Andreas Vollenweider: Zwei Wörter und tausend Noten
Der Zürcher Harfenspieler ist wieder da, mit einer neuen CD und einer Doppel-DVD, welche die 25 Jahre seiner Reise durch die ganze Welt erzählt.
Die DVD wurde für die Grammy Awards 2007 nominiert. Für Vollenweider aber ist etwas viel wichtiger: Die zwei Wörter Liebe und Mitgefühl.
swissinfo: Welche Gefühle löste es bei Ihnen aus, als die DVD «The Magical Journeys of Andreas Vollenweider» fertig war, die 25 Jahre Ihres Lebens in Form von Musik und Bildern festhält?
Andreas Vollenweider: Es war interessant, die ersten Jahre in Gedanken wieder zu erleben. Damals wussten wir noch nicht, was auf uns zukommen würde. Wir waren recht naiv und offen für Abenteuer.
25 Jahre später sind wir etwas vorsichtiger, aber auch reifer.
swissinfo: Was ist in diesen 25 Jahren bei Ihnen unverändert geblieben?
A.V.: Meine Fähigkeit zum Staunen. Meine Neugier, die Leidenschaft, mit der ich Fragen stelle.
swissinfo: Sie haben die ganze Welt bereist. Warum leben Sie noch immer in der Schweiz?
A.V.: Weil hier mein Umfeld ist. Ich könnte anderswo leben, wenn mein Umfeld mit mir käme. Aber die Chance, dass mein Freundes- und Bekanntenkreis mir nach Timbuktu oder wo auch immer folgen würde, ist klein.
Ich hänge nicht geografisch an der Schweiz, auch wenn ich in einer wunderbaren Ecke des Landes lebe. Ich bin hier, weil meine Familie und meine Freunde hier sind.
swissinfo: Sie sind wieder für die Grammy Awards in den USA nominiert. Ist das wichtig für Sie?
A.V. Für mich ist das nicht so wichtig. Wenn ich heute nicht wüsste, dass das, was ich mache, für die Leute eine gewisse Bedeutung hat, wäre ich blind und dumm. Mein Lohn ist die Nähe zum Publikum und die Freundschaft vieler Menschen auf der ganzen Welt.
Aber ich weiss, dass es auf der Welt anders zugeht. Dass viele Leute, insbesondere in den Medien, eine Bestätigung brauchen, wissen müssen, dass ein Projekt ihre Aufmerksamkeit verdient. Für meine Beziehung zum Publikum ist das jedoch nicht wichtig. Sagen wir mal, es ist ein notwendiges Spiel. Und ich bin zufrieden, dass ich meine Rolle darin spielen kann!
swissinfo: Sie sind in der Kategorie New Age nominiert. Sagt dieser Ausdruck heute noch etwas aus?
A.V. Das tat er nie. Ich fühle mich nicht an diesen Ausdruck gebunden. Ich frage mich, was es an «Neuem» in diesem «Age» hat! Ich bin ein Nomade. Ich bewege mich durch die Welten, die Stile, die Leute, die Kulturen. Da lebe ich. Ich lasse mich nicht gerne auf eine Kategorie reduzieren.
swissinfo: Auf Ihrer neuen CD, «Midnight Clear», arbeiten Sie auf eine neue Art mit der Amerikanerin Carly Simon zusammen.
A.V.: Wir trafen uns anfangs der 1980er-Jahre. Seither sind wir Freunde und haben auch schon mehrmals zusammengearbeitet. Diesmal gingen wir noch etwas weiter. Das war ein schönes Erlebnis, vor allem dank ihrer grossen philosophischen Reife. Sie hat viel zu sagen und zu geben.
swissinfo: Der andere Aspekt von «Midnight Clear» sind Adaptionen alter Melodien. Einige stammen aus dem Mittelalter. Weshalb haben Sie die ausgewählt?
A.V.: Es ist das erste Mal, dass ich Melodien anderer übernommen habe. Zuerst war das Thema des Albums «die Kraft der Hoffnung». Ich denke, dass die Hoffnung eine der wichtigsten Dimensionen unseres Lebens ist, besonders heute. Viele Menschen verlieren die Hoffnung. Das ist bedenklich, denn damit verlieren wir «Kämpfer», welche die Welt zu einem besseren Ort machen könnten. Und dieses Ziel betrifft alle.
