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Als sich eines Abends der Niesen in Hamburg erhob

Am Fuss des Niesen(bilds) liest Katharina Schütz in Hamburg Humoristisches aus der Schweiz

Die Schweizer Schauspielerin Katharina Schütz las in den Hamburger Kammerspielen Groteskes und Humoristisches aus der Schweiz und über die Schweiz. Mit Selbstironie möchte sie den Hanseaten die Eigenheiten ihrer Landsleute nahe bringen. Der Weg ist gar nicht so weit.

Wer weiss im platten Hamburg schon, wer oder was der Niesen ist? Dass es sich dabei um einen markanten Berg in den Berner Voralpen handelt, der mit einem Kribbeln in der Nase nichts zu tun hat? Welcher Hamburger hat schon einmal etwas von «Gätzischmutz» (Fett im Kupferbehälter) gehört, und wer versteht in Norddeutschland Berndeutsch?

Ja, wer weiss in Deutschland überhaupt, was Schweizerdeutsch ist – nämlich ein Sammelbegriff für verschiedene Dialekte und nicht etwa Hochdeutsch in Schweizerischer Aussprache?

Zumindest die rund 20 Hamburger, die vergangene Woche der Schweizer Schauspielerin Katharina Schütz lauschten, wissen das nun. Unter dem Titel «Der Niesen» las die gebürtige Bernerin im Logensaal in den Hamburger Kammerspielen Texte über die Schweiz, verfasst von Schweizer Autoren.

Vom weltberühmten Berner Maler Ferdinand Hodler prächtig in Szene gesetzt, prangte der Niesen auch auf dem Plakat, das zusammen mit einem Tisch das Bühnenbild der Lesung bildete. 

Schweizer Texte in O-Ton

Gekleidet in roter Strickjacke und weisser Bluse, an deren Knopfleiste eine Tell-Münze befestigt ist, und in Wanderschuhen sitzt Katharina Schütz am Tisch vor dem Niesen und liest eineinhalb Stunden lang meist kurze Geschichten von Beat Sterchi, Hugo Lötscher, Franz Hohler, Guy Krneta und Milena Moser vor.

Liebevoll und humoristisch nehmen die Texte die Eigenheiten der Schweizer aufs Korn, für die alles stets mit Recht und Ordnung zugehen muss. Oft handeln sie auch vom «Spannungsverhältnis zwischen der Standardsprache Hochdeutsch und den deutschschweizer Dialekten», wie es Beat Sterchi in «Vom Reden reden» formuliert.

«Wir haben gedacht, Kino is nich, da wollten wir hier mal mitmachen“, sagt eine ältere Dame in schönstem Hamburger Plattdeutsch. «Aber erst haben wir schon einen Schreck gekriegt, dat wir gar nix verstehn.»

Die Sorge ist unberechtigt, denn Katharina Schütz liest die Texte grösstenteils auf Hochdeutsch. Nur die Dialoge gibt sie häufig im Schweizer Dialekt wieder. Einige Passagen sowie den Text von Krneta, die sie in Mundart liest, übersetzt sie anschliessend. 

Die Texte quasi im «Original mit Untertiteln» hören zu können, macht für deutsche Ohren den besonderen Reiz der Lesung aus. Hier hören sie, wie die Gespräche über Parkplätze, die zum Parken da sind, Inländer und Ausländer oder Lohnerhöhungen, über die Beat Sterchi mit viel Sprachwitz schreibt, wirklich klingen. Bei der stillen Lektüre erfährt ein Nicht-Schweizer das ja nicht.

Ein humorvoller Zugang zur Schweiz

Der Abend bietet somit wieder einmal eine Gelegenheit, die Wesens- und Sprachunterschiede zwischen Schweizern und Deutschen herauszustreichen und sich darüber zu amüsieren. Der «Waschküchenschlüssel» von Hugo Lötscher zum Beispiel, der für die Mieter eines Hauses «der integrierende Bestandteil der Hausordnung», ja, sogar «ein Schlüssel für demokratisches Verhalten und ordnungsgerechte Gesinnung» ist, sorgt beim Publikum für Gelächter und Applaus.

«Ich habe gehofft, dass die Leute lachen», sagt Katharina Schütz, die seit 25 Jahren in Hamburg lebt. Mit der Lesung möchte sie den Hamburgern ihr Heimatland auf humorvolle Art und Weise nahe bringen. «Das Geheimnis dabei sind die Texte, die einfach gut sind», sagt sie. «Als eine, die davon auch etwas weiss» könne sie die Texte natürlich besonders gut vorlesen und dazu etwas erzählen. «Ich als Schweizerin darf meine Landsleute auf’s Korn nehmen.»

