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13. Auflage des Filmfestivals «Visions du réel»

Ausschnitt aus dem Plakat des Festivals "Visions du réel". (vdr)

Mit rund 30 Filmbeiträgen trägt die Schweiz auch dieses Jahr viel zum Festival in Nyon bei. Bis Donnerstag läuft dort "Visions du réel".

Das Festival hat mit seinem Direktor Jean Perret auch die Aufgabe, die Tradition des Dokumentarfilms in der Schweiz zu bewahren.

Zur Zeit läuft das Schweizer Kino eher auf der Schiene «Fiction» : Erfundene Geschichten wie «Vitus» oder die «Die Herbstzeitlosen» haben viel Erfolg, und zwar beim Publikum wie auch den Kritikern.

Mit «Fiction» möchten die Schweizer Film-Behörden ihr rot-weisses Kino auch an den Mann bringen. Doch aufgepasst: Der Dok-Film ist präsent.

«Es gibt so viele Dokumentarfilme wie es in den vergangenen Jahren neue Filme in der Schweiz gab, vor allem in der Deutschschweiz», sagt Festival-Direktor Jean Perret.

«Wir in Nyon möchten allen und besonders den Bundesbehörden, mit denen wir uns bestens verstehen, zeigen, dass der Dokumentarfilm integraler Bestandteil des schweizerischen Filmschaffens ist.»

Im internationalen Wettbewerb stehen 20 Beiträge, wovon drei aus der Schweiz kommen. Am Donnerstagabend wird die Gewinnerliste bekannt gemacht. Mit den «Heimatklängen» von Stefan Schwietert wird das Festival eröffnet. In diesem Film wird über den traditionellen Gesang der Schweiz als Mittel der Emanzipation nachgedacht.

Die Sklaven und Gorée

«Retour à Gorée» heisst der Beitrag von Pierre-Yves Borgeaud. Sein Film sucht Zeugen der von den Sklaven eingeführten Musik, in Begleitung des bekannten senegalesischen Weltmusikers Youssou N’Dour.

«Lucie et maintenant» von Simone Fürbringer, Nicolas Humbert und Werner Penzel inspiriert sich an Julio Cortazar, dem argentinischen Surrealisten des 20. Jahrhunderts. Obschon krank, fährt dieser mit seiner Begleiterin in den Süden Frankreichs, wobei er an jeder Autobahn-Raststätte anhält.

Direktor Perret macht auf weitere Schweizer Produktionen in Nyon aufmerksam. So auf den jüngsten Beitrag von Richard Dindo, eine «Comédie humaine» voller Emotionen in einer Genfer Entbindungsstation.

Bei «Magic Radio» geht es um die Emanzipation im afrikanischen Staat Niger, die durch die lokalen Radioprogramme vermittelt wird. Beim Beitrag «Alain Tanner, pas comme ci comme ça» unterhölt sich der Altmeister des Schweizer Cinema mit dem jüngeren Pierre Maillard.

Enthüllungen um Michael Moore

In Nyon werden inklusive der Genres «Grosse Fragen der Zeit», «Ich-Kino», «Poesie und Erinnerungen» 137 Werke aus über 20 Ländern vorgeführt. «Uncovering Michael Moore» zum Beispiel enthüllt die Methoden des US-Regisseurs, der in Cannes ausgezeichnet worden war.

Auch der Franzose Alain Cavalier bietet mit seinem entrückt wirkenden Film «Lieux saints» 33 Minuten auf einem WC, laut Festivaldirektor Perret ein «äusserst lustiges und inspirierendes Werk».

Perret freut sich auch auf den Abend mit Clarisse Hahn: Eher in Galerien und Museen zu Hause, legt die Künstlerin diesmal ein Übergangswerk vor: In «Karina» filmt sie eine Freundin mit saodmasochistischen Neigungen.

Geschmack am Authentischen

«In diesem Meer des Audiovisuellen, in dem wir schwimmen und manchmal auch untergehen, braucht es die Wiederentdeckung des Authentischen», sagt Perret. «Auf dass ich auch glauben kann, was ich sehe.»

Für ihn zeichnen sich die in Nyon gezeigten Filme aus durch «den Geschmack des Selbsterlebten». Das stehe aber dem Standpunkt-Bezug nicht im Wege, im Gegenteil.

«Diese Filme ermöglichen es, unsere Identität besser zu erfassen und damit jene der anderen ebenfalls zu verstehen», sagt Perret. Das Kino des Realen durchleuchtet die Unterschiede statt die Gemeinsamkeiten, die wir ja im ‹globalen Dorf›, dessen Existenz man uns einzureden versucht, miteinander teilen.»

swissinfo, Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander P. Künzle)

Die 13. Auflage von «Visions du réel» in Nyon dauert vom 20. bis zum 26. April.

137 Filme stammen aus 23 Ländern; 20 stehen im Wettbewerb, wovon 3 aus der Schweiz.

Es gibt 9 Themenbereiche, darüber «Regards neufs» (Junge Talente), und «Helvétiques» (Schweizer Neuigkeiten).

Zwei Workshops sind der Französin Claire Simon und dem Niederländer/Indonesier Leonard Retel Helmerich gewidmet.

Das Festival wird von Kulturminister Pascal Couchepin eröffnet.

«Visions du réel» ist das wichtigste Filmfestival der Westschweiz und das drittgrösste nach Locarno und Solothurn.

Es werden 26’000 Zuschauer erwartet, gleichviel wie in den letzten beiden Jahren.

Das Budget beträgt 1,9 Mio. Franken.

Die jetzige Form des Festivals wurde 1995, nach einer ersten Phase ab 1969, neu lanciert. Es zeigt ein Kino, das im direkten Kontakt zur Wirklichkeit steht, aber die Grenzen des Dokumentarfilms überschreitet.

Der Anlass ist für in- und ausländische Kino-Profis und Amateure gleichermassen ein Muss.

Er soll auch als Brücke und Treffpunkt dienen, der Deutsch- und Westschweizer untereinander und international verbindet.

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