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Wie wir unsere Städte bei Hitzewellen kühl halten können

Ein Mann liegt an einem Brunnen
In der rumänischen Hauptstadt Bukarest erreichten die Temperaturen in diesem Sommer 42 °C. AP Photo / Alexandru Dobre

Städte heizen sich in Hitzeperioden stärker auf als ihr Umland. Wie können wir urbane Hitzeinseln bekämpfen und den Sommer für die Menschen in Städten erträglicher machen? Ein Experte zeigt mögliche Wege auf.

Über 40 Grad Celsius in Barcelona, 42 Grad in Bukarest und Spitzenwerte von 43 Grad Celsius im süditalienischen Foggia. Die Hitzewelle, die Ende Juli und Anfang August über Teile Europas hinwegzog, trieb die Temperaturen weit über die in der Vergangenheit gemessenen Durchschnittswerte.

Auch Teile der Schweiz waren von der Hitzewelle betroffen. Die Stadt Lugano im Südtessin erlebte laut Meteo SchweizExterner Link die längste Hitzeperiode seit 160 Jahren.

Die Hitze und ihren negativen Auswirkungen auf die Menschen sind in Städten besonders gross. Asphalt- und Betonflächen absorbieren die Sonnenenergie, heizen sich auf und speichern die hohen Temperaturen des Tages.

Zusätzlich trägt die Abwärme von Fahrzeugen und Industrieanlagen in Verbindung mit fehlenden Grünflächen und schlechter Belüftung zur Bildung von städtischen Wärmeinseln bei.

Die Folge: In der Stadt kann es um mehrere Grad wärmer werden als im Umland. Nachts ist der Unterschied noch ausgeprägter, da die Städte langsamer abkühlen als das Land. In den Ballungszentren der Schweiz kann es nachts 5 bis 7 Grad wärmerExterner Link sein als ausserhalb.

Extreme Hitze ist nicht nur unangenehm. Sie kann auch zu Hitzeerschöpfung führen und bereits bestehende Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen verstärken.

In Hitzeinseln in Schweizer Städten sterben an einem Hitzetag 26% mehr Menschen als in anderen, relativ kühleren Stadtgebieten, wie eine aktuelle Studie zeigtExterner Link.

Hitzeinseln haben auch finanzielle Folgen: Die Gesundheitskosten in Europa sind vergleichbar mit denen der LuftverschmutzungExterner Link.

Leider gebe es kein Wundermittel gegen extreme Hitze in der Stadt, sagt Jan Carmeliet, Professor für BauphysikExterner Link an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und Experte für Stadtklima und Hitzewellen. «Aber man kann etwas dagegen tun.»

SWI swissinfo.ch: Sie arbeiten in Zürich, der grössten Stadt der Schweiz. Wie kommen Sie mit der Hitze dort zurecht?

Jan Carmeliet: Mein Büro befindet sich in einem Neubau mit viel Glas. Es ist nach Süden ausgerichtet, und trotz der Sonnenschutzvorrichtungen wird es während der Hitzewelle zu heiss. Dann arbeite ich von zu Hause aus.

Oft ist den Menschen nicht bewusst, dass auch die äussere Umgebung die Temperatur in Gebäuden beeinflusst. Zum Beispiel können Bäume um ein Gebäude herum die Innentemperatur senken.

Asphalt, Beton und andere traditionelle Baumaterialien speichern Wärme. Welche Alternativen gibt es für den Bau von Gebäuden und Strassen, um die Auswirkungen von Wärmeinseln zu verringern?

Asphalt lässt das Wasser nicht in den Untergrund versickern. Eine Alternative sind poröse und wasserdurchlässige Beläge. Das Regenwasser wird aufgefangen und verdunstet, wodurch die Umgebungstemperatur sinkt.

Diese Beläge eignen sich für Fussgängerzonen, nicht aber für stark befahrene Strassen. Der Ersatz von Beton in Städten ist schwieriger. Die Begrünung von Fassaden und Dächern wirkt sich positiv auf das städtische Mikroklima und die Biodiversität aus.