Kleinkariert und liebenswert

Beim Publikum kommt der humorvolle Zugang zur Schweiz gut an. «Den Schweizer Humor haben wir bisher noch nicht kennengelernt», sagt ein Hamburger Arzt. Seine Frau und er interessieren sich für die Schweiz, seit ihre beiden Kinder dort leben und arbeiten. «Wir haben gedacht, dass wir die Schweiz vielleicht heute abend verstehen», sagt er mit einem Augenzwinkern.

Eine Rentnerin, deren Sohn ebenfalls in der Schweiz lebt und mit einer Schweizerin verheiratet ist, findet sich mit ihren eigenen Erfahrungen in den Texten wieder. «Die Texte sind toll. Ganz dezent beschreiben sie die typischen Eigenarten der Schweizer.» Sie möge besonders Zürich sehr gern, sagt sie. Das sei, genau wie Hamburg, eine kleine Weltstadt.

Der Berner Dialekt hingegen mache sie wahnsinnig. «Stundenlang hat eine Kellnerin in Bern auf uns eingeredet. Ich habe kein Wort verstanden, meine Enkelin hat übersetzt. Die Kellnerin wollte uns nur sagen, dass wir am nächsten Morgen pünktlich zum Frühstück sein sollen. Das war genau wie im Text», sagt die alte Dame.

Auch eine junge Schauspielerin, die bei einer Veranstaltung selbst einmal Märchen aus der Schweiz gelesen hat, ist von den Texten begeistert. «Ich würde mir alles noch einmal anhören», sagt sie. «Aber die Schweizer sind schon ein spezielles Völkchen. Ich gehe mit dem Gedanken nach Hause, dass die Schweizer mit ihrem Tunnelblick und ihrer Ordnung noch ein bisschen kleinkarierter sind, als ich dachte. Aber liebenswert», fügt sie noch hinzu.

Für Menschlichkeit und Toleranz

Es scheint also, als habe Katharina Schütz ihr Ziel erreicht, den Blick ihrer norddeutschen Gäste auf ihr Nachbarland im Süden ein wenig zu weiten. Dass das ausgerechnet in den Hamburger Kammerspielen stattfand, das seit Ende des zweiten Weltkrieges dem Leitbild eines «Theaters der Menschlichkeit und der Toleranz» folgt, war purer Zufall. Weder die Veranstaltungsleiterin noch Katharina Schütz hatten das im Kopf, als sie die Lesung «Der Niesen» planten.

Wer über die Texte ein wenig nachdenkt – über Beat Sterchis «Mittelklasse» zum Beispiel, die streng ist mit anderen und sehr streng mit sich selbst und ihre Mittel am liebsten in einer Kasse verwahrt, oder über das «Einfamilienhaus», dem bevorzugten Zielpunkt der Gratiszeitungen, in dem die Familie gerne in Hauskleidung aus Baumwolle vor dem Fernseher sitzt – der fragt sich ohnehin, wie fern oder nah sich Schweizerische und deutsche Mittelklassen-Einfamilienhäuser eigentlich sind. Der Niesen jedenfalls wurde im Logensaal  mit jeder Geschichte ein bisschen höher.

Beat Sterchi, geb. 1949 in Bern, lebt als freier Schriftsteller in Bern, unterrichtet ausserdem am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel und ist Mitglied des Spoken-Word-Ensembles «Bern ist überall». Die gelesenen Texte stammen hauptsächlich aus «Auch sonntags etwas Kleines» von 1999.

Hugo Lötscher, geb. 1922 in Zürich, gestorben 2009, gilt als bedeutender Schriftsteller der deutschsprachigen Literatur der Schweiz. Der Text «Der Waschküchenschlüssel» stammt aus «Der Waschküchenschlüssel und andere Helvetica» von 1983.

Franz Hohler, geb. 1943 in Biel, ist Schriftsteller, Kabarettist und Liedermacher, lebt in Zürich und tritt regelmässig in der Schweiz und Deutschland auf. Die Texte «Ich werde alt» und «Ich werde noch älter» stammen aus «Das Ende eines ganz normalen Tages» von 2008.

Guy Krneta, geb. 1964 in Bern, lebt als freier Schrifsteller und Dramaturg in Basel, ist Mitglied der Matterhorn-Productions, des Spoken-Word-Ensembles «Bern ist überall» und Mitbegründer der Plattform «Kunst und Politik». Seine Texte schreibt er auch auf Berndeutsch. Die gelesene Passage stammt aus «Zmittst im Gjätt uss“ von 2003.

Milena Moser, geb. 1963 in Zürich, lebt im Kanton Aargau und ist freie Schriftstellerin, Journalistin und Mitbegründerin der «Schreibschule». Der gelesene Text heisst «Coiffeur heisst auf Deutsch Friseur».

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