«Drii Winter», ein Schweizer Film im Oscar-Rennen
Regisseur Michael Koch lässt sich von der Oscar-Kampagne für seinen neuen Film "Drii Winter" nicht aus der Ruhe bringen. Den Film überhaupt erst fertigzustellen, war die grosse Herausforderung.
Als der Schweizer Regisseur Michael Koch Anfang 2020 mit den Dreharbeiten zu seinem neuen Film begann, ahnte er nicht, dass dieser 2023 als Schweizer Beitrag in der Kategorie «Internationaler Spielfilm» bei den Academy Awards eingereicht werden würde. Damals trug der Film noch den internationalen Titel «Ein Stück Himmel».
Tatsächlich war seine Hauptsorge für einige Zeit, dass der Film überhaupt fertiggestellt werden kann. «Wir hatten zehn der geplanten 70 Drehtage hinter uns, als die Covid-19-Beschränkungen in Kraft traten», sagt der Luzerner Filmemacher gegenüber swissinfo.ch.
Da Teile des Films mit einem dokumentarischen Ansatz gedreht wurden, war die Zeit ein Problem. Koch und sein Team hatten geplant, das Leben der Menschen in den Urner Bergen in den Schweizer Alpen zu filmen. Weil aber einige von deren Aktivitäten saisonabhängig waren, hätte jede Verzögerung einen Rückschlag von zwei Jahren bedeutet.
Rückblickend sieht er einige Parallelen zwischen sich und der weiblichen Hauptrolle, der Postangestellten und Gastwirtin Anna: «Sie muss damit umgehen, dass man nicht alles kontrollieren kann. Das war auch unsere Erfahrung am Set», sagt er.
Andererseits beherrschte er die Elemente – geografisch und filmisch – sicherlich besser als sie. Anna muss zahlreiche Hindernisse überwinden, um die Beziehung zu ihrem Partner Marco aufrechtzuerhalten.
Nicht zuletzt sind es dessen psychische Probleme, die ihr Gefühl der Isolation, mitten im Nirgendwo zu leben, noch verstärken. Das ist der dramatische Kern des Films, eine fesselnde griechische Tragödie – komplett mit Chor –, die in den Schweizer Alpen spielt.
Festival- und Kino-Erfolg
Glücklicherweise konnten Koch und sein Team die Dreharbeiten nach einigen Monaten abschliessen, ohne dass ein einziger Corona-Fall aufgetreten war. In der Zwischenzeit hat sein Film viel Aufmerksamkeit bekommen. Er wurde in den Wettbewerb «The Films After Tomorrow» aufgenommen.
Diesen Wettbewerb hatte das Locarno Film Festival 2020 speziell für von der Pandemie betroffene Filme ausgeschrieben. «Drii Winter», wie der Film nun heisst, ist bereits der zweite Film aus dieser Reihe, der als Schweizer Oscar-Hoffnung ausgewählt wurde. Der erste war letztes Jahr «Olga» von Elie Grappe.
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Übt der Oscar-Faktor einen erhöhten Druck auf Koch aus, wenn er den Film auf Festivals präsentiert? «Ich spüre ihn nicht», sagt er. «Der Film ist immer noch derselbe, und ich fühle mich auch so. Für den Kinostart war es aber hilfreich. Wir sind am 1. September in der Deutschschweiz gestartet, und der Film läuft immer noch in den Kinos.»
Die Bekanntgabe der Auswahl während der Ausgabe 2022 des Festivals von Locarno Anfang August trug dazu bei, den Hype um den Film zu verstärken. In der Deutschschweiz haben ihn bereits mehr als 14’000 Personen gesehen.
Zum Vergleich: «Olga» beendete seinen landesweiten Kinostart laut Pro-Cinema-Statistik mit 14’106 Eintritten in der ganzen Schweiz. Ein weiterer Verleih von «Drii Winter» in der restlichen Schweiz ist für Anfang 2023 geplant.
«Drii Winter» hat einen sehr erfolgreichen Festivallauf hinter sich, beginnend mit seinem Debüt auf der Berlinale, wo er von der Jury unter der Leitung von M. Night Shyamalan eine «Lobende Erwähnung» erhielt.
Koch sprach mit uns aus dem belgischen Gent, bevor er im Rahmen der Europatournee des Films nach Wien reiste (nach unserem Gespräch wurde bekannt, dass das belgische Festival seinen «Georges-Delerue-Preis» für die beste Musik an «Drii Winter» verliehen hat).
Im November verbrachte er eine Woche in New York und Los Angeles, um vor den Mitgliedern der Academy für den Film zu werben. Er ist optimistisch, was die amerikanische Resonanz auf seinen Film angeht: «Wir hatten unsere US-Premiere auf dem Chicago Film Festival. Es lief sehr gut.»
Die Stärke des Films, sagt er, liegt in seiner universellen Anziehungskraft. Denn die Geschichte spielt in einem spezifischen Teil des Landes, in Anlehnung an das Zitat von Leo Tolstoi: «Wenn Du universell sein willst, erzähle von Deinem eigenen Dorf.» Koch sagt dazu: «Es ist kein klischiertes Bild der Schweiz.»
Der neue Titel
Da er mit dem ersten Titel des Films («Ein Stück Himmel») nicht zufrieden war, suchte er nach einem Titel, der besser zur Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren passt.
«Ich entschied mich für ‹Drii Winter›, die drei Winter, die sie zusammen verbracht haben, denn so zählen sie die Jahre in der Region. Wir haben den ersten Titel (‹A Piece of Sky›) für die englische Version beibehalten, weil ‹Three Winters› nicht sehr gut klang.»
Es ist eine komplett andere Produktion als sein erster Film, «Marija»Externer Link, ein kleines Drama über eine ukrainische Einwanderin, die in Deutschland schlecht bezahlte Jobs ausübt. Er ist grösser und kühner, aber auch persönlicher.
«Ich stamme nicht aus den Bergen», sagt Koch. «Aber als Kind habe ich die Sommer dort verbracht, und ich fahre auch heute noch dorthin, wenn ich Urlaub mache. Ich wandere und klettere gerne. Und ich wollte meine Beziehung zu dieser Landschaft vermitteln, die schön und einschüchternd zugleich ist.»
Wegen des Schauplatzes und der allgemeinen Tragik des Films wurden Vergleiche mit Fredi M. Murers «Höhenfeuer»Externer Link gezogen, einem der Meilensteine des Schweizer Kinos. Eine schmeichelhafte Referenz?
«Oh, da gibt es definitiv eine Verbindung», sagt der Regisseur. «Wir teilen vor allem das Interesse, die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion auszuloten. Aber ich hatte den Film nicht speziell im Kopf, als ich an ‹Drii Winter› arbeitete, und ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen.»
Allerdings hat er sich einige der aktuellen Deutschschweizer Filme angesehen, darunter Cyril Schäublins «Unrueh», ebenfalls ein Berlinale-Preisträger.
«Es war grossartig, dass wir beide dieses Jahr in Berlin ausgewählt wurden. Es gibt viel interessantes Material aus dem deutschsprachigen Teil des Landes. Ich denke, die Zukunft ist in dieser Hinsicht sehr vielversprechend», sagt Koch.
Editiert: Virginie Mangin. Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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