Alberto Giacometti und die ägyptische Skulptur
Mit der Ausstellung "Giacometti, der Ägypter" zeigt das Kunsthaus Zürich den grossen Einfluss der ägyptischen Kultur auf das Werk Giacomettis auf. Meisterwerke aus dem Ägyptischen Museum Berlin treten in einen direkten Dialog mit Skulpturen von Giacometti.
Wer die filigranen Skulpturen von Alberto Giacometti (1901-1966) schon gesehen hat, wird wahrscheinlich auch schon deren ausserordentliche Ähnlichkeit mit den Skulpturen des antiken Ägyptens wahrgenommen haben. Eine leicht erkennbare Affinität, die auch Giacometti selbst öfters erklärt hat.
Die Vorbilder von Alberto Giacometti waren zweifellos Vater Giovanni für die Malerei und später, in Paris, Antoine Bourdelle für die Bildhauerei», sagt Christian Klemm gegenüber swissinfo. Klemm ist Leiter der Giacometti-Stiftung und Kurator der Zürcher Ausstellung. «Aber die Hauptintuition zum Werk Giacomettis ist in der Kunst von Cézanne und in der ägyptischen Kunst zu suchen.»
Die ägyptische Kunst als Lebensbegleiterin
Die erste Spur der Begegnung Alberto Giacomettis mit der ägyptischen Kultur führt ins Gymnasium Schiers. Am 20. Oktober 1917 wählte der damals 16-jährige Schüler für eine Arbeit folgendes Thema aus: «Welche Kultur ist erhabener, die unsere oder jene der Ägypter?»
Giacometti war von der Überlegenheit der ägyptischen Kunst überzeugt – ein Zeichen für die Wichtigkeit dieser Kunst, die er in der Folge selbst vertrat.
Auch wenn es «nur» eine instinktive Sympathie war, so hielt diese ein ganzes Leben lang an, wie die letzte Notiz des Artisten aus dem Spital Chur, wo er im Januar 1966 starb, aufzeigt. «Hier in Chur ist es friedlich, es geht mir gut, ich bin geheilt, ich arbeite» – wohl nicht zufällig geschrieben auf dem Seitenrand eines Buches über ägyptische Malerei.
Formale Qualität und reiche Inhalte
Die ausschlaggebende Begegnung mit der Schönheit der ägyptischen Skulptur hatte Giacometti indessen in Florenz während seinem ersten Aufenthalt in Italien 1920-21. In einem Brief an die Familie schrieb er, die schönste Statue für ihn sei weder eine griechische noch eine römische und noch weniger eine aus der Renaissance, sondern eine ägyptische.
«Die ägyptischen Skulpturen» – so schrieb er – «haben etwas Grossartiges, eine Harmonie in Linie und Form, eine derart perfekte Technik, dass es niemandem mehr gelang, dies zu übertreffen. (…) Und diese lebendigen Gesichter, wie sie dich anschauen, als ob sie sprechen würden. (…) Ich habe ein schönes Buch über ägyptische Kunst gekauft, natürlich auf Deutsch, mit vielen wunderbaren Bildern und Poesie voller Kraft und Leben.»
Es handelt sich um das Buch «Die Skulptur Ägyptens» von Hedwig Fechheimer (1920). Zusammen mit dem Werk «Die antike Kunst. Ägypten und Kleinasien» von Ludwig Curtius sind die beiden Bücher Teil der Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Die beiden Werke sind begleitet von 50 Reproduktionen, auf denen die Bilder von Giacometti nachgezeichnet sind.
Vom Selbstporträt zur abstrakten Form
Neben den Zeichnungen und Kopien auf dem künstlerischen Weg Giacomettis, zeigt die Zürcher Ausstellung vier weitere wichtige Teile über die Hauptphasen seines Schaffens. Im Raum der Selbstporträts wird der berühmte Porträtkopf des Echnaton (1340 v. Chr.) präsentiert. Daneben sind einige Vorbereitungsstudien von Giacometti zum Selbstporträt von 1921 zu sehen. Mit diesem Selbstbildnis beendete er seine Ausbildung bei seinem Vater.
Die Ähnlichkeit zwischen dem Gesicht des ketzerischen Pharaonen und jenem Giacomettis ist frappant. Allein schon diese augenfällige Identifikation rechtfertigt den Ausstellungstitel «Giacometti, der Ägypter».
