Zürich nutzt wegweisende Sensoren, um sein Klimaziel zu erreichen

Um den Fortschritt beim CO₂-Abbau genau zu erfassen, reichen traditionelle Berechnungsmethoden nicht aus. Deshalb geht Zürich im Rahmen eines europäischen Pilotprojekts neue Wege. Die Erkenntnisse könnten nicht nur für Zürich, sondern für Städte in ganz Europa wegweisend sein.
Um den «CO₂-Fussabdruck» einer Stadt zu berechnen, werden traditionell Schätzungen der Treibhausgasemissionen vorgenommen, die auf freiwilligen Daten von Industrie, Verkehrsbehörden und Energieunternehmen beruhen. Diese wichtigen Messungen sind jedoch mit einer hohen Fehlerquote behaftet, da sie unvollständig oder überbewertet sein können.
Die jüngsten offiziellen Zahlen für ZürichExterner Link zeigen einen Ausstoss von 2,4 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten im Jahr 2022 – ein Rückgang von 37% gegenüber 2012. Doch diese Werte sind nur grobe Schätzungen – sie erlauben keine präzise Beurteilung der Emissionsreduktionen oder der Wirksamkeit von Klimaschutzmassnahmen.
Gleichzeitig wächst das Klimabewusstsein in der Bevölkerung. Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden – Zürich will dies bereits zehn Jahre früher erreichen. Im Jahr 2022 sprachen sich 75% der Stadtbevölkerung für das Netto-Null-Ziel bis 2040Externer Link aus, in den zentralen Quartieren waren es sogar 80 bis 85%.
Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, brauche es aber zuverlässige und genaue Daten, sagt Lukas Emmenegger, Leiter des Labors für Luftschadstoffe und Umwelttechnik an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa).
«Zürich zählt derzeit alle Autos und Heizsysteme und multipliziert diese mit Emissionsfaktoren, um eine Bottom-up-Emissionsbilanz zu erstellen. Unser Ansatz hingegen basiert auf Beobachtung: Wir schauen uns die Atmosphäre und die CO₂-Konzentrationen in der Stadt an und kombinieren diese mit Modellen, um eine unabhängige Schätzung der Emissionen zu erhalten», erklärt er gegenüber SWI swissinfo.ch.
Aufbau eines Messnetzes
Seit vier Jahren ist Zürich zusammen mit München und Paris Teil des ICOS Cities-ProjektsExterner Link. Wissenschaftler:innen testen an den drei Standorten neue Methoden zur Treibhausgasmessung und entwickeln Computermodelle, um lokale Emissionen zu analysieren. Sie versuchen unter anderem herauszufinden, woher das CO₂ in städtischen Gebieten stammt – ob vom Verkehr, von Heizungen, natürlichen Quellen oder anderen – und welchen Einfluss Faktoren wie Wind, Wälder oder Parks darauf haben.

Jede Stadt hat ihr eigenes Messkonzept, das sich an der jeweiligen Topografie orientiert. Zürich stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Die Stadt liegt zwischen zwei bewaldeten Hügeln und dem Zürichsee, was zu schwer vorhersagbaren Luftströmungen führt und Treibhausgase schnell von ihrer Quelle wegtransportiert. Das Projekt setzt deshalb auf eine Kombination verschiedener Messmethoden.
Dazu hat die Empa ein dichtes Netz von Messgeräten installiert. An 60 Standorten wurden kleine, kostengünstige Sensoren an Strassenlaternen und Bäumen angebracht, während teurere, hochpräzise Geräte an Mobilfunkantennen befestigt wurden. Zusätzlich wurde ein grosser Messturm mit einem so genannten Eddy-Kovarianz-Sensor auf einem Hochhaus in Hardau im Herzen der Stadt errichtet, um die Emissionen genau zu lokalisieren.
Um die Emissionswerte präzise vergleichen zu können, wurden zusätzlich Hintergrundmessungen durchgeführt – an drei Messstationen ausserhalb der Stadt sowie auf dem Jungfraujoch im Berner Oberland.
Im topografisch flachen Paris haben die Forschenden die Instrumente entsprechend der Windrichtung aufgestellt und nutzen den «Ballon Generali» in der Nähe des Eiffelturms, um CO₂-Konzentrationen bis in 300 Meter Höhe zu messen.
Natürliche vs. menschengemachte Emissionen
Die Wälder und Grünflächen in und um Zürich nehmen täglich grosse Mengen CO₂ auf und geben sie wieder ab.
«Je nach Jahreszeit sind die biogenen Aktivitäten selbst in einer Stadt wie Zürich sehr intensiv», sagt Lukas Emmenegger.
Wissenschaftler:innen der Universität Basel arbeiten mit der Empa zusammen, um diese natürlichen Schwankungen zu untersuchen. Sie messen unter anderem die Bodenfeuchtigkeit und den Saftfluss in ausgewählten Bäumen städtischer Parks – ein Indikator dafür, wie viel CO₂ die Pflanzen durch Photosynthese aufnehmen.

