«Auslandschweizer sind Vorposten der Schweiz»
"Wie erreichen wir die Jungen?" Darüber wurde an der Auslandschweizer-Tagung in Wien intensiv diskutiert und nach Lösungen gesucht. Eine wichtige Arbeit, denn Nachwuchssorgen plagen nicht nur die Vereine in Österreich, sie sind weltweit verbreitet.
Noch nie haben so viele Schweizerinnen und Schweizer im Ausland gelebt wie heutzutage. Trotzdem leiden die Auslandschweizervereine unter Nachwuchsschwund, die Überalterung nimmt teilweise dramatisch zu.
An der Delegierten-Tagung vom 19. bis 21. Juni in Wien präsentierte Markus Widmer von der Schweizer Gesellschaft Wien den Abgeordneten der österreichischen Auslandschweizervereine Ansätze, wie dieses Problem angegangen werden könnte. Dabei waren auch Vertreter aus den zahlenmässig geringeren Gemeinden in Slowenien, der Slowakei und Liechtenstein.
Die Institution Verein hat heute ein altes Image.»Potentielle junge Mitglieder schauen sich die Vereine an und sagen: Oh, mein Gott, diese alten Leute, da fühle ich mich nicht zugehörig.› Wir müssen uns also überlegen, wie wir sie ansprechen können», erklärt Widmer, Jugendbeauftragter und ‹Schriftführer› der Schweizer Gesellschaft Wien.
Popkultur statt Hochkultur
Er propagiert die Anpassung des Vereinsprogramms an Jüngere und sich jung Fühlende. Lockerer und niederschwelliger soll es zu und hergehen mit der Konzentration auf Werte wie Gemeinsamkeit, Geselligkeit und Identifikation.
«Man soll nicht versuchen, eine Kulturprogramm zu machen, das sowieso nicht mit dem städtischen mithalten kann.» Widmer weist auf den erfolgreichen Schweizer Stammtisch in Wien hin. Dort treffe man sich jeden ersten Donnerstag im Monat – zwangslos.
Er propagiert Popkultur statt Hochkultur, Kino statt Burgtheater, Open Air statt Oper und Grillen statt Gala-Diners.
Der Erfolg scheint ihm recht zu geben. Auch ältere Mitglieder freuen sich, dass etwas passiert, da sich wieder Nachwuchs meldet. Klar gebe es auch solche, die sich fragten, wie Rockmusik zu einem Schweizer Verein passe.
Diese Rezepte helfen den Vereinen in Slowenien und der Slowakei weniger, denn sie sind mehr als die Österreicher oder Liechtensteiner vom Fehlen einer jungen Basis betroffen: In den beiden Ländern leben vor allem Rückkehrer, deren Kinder meist in der Schweiz zurückbleiben, erklärt Juraj Danko vom Schweizer Verein Slowakei.
Neue Kommunikationsformen
Aber wie hält man Kontakt unter den jüngeren Angehörigen der Schweizer Gemeinde? Widmer: «Wir haben zwar eine Webseite, auf der die aktuellen Veranstaltungen angekündigt werden. Sie ist jedoch noch nicht sehr interaktiv. Untereinander sind wir vernetzt via Plattformen wie Facebook oder Twitter.»
«Eines der erfolgreichsten Prinzipien im Internet ist das Teilen, das Sharing von Inhalten, Ideen, Bildern, Medien. Wenn wir es schaffen könnten, dass wir Auslandschweizer übers Internet dieses Prinzip des Teilens und des Mitteilens leben, würde das unsere Gemeinschaft weltweit aufwerten.»
Und dass in den Österreichischen Schweizer Vereinen derzeit im Bereich Internet Nachholbedarf besteht, zeigt sich auch darin, dass lediglich der Schweizer Verein Steiermark eine von der Schweizer Botschaft in Wien aufgelistete Webseite betreibt.
Schweizer Community
Widmer rennt mit seinen Vorschlägen bei der Auslandschweizer Organisation (ASO) offene Türen ein. Auch sie setzt voll auf das Medium Internet. Sie plant eine Austauschplattform im Stil von Facebook, wo sich Auslandschweizer austauschen können.
ASO-Kommunikationsleiterin Ariane Rustichelli liess in Wien durchblicken, dass Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres mit einer entsprechenden Kommunikationsplattform zu rechnen ist.
Gefährliches E-Voting?