Ich wollte Melodien finden, in denen diese Kraft der Hoffnung zum Ausdruck kommt. Dabei stellte ich fest, dass viele mit Weihnachten zusammenhängen. Das bremste mich eher ab, denn ich wollte kein Weihnachtsalbum machen. Schon weil ich nicht Christ bin und keiner religiösen Gemeinschaft angehöre. Auch da bin ich ein Nomade!
Aber ich fing an, über das Konzept Weihnachten nachzudenken, das einen solch starken Einfluss hat. Das unschuldige Kind, das von oben gekommen ist, um uns zu retten.
Ich denke, dass dieses Konzept sehr fragwürdig ist, denn es schafft mehr Probleme als es löst. Wir können uns nicht einfach hinsetzen und warten, bis das Heil von irgendwo kommt, bis jemand die Arbeit für uns macht.
Wir verfügen über alle nötigen Instrumente, um diese Welt besser zu machen. Eines davon ist das Mitgefühl: Sich in die Haut eines anderen Menschen versetzen und fühlen, was dieser Mensch fühlt. Das ist einmalig, das kann kein anderes Lebewesen. Ein weiteres Instrument ist ganz einfach die Liebe. Mit diesen beiden Fähigkeiten kann man die Welt verändern.
swissinfo: In einem Text im Begleitheft zur CD halten Sie fest, dass die Religionen Gutes, aber auch viel Machtmissbrauch gebracht haben. Sie schliessen daraus, dass man deshalb die Religionen nicht ablehnen, sondern auf das Wesentliche zurückkommen sollte. Seit Jahrtausenden wird getötet, während man sich darauf beruft, dass man die religiöse Botschaft verstanden hat.
A.V.: Das stimmt leider. Die religiösen Texte werden nicht von den Leuten, sondern von den Vermittlern gelesen. Die Mullahs sind durch Schulen gegangen, die bereits ein Gemisch aus Macht und Religion vertreten. Ein sehr gefährlicher Cocktail. Das gilt auch für Pastoren und Priester, auch die vermitteln einen gefährlichen Cocktail.
Das Wesentliche ist viel einfacher: Liebe und Mitgefühl finden wir in jeder Religion. Die Botschaft ist einfach, sie muss nur in die Praxis umgesetzt werden. Der Rest findet sich von selbst. Wir brauchen kein grösseres Buch als jenes mit diesen beiden Wörtern: Liebe und Mitgefühl. Ein «two-words-book».
Interview swissinfo, Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Andreas Vollenweider wird am 4. Oktober 1953 in Zürich geboren. Sein Vater ist Organist.
1975 entdeckt er die Harfe, aus der er später die elektro-akustische Harfe entwickelt. Sein 1. Album «Eine Art Suite in XIII Teilen» kommt 1979 in der Schweiz heraus.
Seither tritt der Harfenspieler in den wichtigsten Sälen der Welt auf. Bis heute hat er 14 Alben herausgegeben, von denen insgesamt über 15 Millionen verkauft wurden.
Seine Musik ist vor allem instrumental, doch kommen auch immer wieder Singstimmen dazu. So hat er mit Künstlerinnen und Künstlern ganz unterschiedlicher Richtungen zusammengearbeitet, mit Luciano Pavarotti, Bobby McFerrin, Abdullah Ibrahim, Carly Simon, Zucchero, Bryan Adams u.a.
Er hat zwei Grammy Awards erhalten, einen für das Album «Down to the Moon», den anderen für sein Gesamtwerk.
Seine jüngste CD, «Midnight Clear», auf der auch die amerikanische Sängerin Carly Simon zu hören ist, kam im November 2006 heraus.
Das Originalband der DVD «The Magical Journeys of Andreas Vollenweider» kam im September 2006 heraus und wurde in der Kategorie «Best New Age Album» für den Grammy Award nominiert. Die Feier zur Preisübergabe findet am 11. Februar 2007 in Los Angeles statt.
Die Doppel-DVD hat eine Dauer von fast vier Stunden und stellt Konzerte aus 25 Jahren in der ganzen Welt vor, vom Jazz Festival Montreux bis Japan, USA und Afrika. Unter anderem mit Adullah Ibrahim, David Lindley, Carly Simon, Ladysmith Black Mambazo, Michael Brecker, dem Warschauer Sinfonieorchester und dem Kammerorchester Zürich.
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