Mehr
Warum der CO2-Fussabdruck der Schweiz grösser ist als allgemein angenommen
Eine der grössten Herausforderungen in der CO₂-Messung bleibt die Unterscheidung zwischen vom Menschen verursachten (anthropogenen) Emissionen und solchen aus natürlichen Kreisläufen.
«Die anthropogenen Emissionen liegen in einer ähnlichen Grössenordnung wie die biogenen, weshalb sie schwierig zu trennen sind», erklärt Emmenegger.
In aufwändigen Simulationen werden die CO₂-Flüsse von Bäumen, Gräsern, landwirtschaftlichen Flächen und sogar der menschlichen Atmung rekonstruiert – letztere wird auf rund 10% der Gesamtemissionen geschätzt.
Modellierung
Nach zwei Jahren CO₂-Messungen arbeitet das Empa-Team nun daran, die gesammelten Daten in hochauflösende Modelle zu integrieren. Das Pilotprojekt läuft offiziell bis Dezember 2025, dann sollen die endgültigen Berichte und Ergebnisse veröffentlicht werden. Doch schon jetzt zeigen die ersten Auswertungen der Zürcher Wissenschaftler:innen vielversprechende Ergebnisse.
«Wir wissen, dass all diese Methoden erhebliche Unsicherheiten enthalten, aber die [verschiedenen Modellierungs-]Ergebnisse liegen sehr nah beieinander. Das gibt uns Vertrauen, dass es sich um wirklich nützliche Informationen handelt», sagt Dominik Brunner, leitender Wissenschaftler bei der Empa.
Mit ihrem beobachtungsbasierten Ansatz konnten die Forschenden eine signifikante Reduktion der CO₂-Emissionen im Winter 2022/23 präzise messen und modellieren. In diesem Zeitraum senkte Zürich seinen Energieverbrauch deutlich – eine Folge der Energiekrise in Europa.
Besonders überraschend: Die Ergebnisse zweier Modelle deuten darauf hin, dass die bisherige Methode zur Berechnung der CO₂-Emissionen die jährlichen Werte möglicherweise um rund 20% überschätzt.
Langfristig könnten die heute noch ausschliesslich zu Forschungszwecken genutzten Messstationen mehr Transparenz schaffen und es Politik und Öffentlichkeit ermöglichen, die Emissionsentwicklung genauer zu verfolgen – und zu beurteilen, ob die Stadt auf Kurs ist, sagen die Empa-Wissenschaftler:innen.
«Wenn wir diese CO₂-Messungen weiterführen, können wir dann den Weg zu Netto-Null bis 2040 genau verfolgen? Ja, das halten wir für möglich», sagt Brunner.
Ob die Messungen nach dem Ende des Pilotprojekts weitergeführt werden, liegt letztlich in der Hand der Stadtverwaltung.

Wie geht es weiter?
Anke Poiger, Leiterin der Kommunikationsabteilung des Zürcher Umwelt- und Gesundheitsdepartements, sagt, die Beamt:innen seien begeistert von der Möglichkeit, die beiden unterschiedlichen Methoden der CO2-Überwachung zu vergleichen.
«Wir hoffen, dass uns dies Informationen zur Genauigkeit unserer Berechnungen sowie zu möglichen Abweichungen liefert. Die Methode des ICOS Cities-Projekts erlaubt zudem eine detailliertere räumliche und zeitliche Analyse, was für uns sehr spannend ist», sagte sie gegenüber SWI swissinfo.ch. Gleichzeitig prüften die Behörden gemeinsam mit der Empa, «ob das bestehende Messnetz weitergeführt werden kann».
Dominik Brunner ist optimistischer: «Sie sind daran interessiert, das System über das Ende des ICOS-Städteprojekts hinaus zu unterstützen. Aber wir müssen die Details mit ihnen besprechen. Wir sind sehr optimistisch, dass es zumindest für einige Jahre mit dieser Messinfrastruktur weitergehen kann, aber nicht mit der gesamten Infrastruktur.»

Mehr
Schweizer Forschende machen Satelliten zu Fiebermessern des Planeten
Die in Zürich getesteten Methoden unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Investitions- und Betriebskosten. Die laufenden Kosten für die Infrastruktur dürften aber nur einige hunderttausend Franken pro Jahr betragen, schätzt Lukas Emmenegger.
«Vergleicht man das mit den vielen Millionen, die tatsächlich für die Beseitigung von CO₂ ausgegeben werden, ist das nicht viel», fügt er hinzu.
Nach 2025 werden 12 weitere europäische Städte, darunter Basel in der Schweiz, die dem ICOS Cities NetworkExterner Link beigetreten sind, die in Zürich, Paris und München erprobten Überwachungstechniken und -dienste testen.
«Wir planen, Dienstleistungen zu entwickeln, um Städte bei der Einrichtung und dem Betrieb eines städtischen Netzwerks zur Überwachung von Treibhausgasen zu beraten», sagte Werner Kutsch, Generaldirektor von ICOS ERICExterner Link, gegenüber SWI.
«Jede Stadt ist anders. Sie unterscheiden sich in Grösse, Lage, Klima und natürlich in ihren Treibhausgasemissionen, der politischen Führung und den Ambitionen ihrer Klimaziele. Jede der Städte im Netzwerk führt eigene Forschungen zu urbanen Emissionen durch, die mit dem Projekt verknüpft sind. Auf diese Weise schaffen wir ein grosses europäisches Forschungsnetzwerk.»
Editiert von Balz Rigendinger; Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger / me

Mehr
Newsletter

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch