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An Schweizer Zeitzeugen blättert der Lack

Das 1898 eröffnete Landesmuseum in Zürich beherbergt die grösste Kultur-Sammlung der Schweiz. Keystone

Die nationalen Museen benötigen nicht nur mehr Platz, sondern auch ein modernes Konzept und Management. Doch der Bund verschleppt die nötigen Massnahmen.

Die Einrichtung einer Stiftung hätte die dringenden Probleme der Museen lösen sollen. Doch das Parlament steht dem entsprechenden Vorschlag der Landesregierung skeptisch gegenüber.

Ende des 19. Jahrhunderts entschied die Eidgenossenschaft einen musealen Ort zu schaffen, an dem die Geschichte und nationale Identität des Landes dargestellt werden kann – ein Land mit vier Sprachen und damals 25 Kantonen. Dies war der Anfang des Schweizerischen Landesmuseums.

Für das Museum wurde 1898 eigens neben dem Zürcher Hauptbahnhof ein schlossähnliches, anachronistisch anmutendes Gebäude erstellt. Seither hat der Bund sieben weitere nationale Museen eröffnet. Sie sind in der Gruppe Musée Suisse zusammengeschlossen und beherbergen einen Grossteil des kulturgeschichtlichen Erbes des Schweizer Volkes.

Doch bis heute hat der Bund keine klare Strategie für die nationalen Museen entwickelt. Die Ausstellungstätigkeiten sind häufig nicht koordiniert. Die Gruppe Musée Suisse erscheint wie ein Konglomerat heterogener Kulturinstitutionen.

Politiker mit wenig Interesse

«Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hat es die Schweiz nicht geschafft, eine Kulturpolitik für ihre nationalen Museen zu entwickeln», sagt Hans Wehrli, Präsident der Eidgenössischen Kommission für das Schweizerische Landesmuseum.

Laut Wehrli fehlt es an Interesse von Seiten der Politiker und der Bundesverwaltung. Ein Interessensmangel mit konkreten Folgen: Notwendige Modernisierungs- und Erweiterungsarbeiten in vielen Nationalmuseen können nicht angegangen werden.

Das Schweizer Landesmuseum in Zürich, das die wohl grösste kulturgeschichtliche Sammlung des Landes beherbergt, musste bis 2005 warten, bevor mit einer dringenden Renovation begonnen werden konnte. Dabei waren schon seit Anfang der 1990er-Jahre einige baufällige Räume aus Sicherheitsgründen für den Publikumsverkehr geschlossen.

Wichtigste Epoche fehlt

Besonders ärgerlich: Die Verwirklichung neuer Ausstellungsräume für die Sammlung des 20. Jahrhunderts ist auf die lange Bank geschoben. Ein entsprechendes Projekt, das die Landesregierung bereits 2002 verabschiedet hat, soll eine empfindliche Lücke im Angebot des Museums füllen. Denn die Ausstellungen in den Nationalmuseen von Zürich und Prangins enden im 19.Jahrhundert.

«Den Museen fehlt der Bezug zur modernen und zeitgenössischen Geschichte», sagt Hans Wehrli. Dabei wollten die Leute wissen, was mit der Schweiz im Zweiten Weltkrieg passiert sei oder wie die Geschichte der Swissair verlaufen sei.

Die Museen unterstehen dem Bundesamt für Kultur und damit der Bundesverwaltung. Genau diese Abhängigkeit begrenzt ihre Autonomie und bremst die Eigenentwicklung. «Jeder Entscheid muss von Bern genehmigt werden; bis zur Antwort auf einen Brief können auch mal 13 Wochen vergehen», bedauert Regula Zweifel, Vizedirektorin des Landesmuseums.

Eine öffentliche Stiftung

Nach etlichen Jahren des Wartens hatte der Bundesrat 2002 endlich ein Projekt vorgestellt, das die Autonomie der Nationalmuseen verbessern sollte. Indem die Gruppe Musée Suisse in eine Stiftung öffentlichen Rechts verwandelt wird.

«In all unseren Nachbarländern unterstehen die Nationalmuseen Stiftungen», sagt Hans Wehrli. Dieses Modell erleichtere auch das Fund-Raising bei Privatpersonen und Unternehmungen. Denn: «Niemand macht heute einer Staatsinstitution eine Schenkung.»

Private Donatoren wären in Zeiten knapper werdender Ressorucen sehr willkommen. Die Sparmassnahmen der öffentlichen Hand haben bereits zum Abbau bestimmter Dienstleistungen geführt.

Der anfängliche Enthusiasmus für den Regierungsvorschlag ist aber verflogen. Der Ständerat hat das Projekt vergangenen Dezember bereits bachab geschickt. Und der Nationalrat wird diesem Beispiel in Kürze folgen.

Erst die Strategie, dann das Geld

Die Abgeordneten bestreiten keineswegs die Wichtigkeit der nationalen Museen. Aber bevor sie grünes Licht geben für eine Transformation der Gruppe Musée Suisse in eine Stiftung, wollen sie im Detail wissen, welche Museumsstrategie und welche Ziele die neuen Verantwortlichen des Bundesamts für Kultur verfolgen.

«Das Klima in der Kulturpolitik hat sich eindeutig gewandelt», sagt die sozialdemokratische Zürcher Nationalrätin Vreni Müller-Hemmi. Das Parlament verlange heute genaue Auskünfte, wie gesprochenes Geld eingesetzt werde. Die Stiftung Pro Helvetia hat diesen Klimawandel bereits zu spüren bekommen. Ihr wurden Subventionen gekürzt.

Auf die definitive Neuorganisation des staatlichen Museumswesens wird man daher noch etwas warten müssen. Nationalrätin Müller-Hemmi will angesichts dieser Situation wenigstens separat die geplante Erweiterung des Landesmuseums in Zürich voran treiben. Sie hat eine entsprechende Motion eingereicht, die vom Nationalrat angenommen werden sollte.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Die zur Gruppe Musée Suisse gehörenden Museen zählen jährlich zirka einer halbe Million Besucherinnen und Besucher.
Der Bund unterstützt die nationalen Museen mit 35 Millionen Franken im Jahr.
Die staatlichen Subventionen decken 90 Prozent der Museumsbudgets. Nur 10 Prozent stammen von den Eintrittsgeldern.

Mit 1000 Ausstellungs-Räumen für Themen aus Kultur, Geschichte und Wissenschaft weist die Schweiz einer der höchsten Museumsdichten in Europa auf.

Der Bund besitzt 15 Museen. Acht davon bilden die Gruppe Musée Suisse.

Die beiden wichtigsten Einrichtungen sind das Schweizerische Landesmuseum in Zürich und das Schloss Prangins im Kanton Waadt. Sie beherbergen über eine Million historische Zeugnisse aus der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Die anderen sechs nationalen Museen sind themenbezogen: Das Schweizerische Zollmuseum in Gandria (Tessin); das Museum für Musikautomaten in Seewen (Solothurn), das Forum der Schweizer Geschichte in Schwyz (Schwyz), die Schlossdomäne Wildegg (Aargau), das Museum Bärengasse in Zürich und das Zunfthaus zur Meisen (Zürich).

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