Weiss gestrichene oder mit reflektierenden Materialien verkleidete Dächer kühlen die Stadt effektiver als begrünte Dächer und Strassenbegrünung, so eine aktuelle Studie aus LondonExterner Link. Sollen wir unsere Städte weiss anstreichen?

Weisse Dächer sind eine gute Lösung, nicht zuletzt, weil sie auch zu weniger Kühlbedarf im Gebäudeinneren führen. Um einen spürbaren Effekt auf das Stadtklima zu erzielen, müsste allerdings rund die Hälfte aller Dächer weiss gestrichen werden.

Das ist in einer Stadt wie Zürich mit ihren vielen historischen Gebäuden kaum machbar. Weisse Dächer würde ich in Industriegebieten oder auf grossen Supermärkten sehen.

Und die Strassen? Los Angeles hat 2018 als erste Stadt einige Strassen weiss gestrichen. Ähnliche Projekte in der Schweiz haben gezeigt, dass die Temperatur von Strassenoberflächen deutlich gesenkt werden kann.

Frischer Asphalt ist schwarz, er absorbiert daher mehr Sonneneinstrahlung und speichert mehr Wärme. Mit der Zeit wird der Asphalt grau und nimmt weniger Wärme auf. Unter dem Strich ist das gar nicht so schlecht.

Alle Strassen weiss zu streichen, ist wegen der Blendwirkung keine Lösung: An einem sonnigen Tag besteht die Gefahr, dass Verkehrsteilnehmende geblendet werden, wenn es zu viele weisse Flächen gibt.

Ausserdem gibt es einen ästhetischen Aspekt: Weiss wird schnell schmutzig, und die Menschen mögen keine schmutzigen Strassen.

Das Dorf Santorin in Griechenland
Die weissen Dächer von Santorin in Griechenland tragen dazu bei, die im Sommer aufgestaute Hitze abzuleiten. Martin Child

Viele Städte weltweit und auch in der Schweiz pflanzen Bäume und schaffen Grünflächen im öffentlichen Raum. Reicht es aus, mehr Bäume zu pflanzen, um städtischen Hitzeinseln entgegenzuwirken?

Bäume spenden Schatten und wirken lokal kühlend. Sie können die gefühlte Temperatur um bis zu 6 Grad senken.

Der Effekt hängt von der Art, der Grösse und dem Alter der Bäume ab. Am wirksamsten sind grosse Laubbäume mit dichtem Blattwerk und einem ausgedehnten Wurzelsystem.

Bäume können aber auch das Gegenteil bewirken. Sie können Luftströme blockieren und die Wärmeabgabe in der Nacht einschränken, wenn sich unser Körper von der Hitze des Tages erholen muss.

Die Anpflanzung von Bäumen kann in einem bestimmten Gebiet vorteilhaft sein, aber den Wärmekomfort in benachbarten Stadtteilen beeinträchtigen. Stadtplanende müssen daher den Kontext berücksichtigen, in dem ein Baum gepflanzt wird.

Grosse Bäume in Ventilationsschneisen, etwa in der Mitte von Boulevards, sollten vermieden werden. Auch die klimatischen Rahmenbedingungen sind von Bedeutung: In Städten mit feucht-heissem Klima haben Bäume einen geringeren Kühleffekt.

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Sprechen wir über die Schweiz. Im Sommer wird die Europaallee, eines der neuen Wohnquartiere in Zürich, zum Glutofen. Bei der Planung wurde das Problem der Hitzewellen vernachlässigtExterner Link. Ist das ein Einzelfall? Oder tun die Schweizer Städte zu wenig gegen Hitzeinseln?

