Nestlé, das Geschäft mit dem Wasser und die Kritik
Wie glaubwürdig sind die sozialen und ökologischen Bekenntnisse des Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé? Diese Frage bringt der Dokumentarfilm "Bottled Life" wieder aufs Tapet, indem er ein Schlaglicht auf das Geschäft des Multis mit Trinkwasser wirft.
«Bottled Life» des Filmemachers Urs Schnell und des Journalisten Res Gehriger hat an den vor wenigen Tagen zu Ende gegangenen Solothurner Filmtagen eine heisse Debatte lanciert. Thema: Der Zugang zu Trinkwasser, dessen Privatisierung sowie kommerzielle Nutzung durch den Weltkonzern
Noch bevor das Werk in den Kinos zu sehen sein wird, werfen Kritiker den Machern vor, sich einseitig auf ein Unternehmen einzuschiessen, das für hohe Qualität bekannt sei.
Für die Mehrheit der Stimmen aber steht fest, dass Wasser von privaten Unternehmen nicht in ein kommerzielles Produkt verwandelt werden dürfe.
«Bottled Life» untersucht die Situation in den USA, genauer im Bundesstaat Maine, Pakistan und Nigeria. Dort macht das Schweizer Unternehmen Geschäfte mit günstigem Wasser, das privatisiert, in Flaschen abgefüllt und in Ladenregalen verkauft wird. In Entwicklungsländern kommen die Wasserflaschen unter der Marke «Pure Life» auf den Markt. Dort haben sie sich innert zehn Jahren als Nummer 1 etabliert.
«In Europa war praktisch nie die Rede vom Widerstand in den USA gegen das Unternehmen Nestlé, auf das viele Schweizer stolz sind», sagt Urs Schnell gegenüber swissinfo.ch.
Das Problem, wie er es im Film formuliert: Nestlé erzielt exorbitante Profite, indem es Wasser demineralisiert, mit Mineralsalzen nach eigener Rezeptur künstlich anreichert und dann in Flaschen abfüllt. In den USA haben es Bürgerbewegungen in den letzten zwei Jahren geschafft, Nestlé aus möglichen Pumpgebieten fernzuhalten.
Wenn der Strahl versiegt
1998 war «Pure Life» erstmals auf dem Pilotmarkt Pakistan getestet worden. Dies war kein Zufall, hat sich doch der dortige Grundwasserspiegel drastisch abgesenkt. 70% der Süsswasserreserven flössen in die Landwirtschaft, 20% in die Industrie, während für die Haushalte 10% verblieben, heisst es in einem Nestlé-Papier.
Der Konzern würde lediglich 0,005% der weltweiten Süsswasservorkommen beanspruchen, die Unternehmenseinheit Nestlé Waters ihrerseits nur 0,0009%. Man gehe verantwortungsvoll mit der Ressource Wasser um. Es entspreche nicht dem langfristigen Geschäftsinteresse, die Wasservorräte, die Nestlé kommerziell nutze, schlecht zu verwalten, schreibt das Unternehmen.
Der Brasilianer Franklin Frederick ist für seinen Kampf für freien Trinkwasserzugang bereits mehrfach ausgezeichnet worden. In São Lourenço im Bundesstaat Minas Gerais stellte sich Frederick gegen einen Produktionsbetrieb von «Pure Life», bei dem Nestlé Wasser aus einer örtlichen Quelle bezog.
«Wir waren erfolgreich», berichtet er. «Die Quelle ist zwar immer noch im Besitz von Nestlé, aber das Unternehmen pumpt kein Wasser mehr ins Werk, die Produktion von ‹Pure Life› ist dort eingstellt.»
Nestlé seinerseits weist auf die Vielzahl internationaler Gremien hin, innerhalb derer sich der Konzern für den Schutz der weltweiten Wasserreserven einsetzt. Dieses Engagement strich am letzten Samstag am Weltwirtschaftsforum in Davos (WEF) auch Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck hervor.
Nestlé sei unter anderem Gründungsmitglied des Ceo Water Mandate (CWM) des Globalen Paktes der UNO. Innerhalb der «Initiative für eine nachhaltige Landwirtschaft» (Sustainable Agriculture Initiative, SAI) präsidiere das Unternehmen zudem die Arbeitsgruppe Wasser und Landwirtschaft.
Soziale Verbesserungen nicht messbar
Nestlé erarbeitete auch das Konzept des «Creating Shared Value», nachdem nicht nur die Aktionäre vom erwirtschafteten Konzerngewinn profitieren sollen, sondern auch die Produzenten und Bewohner in jenen Länder, wo sie arbeiten.
Nichtregierungs-Organisationen wie die Erklärung von Bern (EvB) haben genau hingeschaut, ob lokale Bevölkerungen tatsächlich an den Profiten partizipieren könnten. Dies insbesondere in den Märkten Kakao und Kaffee.
