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Schweizer Gletscher bergen vergängliche Schätze: Plastikfresser-Bakterien und Bakterienfresser

Gletscher und Gletschersee
Der Rhonegletscher in den Schweizer Alpen hat seit 1850 rund 60% seines Volumens verloren. SWI swissinfo.ch / Luigi Jorio

Die globale Erwärmung führt dazu, dass die Alpengletscher immer stärker schmelzen. Dadurch werden weitgehend unbekannte Bakterien und Viren in die Umwelt freigesetzt. Diese Mikroorganismen könnten helfen, einige der grossen globalen Probleme zu lösen, von der Plastikverschmutzung bis zur Antibiotikaresistenz. Ein Forschungsteam untersucht sie erstmals in Schweizer Gletschern.

Der Weg zum Gletscher wird plötzlich anspruchsvoller. Der einfache, ebene Weg entlang des Gletschersees ist einem Hang aus Geröll und grossen Felsblöcken gewichen.

Vorsichtig bewegen wir uns auf dem instabilen Untergrund, den das vom Berg herabfliessende Wasser noch rutschiger gemacht hat. Ab und zu hört man aus der Ferne das Geräusch von schweren Felsbrocken, die den Hang hinunterrollen. «Das ist schrecklich», sagt Beat Frey.

Wir stehen vor dem Rhonegletscher in den Schweizer Alpen, in einem Gebiet, das noch vor rund 15 Jahren von einer dicken Eisschicht bedecktExterner Link war.

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Beat Frey, Mitarbeiter der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), stellt fest, dass sich seit seinem letzten Besuch vor rund zehn Monaten eine neue Querspalte an der Stirn des Gletschers aufgetan hat. Der weisse Riese wird bald ein weiteres Stück verlieren.

«Nicht nur der Gletscher verschwindet, sondern auch die Organismen, die er beherbergt», sagt Frey. «Der Verlust dieses biologischen Erbes beraubt uns grundlegender Erkenntnisse darüber, wie sich das Leben an extreme Bedingungen wie Kälte anpasst.»

Wegen der globalen Erwärmung schrumpfen die Gletscher weltweit mit alarmierender Geschwindigkeit. Ihr Abschmelzen lässt den Meeresspiegel ansteigen und verringert in einigen Regionen der Welt die Verfügbarkeit von Wasser.

Laut einer aktuellen Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Vrije Universiteit Brussel, BelgienExterner Link, werden die mehr als 200’000 Gletscher der Erde (ohne die Gletscher in Grönland und der Antarktis) im optimistischsten Szenario mit niedrigen Emissionen bis zum Jahr 2100 bis zu 29% ihres Volumens verlieren. In einem Szenario mit hohen Emissionen könnte dieser Anteil bei bis zu 54% liegen.

Die Gletscher in den Alpen gehören zu den am stärksten gefährdeten und könnten bis zum Ende des Jahrhunderts verschwinden. Die rund 1400 Gletscher in der Schweiz haben zwischen 1931 und 2016 die Hälfte ihres Volumens verloren und zwischen 2016 und 2021 weitere 12%.

Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr zum Schutz der GletscherExterner Link erklärt. Ziel ist es, das Bewusstsein für die fundamentale Rolle von Gletschern, Schnee und Eis im Klimasystem zu schärfen.

Tausende unbekannte Mikroorganismen in Eis und Boden

Frey gehört zu den ersten Forschenden, die in alpinen Gletschern und im Permafrost, dem Dauerfrostboden, nach Lebewesen suchen. Vor einigen Jahren leitete er ein Pionierprojekt zur Untersuchung von Organismen, die im Permafrost der Alpen und der Arktis lebenExterner Link.

Die anfängliche Annahme, das Gletscherökosystem sei aufgrund der niedrigen Temperaturen und des Mangels an Licht und Nährstoffen für Leben ungeeignet, erwies sich schnell als falsch.