Die Pariser Jahre der Annäherung an die Avantgarde und die Suche nach einer Stilisierung der menschlichen Form sind zusammengefasst in der Konfrontation zwischen den Bronzewerken Giacomettis wie «Cube» (1933-34) und der berühmten «Würfelstatue von Senemut» (1470 v. Chr.) in Granit.
Von Bewegungsstudien bis zur Suche nach dem ewigen Blick
Im Mittelpunkt eines weiteren Ausstellungsteils sind Studien zwischen Form und Raum. Dabei erstaunt die aussergewöhnliche Bewegung in den berühmten länglichen und filigranen Skulpturen von Giacometti, wie zum Beispiel «Homme qui marche» (1947). Diese Werke werden zusammen mit ägyptischen Grabskulpturen gezeigt. Sie sind auf rechteckigen Sockeln: Symbol für einen unbegrenzten Raum, den die Skulpturen zu brechen scheinen.
Im letzen Saal sind einige Spätwerke Giacomettis zu sehen, wie «Annette» (1962), die Büste seiner Frau, «Diego assis» (1964) und «Lotar III» (1965). Daneben sieht man berühmte ägyptische Skulpturen wie der Porträtkopf der Nofretete (1340 v. Chr.) und «Grüner Kopf» (450 v. Chr.). Die Analogie zwischen den Werken ist erstaunlich, und die Vitalität der Blicke in den Gesichtern der Figuren scheint ihnen ein ewiges Leben zu geben.
«Giacometti war fasziniert von der formalen Qualität der ägyptischen Kunst, aber auch vom Reichtum ihres Inhaltes», sagt Kurator Christian Klemm. «Er hat in dieser Kultur eine stilisierte und absolute Kunst gefunden, die sich nicht auf das äussere Bild, sondern auf das Wesentliche des Menschen konzentriert.»
swissinfo, Paola Beltrame, Zürich
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)
«Giacometti, der Ägypter»
Ausstellung im Kunsthaus Zürich
Dauer: 27. Februar – 24. Mai 2009
Öffnungszeiten:
Sa/So/Di 10 – 18 Uhr
Mi-Fr 10-20 Uhr
Geboren am 10.10.1901 in Borgonovo bei Stampa im Bündner Bergell. Als Sohn des post-impressionistischen Malers Giovanni Giacometti wendet sich Alberto Giacometti nach dem Austritt aus dem Gymnasium Schiers 1919 vollständig der Kunst zu.
Von 1919-1920 studiert er an der Ecole des Beaux-Arts und Ecole des Arts Industriels in Genf. Er besucht die Biennale in Venedig und reist durch Italien, wo ihn Tintoretto, Giotto und die antiken Ruinen begeisterten.
Von 1922-1927 Weiterbildung an der Académie de la Grande Chaumière beim Bildhauer Antoine Bourdelle in Paris. Nach der Ausbildung liess sich Giacometti 1927 dauerhaft in Paris nieder. Er widmete sich der Malerei und Plastik.
1930 stellte er mit Hans Arp und Joan Miró bei Pierre Loeb in Paris aus. Im selben Jahr schloss er sich den Surrealisten an. Er studierte intensiv die menschliche Figur und schuf Porträtbüsten.
1934 brach der Künstler mit dem Surrealismus. Er orientierte sich wieder vermehrt an der Natur. 1939 begann die Freundschaft mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Während des Krieges lebte er 1942-45 mit seinem Bruder Diego in Genf.
1947 und 1950 konnte er in der Galerie Pierre Matisse in New York ausstellen. 1950 schloss er einen Vertrag mit der Galerie Maeght in Paris und erhielt Aufträge für Bronzeskulpturen. 1956 veranstaltete die Kunsthalle Bern die erste grosse Retrospektive seines Werkes. Im selben Jahr gewann Giacometti an der Biennale in Venedig den grossen Preis.
In der 1964 eröffneten Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence erhielt er einen zentralen Platz für sein Werk. 1964 wurden seine Bilder und Plastiken an der Schweiz. Landesausstellung präsentiert. 1965 erfolgte die Gründung der Alberto-Giacometti-Stiftung in Zürich. 1965 wurde Giacometti mit dem Grand prix national des Arts durch den französischen Staat und mit dem Titel Dr. h.c. der Universität Bern ausgezeichnet.
Am 11.1.1966 starb Giacometti im Spital von Chur.
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