Ausgezeichnete schweizerische Identität
Für den sorgfältigen Umgang mit ihrem baulichen Erbe und die konsequente Umsetzung von Toparchitektur bei Neubauten erhalten die SBB den Wakker-Preis 2005.
Der Schweizer Heimatschutz feiert sein 100-jähriges Jubiläum und zeigt mit dem Preis, dass Heimatschutz Gestalten und Erhalten umfasst.
«Die Schweizerischen Bundesbahnen, SBB, sind für uns ein idealer Preisträger. Die Leute haben Gelegenheit, die Bauten zu begehen und anzuschauen», erläutert Karin Artho vom Schweizer Heimatschutz im Gespräch mit swissinfo.
30 Jahre lange konsequente Politik
«Aus unserer Perspektive markiert die Sanierung des Hauptbahnhofs Zürich einen Wendepunkt. Die SBB wollten damals abbrechen und neu bauen. Die involvierten Kreise haben sich auf eine Sanierung geeinigt.»
In den 70er Jahren, unter dem damaligen Chefarchitekten Uli Huber, haben die SBB bewusst eine konsequente Architekturpolitik entwickelt. «Das Ziel war und ist ein klar definiertes, Identität stiftendes Erscheinungsbild. Dazu gehören Spitzenarchitektur und das Bewahren der schützenswerten Bauten unserer Geschichte», erzählt Toni Häfliger, Leiter der SBB-Fachstelle für Denkmalpflege, swissinfo.
Bahnhöfe: Orte, nicht Unorte
Heute ist der Hauptbahnhof Zürich auch ein architektonisches Flaggschiff der SBB. Wer in Zürich ankommt, weiss, dass er weder auf einem Flughafen, noch in Luzern, Chur oder Basel ist.
Auch zahlreiche andere Schweizer Bahnhöfe haben eine spezifische Identität, einen Bezug zum Ort, und setzen städtebauliche Akzente. Im Gegensatz zu vielen Einkaufszentren, Autobahn-Raststätten oder andern Transitzonen, sind sie keine Unorte.
Der Bahnhof Zürich-Stadelhofen (1983) ist ein Frühwerk von Santiago Calatrava. Die SBB gehören zu den Entdeckern des mittlerweile weltweit mit Preisen ausgezeichneten Ingenieurs und Architekten.
In Basel bauten die Bundesbahnen in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren ein Lokomotivdepot und zwei Stellwerke von Herzog & de Meuron, also Jahre vor dem internationalen Durchbruch der Stararchitekten mit der «Tate Modern» in London.
Spitzenarchitektur ist Marketing
Architektur-Wettbewerbe gehören bei der SBB zur Unternehmenskultur. «Die meisten Neubauten sind architektonisch hochstehend. Sie haben eine Vorbildfunktion und tragen entscheidend dazu bei, dass die Öffentlichkeit über zeitgenössische Architektur diskutiert», lobt Karin Artho.
Für die SBB bedeutet der Wakker-Preis die Anerkennung für jahrzehntelanges Bemühen um Qualität. «Wir sind ein Ingenieur-Unternehmen und haben nicht nur Schöngeister bei uns», sagt Toni Häfliger und bezeichnet die Fachstelle für Denkmalpflege als eine Art internes Gewissen. «Seit Jahren spüren wir auch bei unseren Ingenieuren und im Management eine stark wachsende Sensibilität für Architektur und Kulturgüterschutz.»
Ästhetische Bahnhöfe und ausgesuchte Hightech-Bauten sind genauso ein Marketinginstrument wie attraktives Rollmaterial. «Wieso sollen sich nur die Autos mit Schlagwörtern wie ‹dynamisch› und ’stromlinienförmig› gegenseitig überbieten?», fragt Häfliger. «Gut gestaltete Anlagen werden auch von unsern Kunden besser akzeptiert.»
Mit Güterabwägung gütlich einigen
Nicht immer können die SBB dynamische Neubauten erstellen. «Es ist klar, dass sie anderen betrieblichen Zwängen unterliegen als die Denkmalpflege», führt Karin Artho aus. «Aber in den meisten Fällen können sich die beiden Seiten einigen.»
Das Natur- und Heimatschutzgesetz verpflichtet die SBB zur Sorgfalt. Gleichzeitig muss das Unternehmen betriebswirtschaftliche Grundsätze einhalten. «Die SBB haben schon vor Jahrzehnten gute Architektur gebaut. Mittlerweile sind etliche Bauten als schützenswert klassiert», so Häfliger.
«Es ist immer eine Frage der so genannten Güterabwägung», argumentiert er. «Vielfach geht es auch um die Frage, ob wir alles abbrechen oder nur einen Teil und den Rest sanieren.»
Der Bogen von der Altstadt zur Brücke
Der erste Wakker-Preis zeichnete 1972 die Ortschaft Stein am Rhein für ihr Altstadtbild aus. 2005 sind es Bahnhöfe, Schuppen, Werkstätten, Stellwerke, Kraftwerksbauten, Tunnels und Brücken.
«Wir wollen im Jubiläumsjahr unterstreichen, dass Heimatschutz nicht nur das Erhalten, sondern genauso das Gestalten umfasst», begründet Karin Artho vom Schweizer Heimatschutz die Auszeichnung.
swissinfo, Andreas Keiser
Die SBB sind Besitzerin von rund 6000 Gebäuden und 7000 Brücken.
Sie investieren jährlich 170 Mio. Franken in Immobilien.
Der Wakker-Preis des Schweizer Heimatschutzes geht zurück auf das Vermächtnis des Genfers Henri-Louis Wakker (1875-1972).
Der Preis wird seit 1972 jährlich an eine politische Gemeinde vergeben.
Mit den SBB zeichnet hat der Heimatschutz am 20. August zum ersten Mal eine andere Institution ausgezeichnet.
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