Armee-Unfall: Suche nach Vermisstem geht weiter
Der Militärunfall auf dem Kanderfluss im Berner Oberland von Donnerstag liess auch am Freitag nachmittag noch viele Fragen offen. Die Armee rechnet mit fünf Toten. Vier der fünf Verletzten haben das Spital wieder verlassen.
An einer Flusswehr (einer Schwelle) der Kander bei Wimmis kenterten am Donnerstag Mittag zwei Schlauchboote der Armee, die im Rahmen einer Teambildungs-Übung zum Rafting eingesetzt worden waren.
Traurige Bilanz: Fünf Verletzte, vier Tote und ein Vermisster, nach dem weiterhin gesucht wird. Über 100 Wehrmänner und vier Taucher der Seepolizei stehen im Einsatz. Überlebenschancen werden dem Vermissten kaum mehr eingeräumt.
Die Suche gestalte sich schwierig, weil der Fluss ein sehr starkes Geschiebe habe und das trübe Wasser die Sicht erschwere, wie Peter Luttenbacher von der Seepolizei Thunersee sagte.
Endgültige Klarheit werde wohl erst nach dem Abschluss der Untersuchung herrschen, und diese werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen, sagte Luftwaffenchef Walter Knutti vor den Medien in Spiez. Die Verunfallten gehören zu einer Lufttransport-Sicherungskompagnie, die unter Knuttis Oberkommando fällt.
Eines der beiden Unglücksboote konnte am Freitag zunächst nicht geborgen werden.
Rafting- und Kanu-Spezialisten kritisierten diese Übung, da ausgerechnet dieser Flussabschnitt der Kander in Fachkreisen als gefährlich gilt und nicht befahren werden sollte.
Ermittlungen laufen weiter
Bis Sonntag Mittag ist weiterhin unklar geblieben, warum die Armeeangehörigen auf diesem Flussabschnitt unterwegs waren. Vor den Medien in Spiez erklärten Armeeverantwortliche, diese Frage sei nach wie vor Gegenstand der Ermittlungen.
Ob die verwendeten M6-Schlauchboote auch fürs River Rafting geeignet seien, konnte die Armee am Freitag nicht sagen. Offen ist auch, ob bereits zuvor ähnliche Wildwasser-Fahrten unternommen worden waren.
Laut Armeesprecher Felix Endrich wird abgeklärt, warum die Boote bestellt worden sind.
Gefährliche Wehre mit Wasserwalzen
Der 59jährige swissraft-Gründer Daniel Chezière, ein Rafting-Pionier der Schweiz, sagte gegenüber swissinfo: «Flusswehre, die gebaut wurden, um das Abfluss-Tempo bei Hochwasser zu verlangsamen, sind im River Rafting ein Tabu.»
Dieses Tabu sei eine der ersten Regeln für Kanu-Fahrer und Rafting-Sportler. «Nach dem Fall über die Schwelle bildet das Wasser Wirbel, die der Bewegung einer Waschmaschine gleichen,» so Chezière.
«Einmal in so einer Wasserwalze gefangen, kommt man kaum noch heraus. Dazu kommt, dass man sich in einer Art Schaumbad befindet, in dem Schwimmbewegungen wenig nützen.»
Es gebe auch keinen Bootstyp, so der Rafting-Pionier, der solchen Flusswehren gewachsen sei. «Nach meiner Einschätzung waren sich die Verantwortlichen der Gefahr einfach nicht bewusst. Es ist offensichtlich, dass keiner der Beteiligten eine Ahnung von Wildwasser hatte», so Chezière.
Flussabschnitt unbefahrbar
Auch weitere Wildwasser-Spezialisten bestätigen Chezières Einschätzung. «Flussabwärts bis Wimmis werden wegen der hohen Wehre keine Fahrten durchgeführt», sagt Friedrich Witschi, Fahrtenwart des Kanu Klubs Bern.
Felix Bürgi, Rafting- und Kanu-Führer und Geschäftsführer der Swiss Outdoor Company, sagt, der betreffende Flussabschnitt werde auch auf der TCS-Gewässerkarte der Schweiz als unbefahrbar bezeichnet.
Bürgi bezweifelt auch die Eignung der von den Armee-Angehörigen benutzten Schlauchboote. Sie seien zu schwer und schwierig zu manövrieren.
Mehr Vorsicht und Umsicht bei Übungen
Armeechef Roland Nef rief die Militärkader am Freitag nachmittag zur Vorsicht auf und sicherte eine lückenlose Aufklärung der Hintergründe zu.
In seiner Stellungnahme zum Bootunfall in Wimmis sagte er: «Menschen zu verlieren ist besonders in Friedenszeiten sehr schlimm.» Damit die Armee ihren Auftrag erfüllen könne, müssen zwar Risiken in Kauf genommen werden, aber sie müssten so klein wie möglich gehalten werden.
«Ich bin zutiefst erschüttert, dass Kameraden bei einer Tätigkeit für die Armee ums Leben gekommen sind», wandte sich der Armeechef an die Truppe. Nef sprach allen Angehörigen, Kameraden und Freunden der vom Unglück Betroffenen sein Beileid aus.
swissinfo und Agenturen
Die Armeeangehörigen gehörten zur Lufttransport-Abteilung 3 (LTAbt 3).
Der Standort der Lufttransport-Sicherungskompagnie 3 (LT Si Kp 3) befindet sich im Wimmis. Sie sichert den Militärflugpaltz Alpnach und die Standorte der LT Abt 3.
Die zehn mit den beiden Schlauchbooten Verunglückten stammen alle aus der Deutschschweiz.
Es sind Offiziere und Unteroffiziere im Alter zwischen 25 und 33 Jahren, die sich im Wiederholungskurs befanden.
Zur Zeit stehen rund 15’000 Armee-Angehörige im Dienst; 9’000 davon für die Euro-2008-Fussballmeisterschaft.
Am 12. November 1997 sterben beim Absturz eines Pilatus-Porters bei Boltigen im Kanton Bern alle fünf Insassen.
Am 25. Mai 2001 werden beim Absturz eines Alouette-III-Helikopters der Luftwaffe nahe bei Delsberg alle vier Insassen getötet.
Am 12. Oktober 2001 sterben die vier Insassen beim Absturz eines Armeehelikopters vom Typ Alouette III oberhalb von Crans-Montana im Wallis.
Am 12. Juli 2007 werden sechs Armeeangehörige beim Aufstieg zum Jungfraugipfel im Berner Oberland von einem Schneebrett in den Tod gerissen.
Am 23. Januar 2008 stürzt ein Rekrut in Winterthur von einem Armeefahrzeug auf die Autobahn und stirbt.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch