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Annemarie Schwarzenbach in New York

Annemarie Schwarzenbach: Montgomery, 1938, Ausschnitt [swissinstitute.net] www.swissinstitute.net

Das Schweizer Institut für zeitgenössische Kunst in New York rückt unter dem Titel "Annemarie Schwarzenbach: The Dark Years 1937 -1938" die Fotografie ins Rampenlicht.

Die Ausstellung soll die Schweizer Fotografin einem amerikanischen Publikum vorstellen.

Keine Regel ohne Ausnahme. Das sagte sich auch das Schweizer Institut für zeitgenössische Kunst in New York (SI), als es sich entschied, die berühmte Zürcherin und rund fünfzig ihrer eindrücklichen Fotografien auszustellen.

In der Regel präsentiert das SI aktuelle, keine vergangenen Künstlerinnen und Künstler. Die Ausstellung von Werken der Schweizer Fotografin, Reporterin und Schriftstellerin der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ist bis Ende August zu sehen.

Elterliches Erbe

Annemarie Schwarzenbach kam am 23. Mai 1908 auf die Welt. Hineingeboren in eine der reichsten Familien – ihr Vater war ein Seidenkönig, ihre Mutter die Tochter des berühmt-berüchtigten General Ulrich Wille – wächst sie an Zürichs Goldküste auf dem Gut Bocken auf.

1942 stirbt sie nach einem Fahrradunfall in Sils im Engadin. Dazwischen liegt ein Leben, das reich an Erfahrung, gross an Schmerz und ungelösten Widersprüchen war.

Zeit ihres Lebens versuchte sich die Tochter aus bestem Hause von jener gutbürgerlich rechten Gesinnung zu befreien. Zeitlebens schaffte sie es nicht, die Schatten ihrer dominanten Mutter abzuschütteln.

Zeitlebens war sie dem verführerischen Duft von Luxus nicht abgeneigt, brauchte Geld der Familie.

Ausbrüche

Fluchten aus dem engen Leben unternimmt Annemarie Schwarzenbach früh. Nach einem Geschichtsstudium in Zürich und Paris promoviert sie 1931, schreibt ihr erstes Buch, arbeitet bald als freie Schriftstellerin.

Es sind jene Jahre, in denen ihre Freundschaft zu den Geschwistern Mann, Erika und Klaus, ihren Anfang nimmt. Beide führen sie in die Berliner Künstlerszene ein. In Erika verliebt sie sich unglücklich, erstmals nimmt sie Morphium.

Und sie geht auf Reisen. Vorderasien ist das Ziel. Immer dabei die Kamera, Schreibzeug.

Androgyne Erscheinung

Sie muss eine faszinierende Erscheinung gewesen sein in jenen Jahren. Ihr kurzgeschnittenes Haar, ihr androgyner Auftritt, gepaart mit jener eleganten Lässigkeit, die ihre Herkunft nicht verleugnen kann.

Interessiert an Politik- und Gesellschaftsfragen, schärft sich ihr Blick für die heraufziehende braune Nazigefahr, für soziale Ungerechtigkeiten, für Armut.

Gleichzeitig nehmen die Spannungen mit ihrer Familie zu. Sie ist das schwarze Schaf in der weissen Familienherde.

Amerika von unten

«Es gibt überall Schatten und Licht zu entdecken, aber man schreibt über das, was einem auf den Nägeln brennt.» Und es brennt viel in diesen düsteren Jahren. So hat Annemarie Schwarzenbach viel zu tun.

Als Reisejournalistin, als Schriftstellerin, als Fotografin: Sie reist durch ein Europa, das immer mehr durch den Nationalsozialismus geprägt wird und durch ein Amerika der grossen Depression.

Sie lässt sich ein, beschreibt und fotografiert die grossen Industriegegenden im Nordosten, jenseits von Glamour und Reichtum. Arbeitslose und streikende Fabrikarbeiter, schwarze Kinder ohne Hoffnung, Elend, Hoffnungslosigkeit. Amerika von unten.

Die Spirale dreht schneller

Ihr eigenes Leben gerät immer mehr aus den Fugen. Drogenexzesse, unglückliche Liebschaften, Selbstmordversuche sowie immer wieder Reisen und Schreiben als Ausbruchsversuch. Die Spirale dreht schneller, die Atempausen kürzer.

Als Annemarie Schwarzenbach erst 34-jährig stirbt, hinterlässt sie ein reiches Erbe. Dennoch wird es Jahre dauern, bis ihr Werk an die Öffentlichkeit findet. Lieber lässt man Gras wachsen über eine Frau, die unkonform und widersprüchlich ihren Weg ging und daran scheiterte.

Seit den 80er Jahren nun ist Annemarie Schwarzenbach zumindest einem breiten Publikum im deutschsprachigen Raum ein Begriff. Ihre Bücher sind erhältlich, werden übersetzt, Filme gedreht. Zeit, diese ungewöhnliche Schweizerin nach New York zu bringen.

Brigitta Javurek

Geboren: 23. Mai 1908 in Zürich
Gestorben: 15. November 1942 in Sils (GR)
Studium der Geschichte in Zürich und Paris
Freundschaft mit Klaus und Erika Mann (Kinder von Thomas Mann)
1933/34 längere Reisen durch Afghanistan und Vorderasien
Arbeiten als Schriftstellerin und Reisejournalistin
1935 kurze Ehe mit Claude Clarac

Ein kurzes, widersprüchliches und turbulentes Leben führte sie. Und nebenbei fühlte die Schweizerin Annemarie Schwarzenbach mit ihrer Kamera der schwierigen Zeit vor dem 2. Weltkrieg auf den Zahn. In New York werden ihre Fotos nun einem amerikanischen Publikum vorgestellt.

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