Ein Mann mit Rucksack am Rücken
Beat Frey ist Mikrobiologe an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). SWI swissinfo.ch / Luigi Jorio

«Das war eine Überraschung, ich hatte nicht mit einer so grossen Artenvielfalt gerechnet. Im Eis und im Permafrost findet man immer etwas Neues», sagt Frey.

Die Untersuchungen im Permafrost der Bündner Alpen führten zur Identifizierung von zehn neuen Bakterienarten und einer neuen Pilzart.

Auch in anderen kalten Regionen der Erde werden interessante Entdeckungen gemacht. So haben chinesische Forschende kürzlich im Eis des tibetischen Hochplateaus mehr als 10’000 Virenarten identifiziertExterner Link.

Mikroorganismen, die Jahrhunderte oder Jahrtausende im Eis eingeschlossen waren, werden nun durch die Klimaerwärmung in die Umwelt freigesetzt.

Die meisten dieser Bakterien, Viren, Pilze und mikroskopisch kleinen Algen sind der Wissenschaft noch unbekannt, was Frey fasziniert.

«Im Permafrost und im Eis gibt es Tausende von Mikroorganismen, aber wir wissen nicht, von welcher Art sie sind und was sie tun», sagt er.

Ziel ist es, die mikrobielle Biodiversität der Schweizer Alpen zu dokumentieren, bevor sie verschwindet. Ein neues ProjektExterner Link konzentriert sich erstmals auf Gletscher, genauer gesagt auf die Gletscher Morteratsch (Graubünden), Rhone (Wallis) und Tsanfleuron (Wallis und Waadt).

Diese Gletscher liegen entlang der Ost-West-Achse der Schweiz und sind repräsentativ für den mikrobiologischen Reichtum der alpinen Gletschermilieus.

Neue Medikamente aus Bakterien und Viren im Eis

Mikroorganismen gehören zu den ältesten Lebewesen der Erde. Und jene, die in Gletschern gefunden werden, können wertvolle Informationen über die Klimaentwicklung liefern.

«Sie sind einzigartige Zeugen vergangener Klimaveränderungen», schreibt John Priscu von der Montana State University in den USAExterner Link in einer E-Mail an SWI swissinfo.ch. Er ist eine der weltweit führenden Fachpersonen für mikrobielle Biodiversität in Gletscherökosystemen.

Die Analyse der mikrobiellen Gemeinschaften im Eis kann beispielsweise Veränderungen der Temperatur, der Feuchtigkeit und der atmosphärischen Strömungen aufzeigen.

Im Eis eingeschlossene Bakterien können das starke Treibhausgas Methan produzieren und das Klima der Erde beeinflussen.

Diese winzigen, nur wenige tausendstel Millimeter grossen Organismen könnten aber auch eine vielversprechende Quelle für die Entwicklung neuer Medikamente und innovativer Biotechnologien sein.

Einige könnten sich im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime als nützlich erweisen. Besonders vielversprechend ist die jüngste Entdeckung von Bakterien und Pilzen, die Kunststoffe bei niedrigen Temperaturen abbauen könnenExterner Link.

«Unsere langfristige Vision ist, eine Lösung für einige globale Probleme zu finden», sagt Frey und holt seine Steigeisen aus dem Rucksack.

Wir sind am unteren Ende des Gletschers angekommen. Ein paar hundert Meter weiter oben haben Forschende der WSL ihre Geräte aufgestellt, um Mikroorganismen aus dem Eis zu sammeln.

Sie testen eine neue Filtermethode, die in der Schweiz entwickelt wurde und auch in anderen Regionen der Welt eingesetzt werden könnte. Wir ziehen unsere Steigeisen über die Schuhe und machen uns auf den Weg über die Eisfläche.

Ein Mann läuft einem Gletscher entlang
SWI swissinfo.ch / Luigi Jorio

Der Rhonegletscher, Paradebeispiel für schmelzende Alpengletscher

«Der Schnee ist fast vollständig verschwunden», stellt Frey fest, während wir uns auf dem Gletscher vorwärtsbewegen. Die hohen Sommertemperaturen haben den Schnee weggeschmolzen, der im letzten Winter und im späten Frühling reichlich gefallen ist.

An diesem Tag Ende August beträgt die Temperatur auf rund 2300 m ü. M. 14 Grad Celsius. Das Augustmittel für den Zeitraum 1991-2020 liegt bei 10°CExterner Link.

Der Rhonegletscher ist noch rund acht Kilometer lang und bedeckt eine Fläche von etwa 15 km2. Er ist einer der grössten und bekanntesten Gletscher der Schweizer Alpen und die Quelle der Rhone, einem der wichtigsten Flüsse Westeuropas.

Der Gletscher ist aber auch eines der symbolträchtigsten Beispiele für die Auswirkungen der Klimaerwärmung. Seine Eishöhle, eine Tourismusattraktion in der Region, ist heute vom Rest des Gletschers abgetrennt und muss im Sommer mit weissen Geotextilien bedeckt werden.

Diese reflektieren die Sonnenstrahlen und verlangsamen das Abschmelzen des Eises, können aber das unausweichliche Ende nicht verhindern.

Geotextilien werden zunehmend eingesetzt, um Alpengletscher vor dem Abschmelzen zu schützen. Aber sind sie auch wirksam? Dieser Artikel klärt auf:

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Schutzplanen auf dem Rhonegletscher im Wallis.

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Eine Decke hält die Gletscher kühl

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Um alpine Gletscher vor dem Abschmelzen zu schützen, werden zunehmend Schutzdecken eingesetzt. Hilft das wirklich?

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Der Rhonegletscher und andere Schweizer Gletscher haben seit 1850 mehr als 60% ihres Volumens verloren. Die Abschmelzung von 2,5% zwischen 2023 und 2024 liegt über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre.

Wenn die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahren nicht drastisch reduziert werden, könnten die meisten Alpengletscher bis zum Ende des Jahrhunderts verschwunden sein, wie zahlreiche Studien zeigenExterner Link.

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Einfacher als hundert Kilo Eis

Wir sind unterdessen an der Sammelstelle für die Mikroorganismen aus dem Eis angekommen. «Wie viele Liter haben wir?», fragt Frey die bereits Anwesenden.

Ein Mann mit Latexhandschuhen verschliesst durchsichtige Plastiksäcke mit Wasser. WSL-Mitarbeiter Beat Stierli hat Schmelzwasser aus einem kleinen natürlichen Gletscherbecken in den Gletscher gepumpt.

«Die Konzentration an Bakterien und Viren ist sehr gering. Wir müssen sehr viel Wasser pumpen, um überhaupt etwas zu bekommen», sagt Stierli.

Das Wasser wird in Containern gesammelt, denn es muss zweimal gefiltert werden: Im ersten Filter bleiben die Bakterien und Pilze hängen, also die grösseren Mikroorganismen, im zweiten, feinmaschigeren, die Viren.

Bakterien und Viren im Eis: Das folgende Video zeigt, wie Mikroorganismen im Gletscher gesammelt werden und warum es wichtig ist, sie zu erhalten:

Auf die Frage, warum er das Schmelzwasser nicht wie in anderen Projekten üblichExterner Link direkt an der Gletschersohle sammeln lässt, sagt Frey, diese Proben könnten durch Partikel oder Mikroorganismen «kontaminiert» sein, die durch Regenwasser oder andere externe Faktoren eingetragen werden.

Das Filtern von Wasser direkt auf dem Gletscher erfordert besondere Vorsichtsmassnahmen. Die Forschenden müssen Schutzhandschuhe tragen, um Kontaminationen zu verhindern, und die Filter in sterilen Behältern aufbewahren.