Ich weiss nicht, was in diesem konkreten Fall passiert ist. Es werden immer noch viele Fehler gemacht. Rund um den Prime Tower [das zweithöchste Gebäude der Schweiz im Zentrum von Zürich, Anm. der Red.] gibt es zu viel Asphalt. Man hat nicht an den Aussenraum gedacht.

Aber sowohl in Zürich als auch in anderen Schweizer Städten sehe ich den Willen zum Handeln. Das Bewusstsein wächst, und ich würde sagen, wir sind auf dem richtigen Weg. Wenn auch zu langsam.

Wir haben Modelle entwickelt, die mit einer Auflösung von zehn Zentimetern das Stadtklima über einen Sommer hinweg simulieren können, inklusive verschiedener Hitzewellen.

Gemeinden können diese Simulationen nutzen, um den thermischen Komfort eines Stadtviertels zu bewerten und Massnahmen zum Schutz vor Hitze zu planen. Diese Modelle sind jedoch sehr datenintensiv.

Eine Betonstrasse ohne Bäume zwischen Hochhäusern
Die Europaallee ist ein Quartier in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs, dessen Bau im Jahr 2020 abgeschlossen wurde. Keystone / Christian Beutler

Die Durchschnittstemperatur in der Schweiz könnte bis Ende des Jahrhunderts um mehr als vier Grad steigen – stärker als der globale Trend. Wie müssen sich Städte hierzulande anpassen?

In erster Linie müssen sie Hitzeinseln reduzieren. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Bäume, wasserdurchlässige Strassenbeläge und Belüftungsschneisen durch die Stadt sind wirksame Massnahmen zur Wärmeregulierung, wenn sie richtig umgesetzt werden.

Wichtig sind begrünte Strassen oder Verbindungswege, in denen sich die Menschen bewegen können und in denen ein gutes thermisches Klima herrscht. Im Gegensatz dazu können breite Strassen ohne Bäume zu unangenehmen Heissluftschneisen für Fussgängerinnen und Fussgänger werden.

Die Städte müssen auch Anpassungsstrategien entwickeln. Anpassung an die Hitze bedeutet, eine umfassende Hitzereaktionsplanung umzusetzen, Hitzewellen zu überwachen und die Bevölkerung für das richtige Verhalten zu sensibilisieren.

Braucht es auch in der Schweiz Kühlzentren, in denen die Bevölkerung der extremen Hitze für ein paar Stunden entfliehen kann?

Die Schweizer Städte sind nicht so dicht besiedelt, aber Kühlzentren wären sehr nützlich, besonders für ältere und hitzeempfindliche Menschen.

Die Behörden könnten klimatisierte Räume in Sportzentren zur Verfügung stellen. Diese müssen natürlich gut erreichbar sein. In dieser Hinsicht verfügt die Schweiz über ein ausgezeichnetes Netz klimatisierter öffentlicher Verkehrsmittel.

Männer spielen Billard n einem kühlen Raum
In Kühlzentren (hier eines in New York City) können Menschen einige Stunden vor der extremen Hitze geschützt verbringen. AP Photo / Andres Kudacki

Welche Pionierstädte gibt es in der Welt, von denen sich Gemeinden in der Schweiz inspirieren lassen können?

Von Wien und Montreal bis Singapur und Sydney ergreifen viele Städte Massnahmen. Aber es gibt keine einheitlichen, nachahmenswerten Lösungen gegen die städtische Erwärmung. Was an einem Ort funktioniert, kann an einem anderen Ort weniger effizient sein.

Wo sollen Bäume gepflanzt werden? Welche Fassaden sollen begrünt werden? Wo sollen die höchsten Gebäude entstehen? Die Behörden müssen in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, Stadtplanenden und der Bevölkerung den richtigen Mix an Gegenmassnahmen finden. Jede Stadt braucht ihre eigene Lösung.

Auf diese Weise und vor allem durch die Eindämmung des Klimawandels durch die Verringerung der Treibhausgasemissionen können wir die Temperaturen in den Städten senken und sie lebenswerter machen.

Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

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