ein «Geschenk des Himmels» für landwirtschaftliche Betriebe, die keinen Kunstdünger verwenden können, wie etwa Biobetriebe. «Hülsenfrüchte düngen den Boden und bereiten ihn auf die nächste Aussaat vor», sagt er.
Linsen sind ausserdem frostbeständig, so dass sie bereits im Herbst ausgesät werden können. Dadurch, so Gysi, können sie besser mit dem Unkraut konkurrieren, das normalerweise im Frühjahr zu wachsen beginnt.
Im Juli kann er sie ernten und für rund 15 bis 20 Franken pro Kilo verkaufen. Verglichen mit 5 bis 10 Franken für importierte Bio-Linsen ist es ein hoher Preis für die Konsument:innen.
Aber Fleisch ist deutlich teurer bei einer vergleichbaren Proteinzufuhr. Hundert Gramm rohe Linsen enthalten etwa 22 Gramm Proteine, Rindfleisch rund 20 Gramm. Werden die pflanzlichen Proteine richtig kombiniert, ist auch die Verwertbarkeit für den Körper nahezu identisch.
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Kichererbsen und Lupinen sind in der Schweiz schwieriger anzubauen
Linsen gehören zu den Hülsenfrüchten, die in der Schweiz am einfachsten anzubauen sind, sagt Gysi. Braune Linsen, so genannte Berglinsen, waren schon beliebt, bevor die intensive Fleischproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg Einzug hielt.
Anders sieht es bei Kichererbsen und Lupinen aus. Diese Kulturen sind neu in der Schweiz, und in den letzten 20 Jahren haben sich nur wenige Betriebe auf dieses unerforschte Terrain gewagt.
Das beginnt sich nun zu ändern. Der Hof Rinderbrunnen, auf dem Gysi arbeitet, hat kleine Parzellen für den Versuchsanbau verschiedener Kichererbsensorten reserviert, um die für den Schweizer Boden und das Klima am besten geeigneten Sorten zu finden und die besten Anbautechniken zu ermitteln. «Wir sind nah dran», sagt Gysi.
«Die Leute wollen keinen grauen Hummus essen»
Schwarze Kichererbsen gehören zu den vielversprechendsten Sorten, die in den letzten zwei Jahren identifiziert wurden, aber sie sind wegen ihrer dunklen Farbe bei den Konsument:innen nicht sehr beliebt.
«Die Leute wollen keinen grauen Hummus essen, auch wenn er gleich schmeckt», sagt Sebastian Kussmann, Hülsenfruchtzüchter bei der Gzpk, einer nicht-kommerziellen Organisation für Pflanzenentwicklung.
Kussmann erklärt, dass schwarze Kichererbsen eine bessere Resistenz gegen Pilze aufweisen. Ein Vorteil für Betriebe, die auf den Einsatz von Pestiziden verzichten wollen.
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Bei Lupinen, einer im gesamten Mittelmeerraum verbreiteten Hülsenfrucht, kommt zu der Suche nach den richtigen Sorten eine Reihe weiterer Probleme hinzu.
Der Boden muss einen niedrigen Kalziumkarbonatgehalt aufweisen, um eine Krankheit namens Chlorose zu vermeiden, die zu vorzeitigem Blattausfall führt.
Ausserdem können Lupinen aufgrund von Alkaloiden, den Abwehrstoffen der Pflanze, die ab einer bestimmten Dosis für Mensch und Tier giftig sind, sehr bitter schmecken.
«Wir versuchen, Sorten auszuwählen, die süsser sind und weniger Alkaloide enthalten, aber das ist nicht so einfach», sagt Christine Arncken.
Die Schwierigkeit bestehe darin, Sorten zu finden, die einen geringen Alkaloidgehalt aufweisen und gleichzeitig resistent sind gegen Pilzkrankheiten, die in der Schweiz aufgrund des feuchten Klimas häufig auftreten, erklärt die Agronomin und Lupinenexpertin am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL).
Klima und Ernte stellen eine Herausforderung dar
Ein weiteres Problem für die Hülsenfrüchte ist das unsichere Frühlingswetter in diesem Jahr, bei dem sich sehr heisse Tage mit Kälte und Regen abwechseln.
