Arm, kalt, rebellisch: Der Schweizer Jura im FiIm
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2025 feierten die Solothurner Filmtage ihr 60-jähriges Bestehen mit einer Retrospektive über den Jurabogen. Die Filme zeigen den Jura als Ort des Schweizer Separatismus, der Sprachgrenzen und schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse, aber auch als Ort der Nostalgie.
Unter geografischen Gesichtspunkten lässt sich die Schweiz in drei Hauptgebiete einteilen. Da sind zum einen die Alpen, die an die Urschweiz erinnern: An Wilhelm Tell, die Alphirten und die Geschichte der Schweiz als Bund, der in seiner Festung den Beben der europäischen Geschichte trotzte.
Und dann ist da das Schweizer Mittelland. Es erstreckt sich von Genf im Südwesten bis nach St. Gallen im Nordosten. Trotz seiner sanften grünen Hügel und viel Landwirtschaftsfläche ist das Mittelland eine urbane Schweiz: Hier leben mehr als zwei Drittel der Bevölkerung des Landes. Fast alle grossen Städte, Ballungsgebiete und Industriezentren befinden sich hier. Die Zukunft der Schweiz entscheidet sich vor allem in dieser Gegend – im Mittelland.
An der Grenze zwischen der Schweiz und Frankreich liegt schliesslich der Jura. Es handelt sich um einen schmalen Streifen Mittelgebirge, der zu 70% auf französischem Territorium liegt. Der Jura prägt die Landschaft in den Kantonen Waadt, Neuenburg, Bern, Jura, Solothurn und Basel-Landschaft. Im Bewusstsein der Schweizer Bevölkerung spielt der Jura jedoch eine viel geringere Rolle als die Alpen oder das Mittelland.
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Die Solothurner FilmtageExterner Link, das jährliche Schaufenster des Schweizer Filmschaffens, fanden 2025 vom 22. bis 29. Januar statt. Es war die 60. Ausgabe. Anlässlich dieses Jubiläums wurde eine RetrospektiveExterner Link mit 30 Filmen gezeigt, die den «Imaginaires du Jura» gewidmet war, also dem Bild des Jura, wie es im schweizerischen und französischen Film gezeichnet wird. Die Leitfrage war: Wenn die Alpen in gewissem Sinne die Vergangenheit der Schweiz spiegeln und das Mittelland ihre Gegenwart und Zukunft, welche Rolle spielt der Jura?
Brandstiftung und Bomben
Eine der bemerkenswertesten Antworten auf diese Frage kam indes nicht aus der Retrospektive des Festivals, sondern aus der Sektion Langfilme: Der Dokumentarfilm von Pierre-Alain Meier aus dem Jahr 2024 Sans Roland Béguelin et Marcel Boillat, pas de Canton du Jura!Externer Link («Ohne Roland Béguelin und Marcel Boillat kein Kanton Jura!»). Dieser erzählt die Geschichte von der einzigen grossen Separatistenbewegung in der modernen Schweiz, die ab 1947 die französischsprachigen Teile des Kantons Bern erfasste.
Der radikale Flügel der Separatisten-Bewegung lancierte in den 1960er und 1970er Jahren Aufsehen erregende Aktionen mit Bomben und Brandstiftungen, die schlussendlich 1978 zur Gründung des Kantons Jura führten.
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Der Grund für den Aufruhr der Separatisten – das zeigt Meiers Collage aus Archivmaterial – war nicht nur die historische Demütigung, weil der Jura 1815 vom Kanton Bern annektiert worden war. Vielmehr war es das weit verbreitete Gefühl der Französischsprachigen, nicht als gleichberechtigter Teil der Bevölkerung akzeptiert zu werden.
Es war das Gefühl, dass die Menschen aus dem Berner Jura und ihre frankophone kulturelle Identität von den deutschsprachigen Behörden lediglich als Hindernis in einem vollständigen Assimilationsprozess gesehen wurden.
Wofür steht der Jura? Für Meier – und für Roland Béguelin (Mitbegründer der jurassischen Separatistenbewegung Mouvement séparatiste jurassien, die 1951 zum Rassemblement jurassien RJ wurde) – ist die Region ein Symbol für den französischsprachigen Widerstand gegen die kulturelle, politische, wirtschaftliche und sprachliche Dominanz der Deutschschweizer:innen im Land.
Doch es gibt auch andere Facetten des Juras: Die Region war die Wiege der Schweizer Uhrmacherei. Dort entstanden nach 1748 weltbekannte Uhrenmarken wie Audemars Piguet, Jaeger-LeCoultre und David Candaux. Um die Wende zum 20. Jahrhundert waren die Uhren-Werkstätten der Region Zellen anarchistischer Aktivitäten, die revolutionäre Denker wie Peter Kropotkin (1842-1921) inspirierten, genauso wie den jüngsten Film von Cyril Schäublin Unrest («Unrueh») aus dem Jahr 2022.
Der «Wilde Westen» der Schweiz
Das Gebiet, das im Programmtrailer zur Retrospektive als «Wilder Westen» der Schweiz und als «Grenzgebiet» bezeichnet wird, wird in seinen filmischen Inkarnationen häufig als Treffpunkt zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen dem Vertrauten und dem Unbekannten, zwischen der Stadt und dem Land, und schliesslich zwischen dem Französischen und dem Deutschen gesehen.
