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Auf Robert Walsers Spuren durch Europa

Robert Walser 1939 auf einer Wanderung von Herisau nach Wil. Keystone

In Robert Walsers Geburtsstadt Biel findet der Auftakt zum Gedenkjahr für den ebenso grossen wie – zu Lebzeiten - verkannten Schweizer Dichter statt.

Mit Ausstellungen, Lesungen, Theater- und Filmvorführungen von Prag über Bern bis Kopenhagen wird an den vor 50 Jahren verstorbenen Schriftsteller erinnert.

«Mir ziemt es, möglichst unauffällig zu verschwinden»: So kommentierte Robert Walser 1943 auf einem Spaziergang mit seinem Freund und späteren Vormund und Nachlassverwalter Carl Seelig seinen Rückzug aus der Welt. Die letzten 23 Jahre seines Lebens verbrachte er in der Heil- und Pflegeanstalt Herisau.

Während seinem letzten Spaziergang, allein, am Weihnachtstag 1956, brach Walser zusammen und blieb tot im Schnee liegen. Auch der Wanderer Walser wird also geehrt, wenn am 8. April in Biel das «Literarische Weg- und Wandernetz Robert Walser» feierlich eingeweiht wird.

Es verbindet neun Stationen aus der Biografie des Dichters zu einem literarischen Spaziergang durch seine Geburtsstadt. Ausserdem gibt es in der Umgebung Biels fünf literarische Wanderwege, die Passagen von Walsers Prosa folgen.

Von Biel über Berlin nach Herisau

Den zu Lebzeiten verkannten Schriftsteller zog es schon bald ins Ausland. In Berlin veröffentlichte Walser seine drei Romane «Geschwister Tanner» (1907), «Der Gehülfe» (1908) und «Jakob von Gunten» (1909), die ihm einen Achtungserfolg einbrachten.

Dennoch konnte er sich im literarischen Leben der deutschen Hauptstadt nicht durchsetzen und kehrte 1913 mit dem Gefühl, gescheitert zu sein, in seine Heimatstadt Biel zurück.

Danach lebte er mehr schlecht als recht in rasch wechselnden Wohnungen in Biel und Bern, bis er 1929 auf Drängen seiner Schwester Lisa in die Psychiatrische Anstalt Waldau bei Bern eintrat. Das bedeutete das Ende seiner literarischen Tätigkeit: «Es ist eine Rohheit, an mich den Anspruch zu stellen, auch in der Anstalt zu schriftstellern», schrieb er dazu, denn Schreiben sei nur in Freiheit möglich.

In Herisau, Walsers letzter Station, wird nun an seinem Geburtstag, dem 15. April, der 3. Herisauer Robert-Walser-Sommer eröffnet. Zum Auftakt einer bis zu Walsers Todestag am 25. Dezember dauernden Veranstaltungsserie ist der preisgekrönte deutsche Fernsehfilm «Der Vormund und sein Dichter» von Percy Adlon zu sehen, eine freie Adaption von Carl Seeligs Buch «Wanderungen mit Robert Walser».

Ausstellung über die «Mikrogramme»

Das Robert-Walser-Archiv hatte in den 70er Jahren angefangen, die vorerst für eine Geheimschrift gehaltenen «Mikrogramme» des Dichters zu entziffern. Nun sollen diese 526 Blätter, die Walser 1924-33 in winziger Schrift voll geschrieben hatte, von September bis November in der Fondation Bodmer in Cologny bei Genf ausgestellt werden.

Am Schweizer Nationalfeiertag wird zudem im neuen Literaturhaus Frankfurt eine grosse, vom Walser-Archiv konzipierte Wanderausstellung eröffnet, die anschliessend in Berlin, Prag und schliesslich im Zentrum Paul Klee in Bern gezeigt wird.

Einfluss auf Jelinek, Handke und Bichsel

Erst nach seinem Tod fanden Walsers Bücher eine grosse Resonanz und wurden inzwischen in zahlreiche Sprachen übersetzt. Bereits von Robert Musil, Franz Kafka und Hermann Hesse bewundert, hatte Robert Walser auch eine grosse Wirkung auf zeitgenössische Autoren wie Martin Walser, Peter Bichsel, Peter Handke und die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die ein Theaterstück über ihn geschrieben hat.

Jelinek ist denn auch eine der zahlreichen Prominenten, die dem Patronatskomitee des Robert-Walser-Gedenkjahrs angehören – neben den Autoren Urs Widmer, Adolf Muschg, Peter von Matt, John M. Coetzee, dem Schweizer Bundespräsidenten Moritz Leuenberger, dem Schauspieler Bruno Ganz und vielen anderen mehr.

Es entspricht dem späten Ruhm Walsers, dass das Gedenkjahr 50 Jahre nach seinem Tod nun weit über die Schweizer Grenzen hinausreicht. Neben mehreren Schweizer und deutschen Städten feiern auch Paris, Rom, Prag, Kopenhagen und Reykjavik den hintersinnigen Schriftsteller, der schon immer wusste: «Nicht auf der geraden Strasse, sondern auf Umwegen findet man das Leben.»

swissinfo, Susanne Schanda

Das Robert-Walser-Gedenkjahr 2006 wird am 8. April mit der Einweihung des literarischen Wegnetzes in Biel eröffnet; an der Ecke Nidaugasse/Dufourstrasse, vor Walsers Elternhaus.

In Herisau wird am 15. April der 3. Herisauer Robert-Walser-Sommer mit der Film-Matinée «Der Vormund und sein Dichter» von Percy Adlon eröffnet.

Weitere Veranstaltungen und zwei grosse Ausstellungen finden bis im Januar 2007 in Bern, Thun, Zürich, St. Gallen, Sils Maria, Cologny, Paris, Rom, München, Frankfurt, Berlin, Hamburg, Kopenhagen, Prag und Reykjavik statt.

Robert Walser wurde am 15.4.1878 in Biel geboren.
Nach einer Banklehre lebte er einige Jahre in Biel, Bern und Zürich.
1905 zog er nach Berlin und besuchte eine Dienerschule.
Seine bekanntesten Romane schrieb er in der kurzen Zeitspanne von 1907-09, «Geschwister Tanner», «Der Gehülfe» und «Jakob von Gunten».
1913 kehrte er in die Schweiz zurück.
1929 trat er in die Psychiatrische Anstalt Waldau bei Bern ein.
1933 bis zu seinem Tod am 25.12.1956 lebte er in der Heil- und Pflegeanstalt Herisau.

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