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Knallbunte Bilder vom Horror einer Teenager-Schwangerschaft

Keystone-SDA

In ihrer Graphic Novel "Bauchlandung" erzählt Wanda Dufner von der Hexenjagd, die sie als Minderjährige mit Kind im Bauch erlebt hat. Dass sie heute so stark ist, dürfte anderen Betroffenen Mut machen. Aber das Buch erschreckt auch.

(Keystone-SDA) Da ist dieses Bild vom Scheiterhaufen. Fünf Mädchen, mit einem Seil zum Bündel geschnürt, stehen obendrauf. Männer und fabelähnliche Mensch-Tier-Wesen zünden mit Fackeln den Haufen an, andere fuchteln mit Heugabeln, einem Speer oder werfen Steine auf die jungen Frauen. «Die haben ihre Tage!», rufen sie, «die Hexen!» Rot und gelb züngeln die Flammen in den violetten Himmel. Und über allem steht in handschriftlichen Grossbuchstaben der Kommentar der 17-jährigen Erzählerin Noemi: «Das Frausein und alles, was damit zu tun hatte, auch die nun vorhandene Fruchtbarkeit, waren mir zutiefst peinlich!»

Es sind diese ganzseitigen, drastischen Bilder, welche die Graphic Novel «Bauchlandung» der 33-jährigen Aargauer Illustratorin Wanda Dufner auszeichnen. Im Wechselspiel von Comic-Sequenzen in Kästchen, doppelseitigen Panels und monochromen Farbseiten erzählen sie, was Mädchen hierzulande so erleben, wenn sie Frauen werden. Das ist schockierend altbekannt, und beim ersten Durchblättern des Buches fragt sich die Leserin: Hat sich denn nichts geändert, auch für diese Generation nicht?

Mit der Schweiz verbunden

Aktuelles Thema Abtreibungsverbot

An der Schwelle vom Kind zur Frau ergeht es vielen Teenagern wie Noemi. Erstmals erleben sie, dass ihr weiblicher Körper nicht ihnen allein gehört, sondern rundum begafft, beurteilt und bewertet wird. Dass andere ihn besitzen, über ihn bestimmen wollen. Dass der Frauenkörper auch ein Schlachtfeld der Ideologien ist, insbesondere im Fall einer Schwangerschaft. Das Abtreibungsverbot, das aktuell vielerorts diskutiert wird oder bereits wieder eingeführt ist, zeigt, dass weibliche Selbstbestimmung auch im 21. Jahrhundert nicht selbstverständlich ist.

Besonders perfid: In Wanda Dufners autobiografischer Graphic Novel tritt das Abtreibungsverbot in Gestalt der lebenslustigen und liebevollen Grossmutter auf, die sehr religiös ist. Als Einzige freut sie sich darüber, dass ihre Enkelin das Kind behalten will, weil eine Abtreibung nicht gottgefällig wäre, und weil sie selber sich auf ein Urgrosskind freut. Echte Unterstützung bietet sie der allseits angefeindeten Noemi aber auch nicht. Nein, die Frauen kommen in diesem Buch nicht besser weg als die Männer. Auf dem Bild mit dem Scheiterhaufen stehen Frauen am Rand des Geschehens und sehen weg.

Tiersymbolik und starke Farben

In der zeichnerischen Darstellung ähnelt Protagonistin Noemi eindeutig ihrer Schöpferin, obwohl sie in bester Comic-Manier meist ins Groteske verzerrt ist. Interessant sind Noemis Haare: Gelb-schwarz gestreift erinnern sie an das Fell eines Tigers. Kein Kätzchen, ein Tiger, der in ihr steckt – wie sonst könnte sie die im Buch ungeschönt dargestellten Zumutungen überleben? Schmerzhaften Sex mit einem gefühlskalten Macho-Freund zum Beispiel, der sie im Schnitt viermal pro Woche verlässt und kaum Interesse am gemeinsamen Kind zeigt?

Dieser «Freund» ist dunkelhäutig und unerträglich selbstverliebt – um politische Korrektheit schert sich Zeichnerin Dufner keinen Deut. Der liebe Gott sieht aus wie ein Gotteskrieger, und auch für Mutter und Kind gibt es keine heilige Harmonie in gewohnt duftigen Pastelltönen. Stattdessen zeigt Dufner in knalligen Kontrastfarben, wie ein monströses Baby den Dammriss, den die Mutter bei der Geburt erlitten hat, mit sadistischem Grinsen näht.

Gleichzeitig strahlen diese Farben Kraft und Lebensfreude aus. Dass Wanda Dufner heute auch knallbunte Kleider entwirft und als Model in eigener Sache trägt, zeigt, dass ihr das Frausein nicht mehr peinlich ist, dass sie sich zeigt, dass sie gesehen werden will. Und sie wird gesehen: Für «Bauchlandung» erhielt sie 2021 das Comic-Stipendium der Deutschschweizer Städte, 2023 war sie für den Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung nominiert.

Das Studium der Visuellen Kommunikation mit Schwerpunkt Illustration Fiction hat sie in Luzern absolviert, ihr Atelier befindet sich heute in Lenzburg in der ehemaligen Wisa-Gloria-Fabrik. Einst wurde dort «das gute Spielzeug» hergestellt. Heute entwickelt Wanda Dufner vor Ort Workshops für Kinder. Ihr eigenes Kind ist inzwischen 16 Jahre alt..*

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*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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