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Abdou Diouf: «Es ist meine Berufung zu dienen»

Will mehr, als lediglich über Kultur und Sprache reden: Abdou Diouf. swissinfo.ch

Der frühere Präsident von Senegal, Abdou Diouf, ist seit acht Jahren Generalsekretär des Hohen Rates der Frankophonie. Im Oktober stellt er sich am Frankophonie-Gipfel in Montreux der Wiederwahl. Interview.

Er residiert in einer Suite in einem Genfer Luxushotel. Der Blick geht über die Stadt. Abdou Diouf erinnert sich an eine Reise in die Schweiz, die von der Kulturstiftung Pro Helvetia organisiert worden war.

«Das war 1960, bevor ich meine Studien beendet hatte und nach Senegal zurückging. Es war an Ostern. Wir fuhren mit dem Auto nach Zürich, Lausanne, Luzern, St. Gallen, also fast durch die ganze Schweiz und ich habe sogar einer Landsgemeinde in Appenzell beigewohnt, wenn ich mich richtig erinnere», erzählt Diouf.

swissinfo.ch: Die Schweiz ist ein viersprachiges Land mit einer deutschsprachigen Mehrheit. Inwiefern betrifft der Frankophonie-Gipfel im Oktober auch die deutschsprachige oder die italienischsprachige Schweiz, die zurzeit keine Begeisterung zeigt für den Anlass?

Abdou Diouf: Ich habe gedacht, die ganze Schweiz sei begeistert und freue sich darauf, die Frankophonie zu empfangen. Vergessen Sie nicht, dass die sprachliche Vielfalt das Lieblingsthema der Frankophonie ist.

Die Schweiz als Staat, also das ganze Volk, ist zudem Mitglied der Frankophonie. Dasselbe gilt ja auch für Kanada mit seiner englischsprachigen Mehrheit.

Vor einigen Monaten habe ich in Vancouver Bundespräsidentin Doris Leuthard getroffen. Sie war sich durchaus bewusst, dass sie Chefin eines Staates ist, der Mitglied der Frankophonie ist.

swissinfo.ch: In 40 Jahren haben sich die Aufgaben der Frankophonie stark erweitert. Waren sie einst kultureller und linguistischer Natur, so sind inzwischen auch politische und ökologische Anliegen dazu gekommen. Ist das nicht etwas zu viel?

A.D.: Wenn der Commonwealth zusammentrifft, dann spricht er auch nicht über die englische Sprache. Gut, sie werden sagen, das sei auch nicht nötig.

Die Staatschefs der Frankophonie halten es seit 1986 für notwendig, sich an Gipfeln zu treffen. Seit 1997 gibt es das Amt des Generalsekretärs. Die Absicht ist klar: Die Staatschefs denken, dass man weiter gehen muss, als über die Kultur und die Sprache zu reden und auch über die grossen Herausforderungen dieser Welt sprechen muss.

Das war eine Wahl. Sonst wären wir innerhalb einer rein technischen und kulturellen Zusammenarbeit geblieben. Wir müssen verhindern, dass die Welt unipolar wird und Vorherrschaften vermeiden. Nicht nur in der Sprache, sondern auch im Denken. Ich glaube, dass die Frankophonie auf der Welt gehört wird.

swissinfo.ch: Was braucht es, damit das breite Publikum wahrnimmt, dass die Frankophonie wie der Commonwealth in erster Linie eine politische Organisation ist?

A.D.: Der Commonwealth ist aus der Entkolonialisierung entstanden. Er besteht aus England und seinen alten Kolonien. Die Frankophonie ist das Resultat eines freiwilligen Zusammenschlusses von Menschen, die vor allem aus den Ländern des Südens stammen. Gründer waren ja vier Staatschefs aus Ländern des Südens.

Wir haben also eine grössere Legitimation, uns um politische Themen zu kümmern, weil wir eine freiwillige Gemeinschaft sind und nicht einfach aus einem Erbe entstanden sind.

Der Beweis dafür, dass die Frankophonie effektiv auf Freiwilligkeit beruht, ist die Tatsache, dass auch Länder Mitglied sind, die nie eine Kolonie Frankreichs waren. Es hat sogar Staaten bei uns, die einst englische Kolonien waren, wie einige Staaten am indischen Ozean.

swissinfo.ch: An der Spitze der Frankophonie stand zuerst der ehemalige Generalsekretär der UNO, Boutros Boutros-Ghali. Mit Ihnen hat der ehemalige Präsident von Senegal das Amt übernommen. In Montreux werden Sie vielleicht für eine dritte Amtsperiode gewählt. Besteht nicht die Gefahr, dass dieser Posten zu einem goldigen Sessel für ehemalige Politiker wird?

A.D. Ursprünglich wollte ich diesen Posten gar nicht. Man hat mich dann aber gefragt. Es ist meine Berufung, zu dienen. Sei es als Premierminister, Präsident oder als Generalsekretär: Ich habe mich immer als Diener betrachtet. Nebenbei: Das Wort Minister kommt von Service. Wenn mich die Völker der Frankophonie anfragen, ob ich bereit sei, ihnen weiter zu dienen, dann habe ich nicht das Recht, abzulehnen.

Das Risiko, von dem Sie sprechen, existiert vielleicht. Wenn sich morgen herausstellen würde, dass ein anderer den Posten bekleiden möchte, dann würde ich sagen, «wählt denjenigen, den Ihr wollt». Wenn man mir aber das Vertrauen ausspricht, dann heisst das, dass man mich braucht. Wie gesagt: Ich akzeptiere es, zu dienen.

Bernard Léchot, Genf, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Andreas Keiser)

In Montreux findet vom 22. bis 24. Oktober 2010 der 13. Frankophonie-Gipfel statt. Gleichzeitig feiert die Frankophonie ihr 40-jähriges Bestehen.

Die Schweiz ist seit 1989 Vollmitglied des Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der Länder mit französischer Sprache. 1995 beschloss das Parlament mit grosser Mehrheit den Beitritt der Schweiz zur Internationalen Organisation der Frankophonie (OIF).

Als viertgrösste Beitragszahlerin hinter Frankreich, Kanada und der Französischen Gemeinschaft Belgiens nimmt die Schweiz eine einflussreiche Stellung ein.

Die OIF umfasst 56 Staaten und Regierungen sowie 14 Beobachter aller fünf Kontinente, mit der gemeinsamen Sprache als verbindendes Element. Generalsekretär ist der ehemalige senegalesische Präsident Abdou Diouf.

Weltweit sprechen 200 Millionen Menschen französisch. Damit steht Französisch an 9. Stelle der am häufigsten gesprochenen Sprachen.

Alle zwei Jahre findet der Frankophonie-Gipfel der Staats- und Regierungschefs statt, der die politische Ausrichtung und die grossen Linien der Zusammenarbeit festlegt. Der letzte Gipfel fand vom 17. bis 19. Oktober 2008 in Quebec, Kanada, statt.

swissinfo.ch

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