Die neue Methode hat jedoch einen klaren Vorteil gegenüber der herkömmlichen, bei der Bohrkerne entnommen und die Eisblöcke ins Labor gebracht werden.

«Es ist einfacher, Plastikbehälter mit Filtern zu transportieren als hundert Kilo Eis auf einmal», sagt Frey.

Diese innovative Methode sei die beste Lösung, um Gletscher in entlegenen Gebieten zu untersuchen, zum Beispiel in Grönland und anderen Regionen der Arktis.

Eine Pumpe in einem Gletscherloch
Mit einer Pumpe wird das Gletscherschmelzwasser gefiltert. SWI swissinfo.ch / Luigi Jorio

Tieferes Risiko, Krankheitserreger in Gletschern zu finden

Beat Frey hofft, Mikroorganismen mit nützlichen Eigenschaften für den Menschen zu finden. Die noch rätselhafte Welt des Gletschermikrobioms könnte aber auch unerwünschte und potenziell gefährliche Lebewesen beherbergen.

Einige Forschende warnenExterner Link davor, dass Viren, die seit Jahrtausenden im Permafrostboden der Arktis in Sibirien eingefroren sind, durch die globale Erwärmung «aufwachen» und sich wieder ausbreiten könnten.

Im Jahr 2020 wurden in Umweltproben auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen (Svalbard) in der Arktis Bakterien gefundenExterner Link, die Krankheiten verursachen können.

+ Lesen Sie dazu unseren Hintergrundartikel

Als er vor rund 15 Jahren begann, den Permafrost zu erforschen, sei er mit grösster Vorsicht vorgegangen, erinnert sich Frey. Bis heute habe er aber nie Organismen gefunden, die Anlass zur Sorge gegeben hätten.

Die Wahrscheinlichkeit, dass auftauendes Eis oder alpiner Permafrost Krankheitserreger freisetze, sei «extrem gering», sagt er.

Die Mikroorganismen im Eis haben sich an die Kälte angepasst und könnten unter milderen Bedingungen kaum überleben.

Sie könnten zwar andere Organismen wie Algen oder Amöben infizieren, die in der Nähe des Gletschers leben, aber Menschen und Tiere gehören nicht zu ihren üblichen Wirten.

Dieses Risiko sei zwar gering, könne aber nicht völlig ausgeschlossen werden, da es sich um unbekannte Mikroorganismen handle, sagt Arwyn Edwards, Direktor des Interdisziplinären Forschungszentrums für Umweltmikrobiologie an der Universität AberystwythExterner Link in Wales, das nicht am Schweizer Projekt beteiligt ist.

Edwards hält jedoch das Gegenteil für plausibler. «In Gletschern könnte es Mikroorganismen geben, die für die menschliche Gesundheit nützlich sind.»

Zwei Männer mit Gletscherwasser in Plastiksäcken.
Beat Stierli von der WSL (links) sammelt Gletscherwasser in Plastiksäcken. SWI swissinfo.ch / Luigi Jorio
Ein Wasserfilter
Der Filter fängt Mikroorganismen im Schmelzwasser des Gletschers ab. SWI swissinfo.ch / Luigi Jorio

600 Liter Schmelzwasser in drei Tagen

Am Nachmittag haben die Wolken den Himmel fast vollständig bedeckt und werfen einen langen Schatten auf den Gletscher. Ein kalter Wind erinnert uns daran, dass sich die Verhältnisse in den Bergen schlagartig ändern können.

Frey ist zufrieden. Rund 200 Liter Schmelzwasser haben seine Mitarbeitenden heute abgepumpt. Insgesamt konnten sie in den drei Tagen auf dem Rhonegletscher fast 600 Liter Wasser filtern. Ein Teil des bedrohten mikrobiologischen Schatzes der Alpen ist erhalten geblieben.

Es ist jedoch noch zu früh, um zu sagen, ob die Forschenden potenziell nützliche Bakterien oder Viren gesammelt haben. Zuerst müssen diese identifiziert und ihre Eigenschaften im Labor untersucht werden.

Weisse Geotextilbahnen auf einem Gletscher
Weisse Geotextilbahnen schützen die Eishöhle vor der Sonnenstrahlung. SWI swissinfo.ch / Luigi Jorio

Mehrere hundert Viren auf den Filtern

«Es wird jetzt ein bisschen kalt», warnt Benedikt Gruntz. Die Feldarbeit auf dem Gletscher liegt schon ein paar Wochen zurück, und obwohl wir jetzt drinnen sind, ist es hier nur vier Grad. Wesentlich kälter als es zur Zeit unseres Besuchs auf dem Rhonegletscher war.

Gruntz hat gerade die Tür zu einem Kühlraum geöffnet. Wir sind am Hauptsitz der WSL in Birmensdorf bei Zürich, und der junge Forscher analysiert Proben, die er im Sommer gesammelt hat.

Er interessiert sich für Viren. Im Reagenzglas, das er soeben in den Kühlraum gestellt hat, befinden sich solche, die er aus dem Schmelzwasser des Gletschers gefiltert hat.

Um herauszufinden, um welches Virus es sich handelt, muss Gruntz die DNA extrahieren. Dann schickt er das Erbgut an ein externes Unternehmen, das auf DNA-Sequenzierung spezialisiert ist.

Diese Technik ermöglicht es, den genetischen Code zu entschlüsseln und damit Mikroorganismen zu identifizieren und zu klassifizieren. Das WSL-Forschungsteam rechnet mit mehreren hundert Viren.

Viren gegen antibiotikaresistente Bakterien

Gruntz will vor allem Bakteriophagen (oder Phagen) untersuchen. Diese Viren infizieren ausschliesslich Bakterien und sind somit Regulatoren mikrobieller Populationen.

Phagen aus extremen Lebensräumen wie Gletschern und Permafrostböden könnten zur Behandlung von bakteriellen Infektionen beim Menschen eingesetzt werden, die auf herkömmliche Antibiotika nicht mehr ansprechen.

+ Eine Waffe gegen Super-Keime kommt aus dem Rhein

Antibiotikaresistenzen sind weltweit auf dem Vormarsch und jedes Jahr für mehr als 1,2 Millionen Todesfälle verantwortlichExterner Link, mehr als HIV oder Malaria. Die Weltgesundheitsorganisation sieht in der Antibiotikaresistenz eine grosse Bedrohung für die globale Gesundheit.

Der Einsatz von Phagen in der Medizin ist noch ungewohnt, aber vielversprechend. Im Jahr 2023 setzte das Universitätsspital Genf erstmals Phagen zur Behandlung eines Patienten ein, der an einer chronischen bakteriellen Lungeninfektion littExterner Link – mit positivem Ergebnis.

Das folgende Video veranschaulicht, wie ein Bakteriophage ein Bakterium infiziert und vernichtet:

Externer Inhalt

Biobank zur Konservierung von Permafrost- und Gletscherbakterien

Bakterien und Pilze, die auf Gletschern und im Permafrost der Schweiz gesammelt wurden, werden in einem speziellen Tiefkühlschrank im Keller der WSL aufbewahrt. Diese BiobankExterner Link, eine Art «lebendes Archiv», konserviert die Mikroorganismen bei minus 80 Grad Celsius.

Sie enthält derzeit etwa 1200 Bakterien- und 300 Pilzarten. Einige stammen auch aus Grönland, Russland und von Spitzbergen in Norwegen.

Die WSL-Biobank dürfte weltweit die Einzige sein, die Bakterien und Pilze aus kalten Umgebungen enthält, sagt deren Leiterin Anja Werz.

