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Ballettstar sinniert über das Älterwerden

swissinfo/Thomas Kern

Der japanische Ballettstar Tetsuya "Teddy" Kumakawa, eines der Jury-Mitglieder des diesjährigen Prix de Lausanne, spricht über die Bedeutung des Schweizer Ballett-Wettbewerbs, männliche Tänzer und das Tänzerleben nach 40.

Der Haupttänzer und Leiter der K-Ballet Company in Tokio ist das zweite Mal als ehrenamtliches Jury-Mitglied am Genfersee dabei. Er hatte 1989 am Prix de Lausanne die Goldmedaille gewonnen. Dieser Preis war zur Initialzündung seiner Karriere geworden.

swissinfo.ch: Welche Bedeutung hat der Prix de Lausanne?

Tetsuya Kumakawa: Es ist eine ganz besondere Veranstaltung. Vielen jungen Tänzerinnen und Tänzern bedeutet dieser Wettbewerb sehr viel, da er Türen für ihre Karriere öffnen kann.

Ich war im Jahr vor meinem Gewinn der Goldmedaille 1989 zwar bereits an der Royal Ballet School in London, doch meine Reputation hat sich dank Lausanne ausgebreitet. Mir bedeutet es sehr viel.

Neue Talente zu entdecken ist nie einfach. Ich möchte jenem Wettbewerb, der mich der Welt bekannt machte, etwas zurückgeben. Ich will zurückzahlen, was ich gewonnen habe. Ich bin sehr froh, hier ein Ehrenamt zu bekleiden, und wenn ich als älteres Mitglied dieser Szene irgendetwas tun kann, um der jungen Generation zu helfen, will ich das tun. So einfach ist das.

Ayumu Gombi

swissinfo.ch: Auf was achten Sie als Jury-Mitglied?

T.K.: Wir beobachten, wie die Lernenden arbeiten, beurteilen ihr Potenzial und Können – aber wir schauen noch viel tiefer in jede Kandidatin, jeden Kandidaten hinein.

Für die Studenten geht es namentlich um das Selbstvertrauen und dass sie unter dem grossen Druck nicht einbrechen. Möglicherweise haben sie das ganze Jahr für diesen Wettbewerb trainiert.

Es ist ein langer Prozess über fünf Tage. An normalen Wettbewerben geht man mit einem schönen Kostüm und nett geschminkt auf die Bühne und zeigt seine Leistung ein einziges Mal. Hier ist man in einem Studio unter konstanter Beobachtung der Jury. Es kommt darauf an, wie man arbeitet und ob man dem Druck gewachsen ist.

swissinfo.ch: Wenn man Videoaufnahmen von Ihnen in Produktionen wie Don Quichotte sieht, hat man das Gefühl, Ihre hohen Sprünge würden die Schwerkraft überwinden, und während der endlosen Drehungen behalten Sie eine unglaubliche Balance. Welche Art idealisierter Bewegungen oder Emotionen wollen Sie vermitteln, wenn Sie klassisches Ballett tanzen?

T.K.: Die Musik ist sehr wichtig. Du musst instinktiv auf die Musik reagieren. Du nimmst die Musik in Deinen Körper auf und verdaust und vermittelst sie durch Bewegung. Du musst eine Passion für die Reaktion auf die Musik entwickeln – Du musst sie lieben.

Wenn Du jung bist, fokussierst Du Dich eher darauf, wie Du springst und Dich drehst. Doch das ist ein wachsender Prozess: Ist Dein Körper erst einmal erwachsen, werden Dir andere Dinge wichtig. In meinem Alter ist die Technik nicht mehr so attraktiv. Ich interessiere mich mehr dafür, Emotionen durch die Musik zu zeigen.

Tetsuya «Teddy» Kumakawa wurde 1972 in Sapporo auf der japanischen Nordinsel Hokkaido geboren.

Mit 10 Jahren beginnt er, Ballett zu erlernen. Nach starkem Zuspruch durch den Schweizer Choreographen Hans Meister, zu Besuch in Japan, tritt Kumakawa mit 15 Jahren in die Royal Ballet School in London ein.

1989 gewinnt er am Prix de Lausanne die Goldmedaille. Im gleichen Jahr tritt er der Royal Ballet Company bei – als jüngster Solotänzer in deren Geschichte. 1993 wird er Haupttänzer des Royal Ballet.

1998 tritt er aus dem Royal Ballet aus und gründet im folgenden Jahr in Japan seine eigene Tanzkompanie, die K-Ballet Company, in die er auch einige Tänzerinnen und Tänzer des Royal Ballet mitnimmt.

2003 eröffnet er die K-Ballet School für junge Tänzerinnen und Tänzer.

Für seine Interpretation und Präsentation der klassischen Stücke «Don Quichotte» und «Der Nussknacker» erhält er 2006 einen hochdotierten Preis der japanischen Zeitung «Asahi Shimbun».

Er tanzt weiterhin auf nationaler und internationaler Ebene und produziert, leitet und choreografiert Vorstellungen.

Er war zweimal Jury-Mitglied beim Prix de Lausanne.

swissinfo.ch: Ist es dasselbe im zeitgenössischen Tanz?

T.K.: Ich war immer ein klassischer Tänzer. Im zeitgenössischen Tanz musst Du ein guter Philosoph sein. Du musst sehr in Dir selber sein und die Fähigkeit entwickeln, Dich von dem, was Du siehst, abzukapseln.

Es hat mehr tiefe Bedeutung: Da das klassische Ballett über Jahre weitergegeben wurde, gibt es einen sehr ikonischen Stil, was beim zeitgenössischen Tanz nicht der Fall ist. Es ist ein ganz anderer Zugang.

swissinfo.ch: Die Anzahl männlicher Teilnehmer am Prix de Lausanne nimmt zu. Gibt es ein wachsendes Interesse an männlichen Tänzern?

T.K.: In der Geschichte des Balletts ging es immer um die Ballerinas. