Altes Kulturgut findet den Weg in die Moderne
Das Kloster Einsiedeln öffnet seine historischen Archivbestände für die Welt. Mit verschiedenen Techniken wurden tausende Urkunden, Amtsbücher und Verzeichnisse digitalisiert und sind nun für alle im Internet zugänglich.
Die Gewölberäume des Archivs sind versteckt in einem Quertrakt, mitten im riesigen Kloster Einsiedeln. Der Schlüssel ist modern, die Türe uralt.
Projektleiter Andreas Kränzle stöbert für den Journalisten von swissinfo in den Holzkisten, von einem Raum zum andern.
Der Historiker ist verantwortlich für die gesamte Reorganisation des Klosterarchivs. Seine Begeisterung ist augenfällig.
Immer wieder zieht er hier eine Urkunde, dort ein Amtsbuch hervor und erzählt Geschichte dahinter.
«Dies war vermutlich eine Blanko-Unterschrift», erklärt er ein Monogramm auf einem wertvollen Dokument und zeigt, wie bei anderen Urkunden Monogramm und Siegel eines Königs anders im Text platziert sind.
Eine andere Welt
1997 kam Kränzle erstmals in das Archiv. Er trat ein in eine andere Welt: «Damals gab es noch kein elektrisches Licht in den Räumen. Als ich da zum ersten Mal durchgegangen bin, war das schon beeindruckend.»
Zwar war ein Teil des Klosterarchivs im 18. Jahrhundert bereits einmal geordnet und katalogisiert worden, doch vieles war neu dazu gekommen oder noch nicht erfasst.
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Klosterarchiv
«Aus unterschiedlichen Gründen konnten die Archivare nicht alles aufarbeiten. Deswegen lag hier auf den Schränken und überall sehr viel Material, zum Teil sehr ungeordnet.»
Das Archiv des Klosters Einsiedeln ist eines der ältesten der Schweiz. Zum Bestand gehören nicht nur Bücher, Urkunden, Pläne und Fotos, sondern beispielsweise auch ein Schweizer Offiziersmesser im USA-Design, das Präsident George Bush Senior dem Kloster geschenkt hat.
Ordnen und Sichern
Das Kloster war sich bewusst, dass die Dokumente zwar klimatisch gut untergebracht waren, der Zahn der Zeit sie aber nicht verschonen würde. Zu deren Sicherung entschloss man sich in Einsiedeln, nicht nur das Archiv umfassend zu ordnen und Teile davon zu digitalisieren, sondern auch Verpackung und Lagerung zu optimieren.
«Die Verpackung sollte modern, alterungsbeständig sein», erklärt Kränzle und zeigt uns ein Beispiel. «Meistens verwendet man säurefreies oder sogar basisch gepuffertes Material. Dieses kann Säure, die im Papier oder in der Tinte steckt, eine Zeit lang entgegenwirken.»
Besonders für die Urkunden aus Pergament mit ihren Siegeln ist eine schonende Lagerung wichtig. Diese müssen aber wieder anders gelagert werden, als Papier.
Auf den Bildschirm bringen
Für die Digitalisierung der historischen Datenbestände zogen die Verantwortlichen dem malerischen Archiv in Einsiedeln die Räume eines schlichten Neubaus im Staatsarchiv Schwyz vor.
«Die Räume im Kloster Einsiedeln sind beengt. Wir hätten die Arbeit hier nicht so gut machen können», sagt Kränzle.
«Wir haben alles verpackt und die Kisten mit einem normalen Zügelunternehmen in neun Tranchen nach Schwyz gebracht.»
Rund 800 Laufmeter an Material wurden zur weiteren Bearbeitung in den Kantonshauptort geschafft. Bevor die gesamten Dokumente bis 1600 digitalisiert wurden, restaurierten externe Profis die ältesten und wertvollsten Stücke.
Danach sortierten Kränzle und sein Team von etwa zehn Historikern und Studentinnen alle Urkunden und erfassten sie in einer Datenbank.
Nur ein Bruchteil
Im Rahmen des Urkundenprojekts wurden über 2000 Urkunden, knapp 30 Verzeichnisse (so genannte Rödel) und 50 der wichtigsten Amtsbücher mit verschiedenen Techniken digitalisiert. Das sind zwar die wichtigsten Dokumente, jedoch entsprechen sie nur einem Bruchteil des gesamten Bestandes, wie Kränzle betont.
Mit dem Zugang über das Internet aber können diese historischen Dokumente nun viel besser geschont werden. Seit Mitte April sind sie im Internet such- und als Fotos sichtbar.
Bereits hätten zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer reagiert, sagt Kränzle: «Es stösst auf ein sehr grosses Interesse, auch andere Teile der Website wie etwa das Fotoarchiv, wo viele Fotos online sind, wurden jetzt quasi wiederentdeckt.»
Zurück ins Kloster
Derweil wird in Einsiedeln bereits das neue Archiv projektiert, das vom Architekturbüro Diener & Diener gestaltet wird. «Die Lagerräume werden neu gebaut, unterirdisch», sagt Kränzle. In einem ehemaligen Werkstättentrakt sollen die Büros und ein Lesesaal entstehen.
«Beim Neubau sind wir voll in der Planung. Das Vorprojekt ist fertig. Jetzt wird die Planung abgeschlossen und nächstes Jahr gebaut, um 2011, 2012 wieder zurück nach Einsiedeln ziehen zu können, in das neue Archiv.»
swissinfo, Christian Raaflaub, Einsiedeln und Schwyz
Die Bestände des Klosterarchivs Einsiedeln umfassen etwa einen Laufkilometer historisches Aktenmaterial.
Dazu gehören wichtige Kulturgüter wie Kaiser- und Königsurkunden aus dem 10. Jahrhundert, die ältesten Dokumente des Archivs.
Aber auch ein Foto- und ein Planarchiv, die wichtige Informationen über den klösterlichen Alltag und Grenzverläufe vermitteln, gehören dazu.
Im Laufe der Reorganisation wurden auch diese beiden Archive teilweise inventarisiert und online gestellt.
Die Kosten für das gesamte Projekt mit dem neuen Archiv und einer Musikbibliothek betragen auf 12 Millionen Franken.
Die historischen Materialien aus dem Klosterarchiv wurden bis März 2009 in 48’290 Datensätzen vollständig erfasst.
Sämtliche Urkunden bis 1600 wurden in 4318 Aufnahmen digitalisiert und sind seit Mitte April im Internet zu sehen.
Zudem wurden 15’695 Seiten aus Güterverzeichnissen, Tagebüchern, Wappenbüchern etc. digitalisiert und online gestellt.
Das Urkundenprojekt kostete rund 350’000 Franken. Die Kosten wurden vom Lotteriefonds des Kantons Zürich übernommen, weil viele Dokumente einen Bezug zum Kanton Zürich haben.
Das Projekt ist international in Zusammenarbeit mit den internationalen Archivkonsortium Monasterium entstanden, das bereits über 100’000 Urkunden ins Internet gestellt hat.
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