Das Internet eigne sich nicht nur für Kommunikationszwecke, führte ASO-Präsident Jacques-Simon Eggli in Wien aus. Er hofft, dass bis 2015 alle im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer elektronisch abstimmen können. Denn bei der Stimmabgabe via Post nehme man einigen Mitbürgerinnen und –bürgern die Möglichkeit, an Abstimmungen oder Wahlen teilzunehmen, da deren Unterlagen auf dem Postweg entweder zu spät oder gar nicht eintreffen würden.
Diskutiert wurde auch die Frage, ob die elektronische Stimmabgabe zu einfach sei. Bringt ein E-Voting mit seinem Tempo auch mehr Nachlässigkeit ins Wahl- und Abstimmungsgeschäft? Die Mehrheit der Delegierten teilt diese Befürchtungen nicht.
Überalterung nicht neu
Die Überalterung der Schweizer Ausländervereine scheint aber kein neues Problem zu sein. So weist Peter Bickel, «Lokalredaktor» der Auslandschweizer Revue, darauf hin, dass vor 51 Jahren aus Opposition zur Schweizer Gesellschaft Wien die Schweizer Schützengesellschaft gegründet worden sei.
Für den bald 80-Jährigen haben aktive Auslandschweizerclubs eine wichtige politische Funktion, denn «die Auslandschweizer sind der Vorposten der Schweiz».
Liechtenstein im Entenfieber
Dass man auch ohne Internet eine neues Publikum ansprechen kann, zeigt Heinz Felder von Schweizer Verein Liechtenstein. Sein Verein veranstaltet seit einigen Jahren ein Entenrennen.
Dabei werden 3500 herzige kleine Plastik-Badeentchen in einem Bach ausgesetzt: Wessen Entchen den Parcours am schnellsten zurücklegt, gewinnt. Mit diesem Rennen holten sich, so Felder, die Schweizer in Liechtenstein eine gute Presse.
Denn inzwischen sei dieses Rennen im ‹Ländle› so verwurzelt, dass die Liechtensteinische Post Entenzertifikate verkaufe. Die Käufer hoffen, dass «ihr» Tierchen den Wasser-Parcours als eines der ersten 25 zurücklegt, und damit einen Preis gewinnt. Den Erlös des Rennens spendet der Schweizer Verein Liechtenstein übrigens einem guten Zweck.
Etienne Strebel, Wien, swissinfo.ch
2008 waren 676’176 (rund 10%) der Schweizerinnen und Schweizer im Ausland ansässig; die Mehrheit in Ländern der Europäischen Union.
Die grössten Schweizer Kolonien befinden sich in Frankreich (176’723), Deutschland (75’008), den USA (73’978), Italien (48’147) und Grossbritannien (28’438).
In Österreich lebten 14’002, in der Slowakei 284, in Slowenien 337 und in Liechtenstein 3584 Schweizerinnen und Schweizer.
Die Auslandschweizer würden den viertgrössten Kanton der Schweiz bilden, hinter Zürich, Bern und Waadt.
124’399 Auslandschweizer hatten sich 2008 in einem Stimmregister eingetragen (+4,2% gegenüber 2007 oder 23,9% der gesamten Auslandschweizergemeinde)
Mit einer baldigen Einführung von E-Voting soll für die immer zahlreicher werdenden politisch aktiven Auslandschweizer gewährleistet werden, dass sie nicht wegen verspätet eintreffenden oder falsch zugestellten Abstimmungsunterlagen an der Ausübung ihrer politischen Rechte gehindert werden.
In den neuen Strukturen des Auslandschweizerrates (ASR) erhält Österreich neu 3 Sitze. Einstimmig gewählt wurden Ivo Dürr aus Wien, Therse Prutsch-Imhof aus der Steiermark und Albert Baumberger aus Vorarlberg.
Der ASR ist die höchste Instanz (Parlament) der Auslandschweizer-Organisation. Er vertritt die Interessen aller Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer und ist der anerkannte Gesprächspartner der Schweizer Behörden.
Er trifft sich zweimal jährlich in der Schweiz, um politische Themen zu diskutieren, die die Fünfte Schweiz betreffen und um den Standpunkt der Auslandschweizer bekannt zu geben.
Der Rat hat 130 Mitglieder, welche die Schweizer Kolonien auf der ganzen Welt vertreten, sowie 40 weitere, die in der Schweiz wohnhaft sind.
Die nächste Sitzung des Rats findet anlässlich des 87. Kongresses der Auslandschweizer vom 7.-9. August in Luzern statt.
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