«Die Löhne der Produzenten sind nicht gestiegen», sagt Flurina Doppler vom Fachbereich Konsum der EvB. Sie anerkennt aber, dass die Bauern eine technische Ausbildung erhielten oder neue Pflanzen, die eine bessere Ernte ermöglichten. «Die Programme von Nestlé zielen in erster Linie auf die Sicherstellung der Versorgung ab. Sie tragen aber nicht zur Stabilisierung oder Verbesserung der Einkommen der Produzenten bei», sagt Flurina Doppler.
Teilweises Einlenken
Was das Geschäft mit dem privatisierten Wasser betrifft, ärgert sich die EvB-Mitarbeiterin: «0,0009%, das ist die Zahl, die Nestlé in dieser Diskussion gerne ins Feld führt! Aber man weiss nicht, auf was sie sich bezieht. Ist es lediglich das Wasser, das in die Flaschen gefüllt wird, oder gehört dazu auch jenes, das für die Herstellung verwendet wird? Die Zahlen sind viel zu ungenau.»
Michel Egger, Leiter des Westschweizer Büros von Alliance Sud, der gemeinsamen entwicklungspolitischen Lobbyorganisation der sechs grossen Schweizer Hilfswerke, gesteht dem Konzern ein Einlenken zu, zumindest teilweise: «Wir haben mit Nestlé während fünf Jahren einen Dialog über Kolumbien geführt. Zu Beginn lehnte der Konzern jegliche Kritik ab. Doch die Gespräche, die auf gegenseitigem Vertrauen aufbauten, führten zu Veränderungen. Nestlé hat bestimmte Korrekturen akzeptiert.»
Bleibt anzumerken, dass Nestlé darauf verzichtet hat, Fragen der Macher von «Bottled Life» zu beantworten. «Wie man gegenwärtig auch beim Zivilprozess wegen der Infiltrierung der NGO Attac sieht, gibt es die arrogante Nestlé, die Kritik zurückweist und von oben herab auf die NGO schaut, immer noch», so Egger.
«Doch man kann die Unternehmenskultur einer solchen Mega-Gruppe nicht von einem Tag auf den anderen verändern. Nestlé muss jetzt beweisen, dass die Dynamik der Öffnung, die wir im Dialog über Kolumbien beobachtet haben, nicht nur eine Ausnahme war.»
«Wie verwandelt man Wasser in Geld? Es gibt eine Firma, die das Rezept genau kennt: Nestlé. Dieser Konzern dominiert den globalen Handel mit abgepacktem Trinkwasser.» So präsentieren der Regisseur Urs Schnell und der Journalist Res Gehriger ihren Dokumentarfilm.
Der Film beleuchtet die Aktivitäten von Nestlé in den USA (Marke «Poland Spring»), in Pakistan und Nigeria (Marke «Pure Life») im Detail. Er kritisiert, dass Nestlé in vielen Ländern Wasser billig fördert und dieses mit grossem Profit in Flaschen abgefüllt verkauft.
Nestlé hat auf die Vorwürfe der Filmemacher nicht reagiert. «Wir haben uns entschieden, nicht mitzumachen, denn wir hatten den starken Eindruck, der Film sei einseitig und stelle das Unternehmen und seine Mitarbeitenden nicht gerecht dar», schreibt der Pressedienst des Konzerns.
Nestlé erklärt weiter, «das Nestlé-Wasser wurde zuerst 1998 in Pakistan lanciert, als Getränk zu erschwinglichem Preis für Familien mit mittleren Einkommen, die ein gesundes Wasser in einem praktischen Format suchten, das einen stabilen Geschmack aufweist und von der Qualitätsgarantie von Nestlé profitiert».
Im 20. Jahrhundert hat sich die Weltbevölkerung verdreifacht, der Wasserverbrauch jedoch ist um das Sechsfache angestiegen. Bis 2030 wird ein weiterer Anstieg des Wasserverbrauchs von 30% erwartet.
Jede Person in der Schweiz verbraucht im Haushalt täglich im Schnitt 160 Liter. Ein Bewohner der Sahelzone benutzt während der Dürrezeit 5 Liter.
Um 1 kg Rindfleisch zu produzieren, braucht es 16’000 l Wasser, für 1 kg Getreide 1500 l, für 1 kg Reis 5000 l, für die Herstellung eines Autos 400’000 l, für ein Paar Lederschuhe 8000 l und für ein T-Shirt aus Baumwolle 2000 Liter.
Laut dem Deza-Magazin Eine Welt, aus dem diese Zahlen stammen, erlaubt ein neuer «Wasser-Fussabdruck», basierend auf virtuellen Ein- und Ausfuhren von Wasser, den Vergleich von Produkten, Individuen, Städten, Unternehmen und Ländern untereinander.
Für die Schweiz beläuft sich dieser laut Eine Welt auf 1682 m3 pro Bewohner und Jahr, ganze 79% davon kommen aus dem Ausland.
Ende Juli 2010 hat die Generalversammlung der UNO eine Resolution verabschiedet, in der sie erklärte, das Recht auf sauberes, gesundes Trinkwasser sei «ein Grundrecht».
(Übertragen aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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