Die Kichererbsen, die Gysi auf dem Betrieb anbaut und die eigentlich im Juni hätten blühen sollen, sind zwei Wochen zu spät dran. Die plötzliche Kälte und die starken Regenfälle im April nach der Aussaat haben die Keimung verzögert.
«Normalerweise hatten wir im Frühjahr ein sicheres Zeitfenster für die Aussaat. Aber mit dem Klimawandel wird es immer schwieriger», sagt Hülsenfruchtzüchter Kussmann.
Deshalb ist es unmöglich, den Landwirt:innen nur eine Art von Hülsenfrüchten zu empfehlen. «In einem Jahr brauchen wir Pflanzen, die Trockenheit und Hitze vertragen, in einem anderen Jahr Wasser und Kälte», sagt Kussmann, für den Vielfalt die einzige Lösung ist.
Eine der grössten Herausforderungen im Anbau von Hülsenfrüchten ist die Ernte. Die von den Pflanzen produzierten Samen liegen oft zu tief, als dass sie Dreschmaschinen ernten könnten. Manchmal bleibe die Hälfte der Ernte auf dem Feld liegen, sagt der Biologe Gysi.
Um alles zu ernten, sind mehrere Arbeitsgänge erforderlich, wie das Abschneiden der Pflanzen und der anschliessende Durchgang durch den Mähdrescher.
Nach der Ernte müssen die Linsen und andere Spezialkulturen innerhalb weniger Stunden getrocknet und von Verunreinigungen befreit werden.
Das Trocknen ist ein Vorgang, den Gysi als «kritisch» bezeichnet, um das Gemüse zu konservieren und nicht die gesamte Ernte zu verlieren.
Aber in der Schweiz sind die meisten Trocknungsanlagen für Ernten von mehr als fünf Tonnen ausgelegt. «Wenn wir Glück haben, kommen wir auf vier Tonnen», sagt Gysi.
Kann man die Konsument:innen überzeugen?
Betriebe, die sich entschliessen, von sicheren und gängigen Monokulturen wie Mais und Weizen auf Hülsenfrüchte umzusteigen, sind immer noch rar gesät.
Gysi räumt ein, dass es schwierig sein wird, die Mentalität von Landwirt:innen zu ändern, die den Anbau von Hülsenfrüchten für zu riskant halten.
«Die meisten Landwirt:innen tun gerne, was sie schon immer getan haben, und die Konsument:innen essen gerne, was sie schon immer gegessen haben», sagt er. Untersuchungen haben bestätigt, dass es den meisten Menschen schwerfällt, Fleisch durch Hülsenfrüchte zu ersetzen.
Und wenn sie sich doch dafür entscheiden, bevorzugen sie leicht zu kochende verarbeitete Produkte wie rote Linsen (die nichts anderes als geschälte braune Linsen sind) oder Fleischersatzprodukte, die oft auf Erbsen basieren.
Die dafür benötigten Rohstoffe kommen jedoch selten aus der Schweiz, weil die Verarbeitungskosten zu hoch sind.
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«Die Preise, die wir anbieten können, sind im Vergleich zu unserer ausländischen Konkurrenz sehr hoch, weil unsere Produktion klein und daher manchmal ineffizient ist», sagt Melanie Rediger, Marketingexpertin für Hülsenfrüchte bei der Biogenossenschaft Biofarm.
Kooperation soll Durchbruch bringen
Gysi lässt sich nicht entmutigen. Vor einigen Monaten hat er geholfen, ein Genossenschaftsprojekt für SpezialkulturenExterner Link in seiner Region zu starten.
Dadurch können sich Landwirt:innen und Züchter:innen vernetzen und Wissen und Technik für die Ernte und Trocknung von Hülsenfrüchten austauschen. Gysi und seine Mitarbeitenden setzen auf den Direktverkauf, um mit den Kund:innen in Kontakt zu treten.
«Wir müssen weniger Fleisch und mehr pflanzliches Eiweiss essen, und Hülsenfrüchte sind reich daran», sagt Gysi. Trotz der bevorstehenden Herausforderungen ist er überzeugt, dass «Hülsenfrüchte in jeder Hinsicht sinnvoll sind».
Editiert von Sabrina Weiss und Veronica De Vore, Übertragung aus dem Italienischen: Marc Leutenegger
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