Schweizer Kunst in Paris im Scheinwerferlicht
In Paris hat die "Art Paris Art Fair" ihre Tore geöffnet. Im Zentrum der diesjährigen Kunstmesse im majestätischen Grand Palais an der Seine: Junge Gegenwartskunst aus der Schweiz.
Bei Einbruch der Dunkelheit wird die Fassade des Grand Palais auf einmal lebendig: Füchse, Hirsche und Vögel ziehen vorbei. Dann fallen Schneeflocken vom Himmel, bevor eine grosse, rot-weiss karierte Tischdecke das gewaltige Bauwerk überzieht.
Diese spektakuläre Projektion ist das Werk von Camille Scherrer, einer jungen Künstlerin aus den Bergen des Pays d’Enhaut im Kanton Waadt. Ihr Werk ist geprägt von Schweizer Tradition und Folklore.
Sie muss man sich merken
Bei ihrem Auftritt in Paris wird Camille Scherrer von ihren Kollegen Alan Bogana aus dem Tessin und Yves Netzhammer aus Schaffhausen begleitet. Letzterer hat sich im Bereich Videokunst einen Namen gemacht.
Ihre Präsenz an der Seine ist kein Zufall: Vom 5. bis 8. April fokussiert die «Art Paris Art Fair» auf die Schweiz. Im Grand Palais stellen rund hundert Schweizer Künstlerinnen und Künstler ihre Werke aus.
Schwerpunkte sind ein Videoprogramm, das 25 Künstlerinnen bestreiten, sowie eine Schau mit vierzig Leihgaben aus der Sammlung der Helvetia. Die Versicherung besitzt mit 1700 Werken eine der grössten Unternehmenssammlungen des Landes.
Entdeckergeist
«Wir haben gar nicht erst versucht, vollständig zu sein», sagt Karine Tissot, Gastkuratorin des Schweizer Schwerpunkts in Paris. «Wir wollen vielmehr zeigen, dass die Schweiz keine dominante Kultur hat und dass sich diese kulturelle Vielfalt in der Vielfalt der bildenden Kunst widerspiegelt», sagt die Direktorin des Museums für Gegenwartskunst Yverdon.
In ihrer Arbeit am Schweizer Programm in Paris hat sich die Kuratorin auf ihren Entdeckergeist verlassen. Als Folge setzt sie mehr auf junge Künstler als auf grosse Namen. «Ich freue mich besonders, dass ich die Neuerwerbungen der Helvetia-Sammlung aus dem Schatten zerren konnte, obwohl nur 40 Werke zu sehen sind», sagt Karine Tissot.Aber wie sind die Macher der Pariser Messe auf die Schweizer Kunst gekommen? Direktor Guillaume Piens unterstreicht sein persönliches Interesse an der Schweizer Kunstszene des 20. und 21. Jahrhunderts. «Sie ist einzigartig, wenn man an Bewegungen wie Dada denkt, und auch sehr reich».
Was Piens besonders beeindruckt, ist die konsequent dezentrale, regionale Ausrichtung des Schweizer Kunstbetriebs. «Für einen Pariser wie mich ist es sehr ungewöhnlich, dass zeitgenössische Kunst das gesamte Territorium eines Landes durchfluten kann. Dies ist in der Schweiz der Fall. Dank Schulen und Ausstellungen von sehr hoher Qualität auch in kleinen Städten.»
Und weiter: «Die Einladung der Schweiz entspricht dem Bekenntnis der Art Paris zum ‹kosmopolitischen Regionalismus›. Damit ist der Wunsch verbunden, von den ‹Kunstautobahnen› wegzukommen und Europa in seiner Vielfalt zu erkunden.»
In Frankreich wisse man so gut wie nichts, was junge Schweizer Kunst betreffe, sagt Piens weiter. «Bei der Vorbereitung des Projekts war mir klargeworden, dass ich mich auf die 1990er-Jahre bezogen hatte, als ich von Grössen wie Fischli & Weiss, John Armleder und Sylvie Fleury gesprochen hatte. Daher unser Wunsch, die neue Generation sichtbar zu machen.»
Internationale Reichweite
Ihr Ehrenplatz an der «Art Paris Art Faire» zeigt auch, wie sehr sich die Schweizer Szene in den letzten dreissig Jahren international etabliert hat. «Früher war es für Künstler sehr schwierig, in der Schweiz zu leben und zu arbeiten, einem kleinen Land ohne grosses urbanes Zentrum und mit einer langen Tradition der angewandten Kunst» sagt Karine Tissot. Die bildende Kunst sei erst später aufgekommen.
«Viele Schweizer Künstler kamen auch nach Paris. Aber innerhalb einer einzigen Generation hat sich sehr viel verändert. Heute gehen angewandte und bildende Kunst Hand in Hand, und die Schweiz breitet sich international mit ihren Architekten, Designern und Künstlern aus.»
Am Markt für zeitgenössische Kunst ist die Schweiz heute nicht nur als wichtiger internationaler Akteur anerkannt, sondern sie nimmt auch eine führende Rolle ein. Dies dank der starken Präsenz von Mäzenen, Galerien, Kuratoren und Sammlungen – und natürlich der Art Basel, der Mutter aller Kunstmessen.
Nicht zu vergessen sind auch der Einfluss und die Ausstrahlung der Kunstschulen, von denen sich einige einen hervorragenden Ruf weit über die Landesgrenzen hinaus erarbeitet haben. So rangiert die Kantonale Hochschule für Kunst und Design Lausanne in ihrer Domäne regelmässig unter den zehn besten Ausbildungsstätten der Welt.
Art Paris Art Fair
Unter den grossen Kunstmessen der französischen Metropole nimmt die Foire internationale d’art contemporain, besser bekannt unter dem Akronym FIAC, den ersten Platz ein. Sie findet jedes Jahr im Herbst statt.
Aber die Art Paris Art Fair, die sich der modernen und zeitgenössischen Kunst widmet, hat mächtig aufgeholt. Vor 20 Jahren gegründet, vereint sie heuer 142 Galerien, die tausend Künstler aus 73 Ländern präsentieren.
2017 zog die viertägige Veranstaltung rund 55’000 Besucher an. Zum Vergleich: Die Art Basel, die grösste Messe der Welt, kommt auf fast 100’000 Besucher.
Mit über 700 akkreditierten Journalisten ist die Art Paris Art Fair auch ein wichtiger Marktplatz für die internationale Fachpresse.
Zum 20. Geburtstag ehrt die Pariser Messe neben der Schweiz die französische Szene – mit einer Auswahl von 20 Künstlerinnen und Künstlern von den späten 1960er-Jahren bis heute.
Übertrsagung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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