900 Seiten, 6kg: Peter Zumthors stolze Monographie
Die Zahl seiner Bauwerke ist überschaubar, doch zählt der Schweizer Peter Zumthor zu den einflussreichsten Architekten der Gegenwart. Als Architekt sei er ein Autor, schreibt er in seiner lang erwarteten Monographie. Zurückhaltung, Hochwertigkeit und Perfektion zeichnen ihn aus.
Er zeichne seine Bauten von Innen nach Aussen, wende sie von dort wieder nach innen, und erneut nach der Aussenseite, bis alles stimme, schreibt der Architekt in der Einführung zu Peter Zumthor 1985–2013Externer Link, das aus fünf Bänden besteht.
Diese decken das 30-jährige Schaffen des Bündners ab, charakterisiert durch 43 ausgewählte Projekte, vom Bau, der zu Weltruhm gelangt ist, bis zu solchen, die nie über die Planschublade hinaus kamen.
Die Arbeiten sind mit unzähligen Fotografien, Skizzen und Aquarell-Zeichnungen dokumentiert. Die Begleittexte stammen von Zumthor selbst, der 2009 mit dem Pritzker-Preis, dem «Nobelpreis der Architektur», ausgezeichnet worden war.
Herausgeber des stolzen Werkes ist Thomas Durisch, selber Architekt und Kurator. Die beiden kennen sich seit 20 Jahren, als Durisch an den Entwürfen Zumthors Externer Linkfür das Kunstmuseum Bregenz, die Therme Vals und weiteren Projekten beteiligt war.
«Normalerweise will man eine autobiografische Monografie selber schreiben», sagt Durisch gegenüber swissinfo.ch. «Freunde, die Künstler sind, fragten mich, ‹Wie ging das denn? Kann jemand wie Zumthor es wirklich zulassen, dass jemand anderes die Werke für seine eigene Monografie auswählt und präsentiert?›.»
Er habe versucht, die Werke so zu präsentieren, dass er selbst nicht sichtbar sei, erklärt Durisch. «Das ist unüblich, weil ein Autor normalerweise erklärt, klassifiziert und Dinge einordnet. Das Ziel war eine intime Annäherung an die Person und deren Schaffen.»
Zumthor ist bekannt für seine Zurückhaltung, gerade, was Kontakte zu den Medien betrifft. Interviews gewährt er höchst selten. Auch gegenüber swissinfo.ch wollte er sich nicht äussern, um sich ganz seinen aktuellen Projekten widmen zu können. Durisch betont aber, dass die Monografie als Zumthors Statement zu verstehen sei.
Der Handwerker
Den Auftakt macht das eigene Atelier in Haldenstein bei Chur im Kanton Graubünden, in dem er mit seinen Angestellten bis heute arbeitet. Der gelernte Möbelschreiner, der danach in Basel und New York Architektur studiert hatte, verbat sich Arbeiten, die vor 1985 entstanden sind, also zu der Zeit, als er noch an seiner architektonischen Handschrift gefeilt hatte.
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Peter Zumthor – die bekanntesten Bauten
Zumthors Vorliebe gilt kleineren, aber komplexen Projekten. Die international bekanntesten sind das Kunstmuseum Bregenz, das Kolumba Köln (Kunstmuseum des Erzbistums Köln) und der Pavillon im Garten der Serpentine Gallery in London.
Dokumentiert sind aber auch empfindliche Fehlschläge. So etwa das Projekt «Topographie des Terrors» in Berlin. Auf dem Gelände des ehemaligen Hauptsitzes der Gestapo hätte der Schweizer ein Zentrum für die Dokumentation der Gräuel der Nazis bauen sollen. Dieses kam aber nie zustande, einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits infolge politischer Streitigkeiten unter den dortigen Akteuren.
Zumthors Karriere zeugt auch von den Risiken, die dem Beruf der Architekten innewohnen: Von den 43 in der Monografie vorgestellten Projekten wurden nur 19 realisiert und acht befinden sich im Bau, während 16 im Planungsstadium steckengeblieben sind. Sein gesamtes Schaffen umfasst 52 fertige Bauten, 17 sich im Bau befindende, während 70 unrealisiert bleiben.
Die Monographie
Das fünfbändige Werk, das in Deutsch, Englisch und Französisch vorliegt, vereinigt 43 Bauten und Projekte.
Auf 856 Seiten sind über 750 Fotos, Pläne, Skizzen, Zeichnungen und Kolorierungen zu sehen, ergänzt durch Texte von Peter Zumthor.
Das Gesamtgewicht der Ausgabe beträgt über 6 Kilogramm. Jeder Band ist einem seiner Grosskinder gewidmet.
Herausgeber ist der Architekt Thomas Durisch, der von 1990 bis 1994 Zumthors Büro angehört hatte.
Durisch hat bereits mehrere Ausstellungen über Zumthor kuratiert, zuletzt eine über die Architekturmodelle Zumthors in dessen Kunsthaus Bregenz (2012–2014).
Zumthor ist «berüchtigt» dafür, dass er stets die Kontrolle haben muss. «Als Autor will er den Projekten die nötige Zeit widmen und über den Gebrauch der Architektur sowie die Raumaufteilung nachdenken, wobei er sein gesamtes Wissen einbringt, das er in all den Jahren erworben hat», erklärt Durisch.
Seine Bauten brillieren einerseits mit einer schon fast radikalen Nüchternheit, andererseits verströmen sie eine sinnliche, atmosphärische Qualität. Seine Therme in Vals – ein Labyrinth von Wasserbecken aus Granitplatten, die aus der Umgebung stammen –, wird beschrieben als Liebesaffäre zwischen Stein und Wasser.
Die Meisterschaft, aus grundsoliden, natürlichen Werkstoffen wie Granit und Holz Stimmungen von fast andächtiger Poesie zu erzeugen, hat Zumthor eine gewisse Mystik verliehen. So mächtig das Buch auch ist – Zumthor selbst ist darin kaum zu sehen. Nur ein paar Fotos zeigen ihn, in seinem Atelier über Pläne gebeugt, oder auf einer seiner Baustellen. Da ist es fast eine Überraschung, ist im Buch auch das Haus abgebildet, das Zumthor in Haldenstein mit seiner Familie bewohnt. Darüber hinaus gibt er aber nichts preis über sein Privatleben.
«Sein eigenes Haus zu bauen, ist ein Privileg und völlig verschieden vom Bau eines solchen für einen Kunden», sagt Durisch. «Man muss sich sehr persönlichen und existenziellen Fragen stellen, um herauszufinden, wie das eigene Haus sein soll.» Deshalb gilt Zumthors eigenes Wohnhaus als «wichtig und charakteristisch für Zumthors gesamtes Schaffen.»
Architekt und Künstler
Auch Köbi Gantenbein, Chefredaktor von HochparterreExterner Link, dem renommierten Schweizer Magazin für Design und Architektur, nimmt eine Aura um den Bündner Architekten wahr. «Er ist ein sehr klarer und überzeugter Vertreter des Konzepts des Künstler-Architekten, das er lebt und atmet.»
Zumthor kontrolliere und prüfe alle seine Projekte selbst und stelle hohe Anforderungen. Das heisse aber nicht, dass die Zusammenarbeit mit ihm à priori schwierig sei, so Gantenbein. Er wolle aus jedem das Beste herausholen, sich selbst eingeschlossen.
Zusammen mit Mario Botta oder Herzog & de Meuron, den Erbauern des Stadions für die Olympischen Spiele 2008 in Peking, gehört Zumthor laut Gantenbein zu den wenigen Schweizer Architekten der Gegenwart, die sich im Ausland einen festen Namen machen konnten.
Aber im Gegensatz zu Herzog & de Meuron, die Filialen rund um den Globus besitzen, zählt Zumthors Büro rund 25 Mitarbeiter. Dies dürfte sich aber in Bälde ändern, wurde der Bündner doch mit einem Neubau des Los Angeles County Museum of Art (LACMA)Externer Link betraut – es ist dies sein bisher grösster internationaler Auftrag.
Sein ursprüngliches Projekt, das ebenfalls in der Monografie enthalten ist, hatte in Los Angeles ein kleineres Erdbeben ausgelöstExterner Link, weil es Schatten über die La Brea Tar Pits, natürliche Teerpfützen, geworfen hätte.
Ende Juni hiess es, dass der Schweizer seinen Entwurf von den historischen Asphalt-Tümpeln voller Fossilien aus der Eiszeit abgerückt und nun als brückenähnliches Bindeglied geplant habe, das den Wilshire Boulevard überspannen solle. Jetzt warten Zumthor und sein Team darauf, dass die Stadtbehörde dem 650-Mio-Dollar-Projekt das grüne Licht erteilt.
Peter Zumthor
1943 geboren, Lehre als Möbelschreiner, danach Studium der Architektur und Innenarchitektur in Basel und New York.
Nach der Tätigkeit als Denkmalpfleger des Kantons Graubünden 1978 Eröffnung des eigenen Ateliers als Architekt in Haldenstein.
Erstes beachtetes Werk: Schutzbauten für Ausgrabungsstätten römischer Funde in Chur 1986.
Professuren u.a. an der Akademie für Architektur der Universität im Tessin und an der Harvard Graduate School of Design (USA).
Auszeichnungen (Auswahl): Pritzker-Preis 2009 (höchste Auszeichnung für Architektur); Königliche Goldmedaille der Architekten Grossbritanniens 2012; Praemium Imperiale Japan 2008; Preis Mies van der Rohe für europäische Architektur 1998.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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