Wir besuchten die WSL, um mehr über die Bedeutung dieser einzigartigen Biobank zu erfahren:

Potenzielle Kandidaten für neue Medikamente

Ziel des Projekts ist nicht nur, die mikrobielle Artenvielfalt von Gletschern und Permafrostböden zu erhalten, sondern auch deren Eigenschaften zu erforschen.

Die Bakterien könnten neue Moleküle mit krebshemmenden, antibiotischen oder antioxidativen Eigenschaften produzieren, sagt Werz.

Die WSL-Forschenden interessieren sich vor allem für Proteine und Enzyme, die den Bakterien das Überleben in kalter Umgebung ermöglichen.

Einige davon könnten nützlich sein, um Antibiotikaresistenzen zu bekämpfen, sagt Frey. «Das wäre eine grosse Entdeckung.»

Unter den in der Biobank gelagerten Mikroorganismen hat die Schweizer Forschungsgruppe bereits mögliche Kandidaten identifiziert. Als wichtige Quelle von Antibiotika bekannt sind beispielsweise Bakterien der Gattung Streptomyces.

Plastikfressende Bakterien

Zu den jüngsten und revolutionären Entdeckungen gehören einige Bakterien, die in den Bündner Alpen und in der Arktis isoliert wurden.

Diese sind in der Lage, zwei Arten von Kunststoffen bereits bei 15 °C abzubauen: Polyurethan und Polybutylenadipat-Terephthalat. Diese kommen unter anderem in Haushaltsschwämmen, Turnschuhen und biologisch abbaubaren Plastiksäcken vor.

Bakterien unter einem Mikroskop
Bakterien der Gattung Pseudogymnoascus sind in alpinen, arktischen und antarktischen Regionen weit verbreitet. Sie sind möglicherweise in der Lage, Kunststoffe wie Polyester abzubauen. Rahel Oberhummer

Die Enzyme dieser Bakterien könnten in einem Bioreaktor genutzt werden, um Kunststoffe abzubauen. In diesem tankähnlichen Gerät werden die Mikroorganismen eingesetzt, um die chemischen Bindungen des Kunststoffs aufzubrechen und ihn in kleinere, leichter zu rezyklierende Moleküle umzuwandeln.

Enzyme, die bei niedrigen Temperaturen aktiv sind, könnten auch dazu beitragen, den Energieverbrauch bestimmter industrieller Prozesse zu senken, sagt Frey. «Sie wären sehr nützlich in einer Zeit, in der wir Lösungen brauchen, die sehr wenig Energie verbrauchen.»

«Wir sind nur Mikrobiologinnen und Mikrobiologen»

Die WSL-Forschenden wollen nun ihre in der Biobank gelagerten Proben analysieren und screenen. Sie wollen verstehen, welche von ihnen in der Lage sind, die Polymere abzubauen, aus denen Kunststoffe bestehen.

Der nächste Schritt ist, die verantwortlichen Enzyme zu identifizieren. «Dann können wir sie im Labor synthetisieren und im grossen Massstab herstellen», sagt Frey.

Eines Tages könnten diese Enzyme direkt bei der Herstellung in den Kunststoff eingebaut werden, was dessen Abbau erleichtern würde.

Doch bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. «Wir sind nur Mikrobiologinnen und -biologen. Wir können die Grundlagen liefern, aber dann müssen andere nachziehen, zum Beispiel die Industrie», sagt er.

In Zukunft soll die Biobank mit den Eis- und Permafrostbakterien in die «Culture Collection of Switzerland» (CCOS) überführt werden, das nationale Archiv des Bundes für Mikroorganismen. Dort kann sie für die nächsten Jahrzehnte sicher aufbewahrt werden.

Die Gletscher in der Schweiz und weltweit schmelzen unaufhörlich weiter. Eine Abkehr von der Nutzung fossiler Energieträger ist nicht in Sicht.

Doch wenn diese Eismassen Lösungen für die anderen grossen Krisen unseres Planeten bieten können, war ihr Abschmelzen nicht umsonst.

Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

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