Beispielsweise Gilberte de Courgenay, Franz Schnyders Klassiker des Schweizer Films aus dem Jahr 1941, also mitten im Zweiten Weltkrieg. Er handelt von einer Gruppe deutschsprachiger Schweizer Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, die Weihnachten und Neujahr mit Grenzkontrollen in einem kleinen Juradorf verbringen müssen, wo sie sich in Gilberte (Anne-Marie Blanc), die örtliche Bardame, verlieben.
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Inspiriert wurde Schnyders Film von der realen Person Gilberte Montavon. Entstanden ist mit diesem Streifen eine patriotische Hommage an die Soldaten, die die Schweizer Souveränität schützen, und an die Frauen, die ihnen helfen, das Heimweh zu bewältigen, und sie daran erinnern, ihren Liebsten in der Heimat treu zu bleiben.
In diesem Fall bietet der Jura den sich anfänglich zurückhaltenden Soldaten einen Touch der weiten Welt, wobei Gilberte eine Doppelrolle zukommt, indem sie vom exotischen französischen Akzent ablenkt und zugleich den Leidenschaften der Soldaten entgegenkommt. Mit anderen Worten: Der Jura im Film Gilberte de Courgenay ist ein Ort, den man besuchen kann, von dem man vielleicht sogar lernen kann, aber sicher kein Ort, an dem man bleiben sollte.
Ein Ort der Stagnation
Doch selbst wenn alle Charaktere aus dem Jura stammen, ist die Frage nach der Zugehörigkeit nicht einfach zu beantworten. In Tout un hiver sans feu («Ein langer Winter ohne Feuer») des polnisch-schweizerischen Regisseurs Greg Zglinski, der den Hauptpreis des Schweizer Filmpreises 2005 gewann, wird die Möglichkeit, im Jura mit seinen berüchtigten eiskalten Wintern und den anhaltenden wirtschaftlichen Problemen zu leben, in Frage gestellt.
Der Film spielt in der Stadt La Chaux-de-Fonds und ihrer Umgebung. Erzählt wird die Geschichte eines erfolglosen Milchbauern (Aurélien Recoing), der in einer Fabrik zu arbeiten beginnt, nachdem seine Frau in eine psychiatrische Institution eingewiesen wurde. In der Fabrik befreundet er sich mit einem kosovarischen Kollegen und verliebt sich prompt in dessen Schwester – bevor er unweigerlich feststellen muss, dass auch dieses neue Leben nicht so gut ist, wie er es sich anfänglich vorgestellt hatte.
Diese Dynamik gibt es auch auf der französischen Seite der Grenze, wie in Jean Chapots stimmungsvollem Krimi Die verbrannten Scheunen aus dem Jahr 1973 zu sehen ist.
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Mit den berühmten Schauspielern Alain Delon in der Rolle des Untersuchungsrichters und Simone Signoret in der Rolle der mittellosen Matriarchin, deren Sohn der Hauptverdächtige ist, zeigt der Film das französische Jura als einen Ort der Stagnation und Desillusion, dem Schwelgen in vergangenem Ruhm, des Aussterbens von Pachtbetrieben und einer sich ausbreitenden Bürokratie. Der Streifen enthält auch den ersten elektronischen Soundtrack für einen Film – komponiert von Jean-Michel Jarre.
Das Gefühl der Ambivalenz
Doch der Jura war nicht immer ein Synonym für politischen Radikalismus, romantische Deutschschweizer Fantasien und wirtschaftliche Ängste. Dies hat eine der wichtigsten Entdeckungen der Retrospektive klar gemacht: Le Châtelot, ein kurzer Dokumentarfilm von Marie-Anne Colson-Malleville aus dem Jahr 1953 über die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Frankreich bei einem Staudammprojekt am Doubs.
Der Film ist einerseits ein faszinierendes, wunderschön gefilmtes Artefakt aus der Nachkriegszeit mit dem damaligen Optimismus. Hier soll das Gute aufzeigt werden, zu dem die Technologie fähig ist. Andererseits ist es ein Film, der die Zukunft vorwegnimmt. Hier zeigt sich bereits das delikate Gleichgewicht zwischen Fortschritt und natürlicher Umgebung.
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In der Tat: Wenn wir herausarbeiten müssten, welches Bild die Solothurner Retrospektive über den Jura ergibt, wäre das bei Le Châtelots durchdringende Gefühl der Ambivalenz vielleicht die beste Zusammenfassung – zumindest für die Schweizer Seite des Jura.
Wenn die Alpen für die Vergangenheit und das Mittelland für die Zukunft stehen, dann ist der Jura vielleicht genau das, was dazwischen liegt – die Spannung zwischen bäuerlicher Nostalgie und industriellen Versprechungen, zwischen patriotischer Romantik und der Enttäuschung über die Welt, in der man lebt, zwischen politischer Utopie und dem chaotischen Einerlei aus Realpolitik und Molotow-Cocktails.
Editiert von Catherine Hickley und Eduardo Simantob; Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob/me
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In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
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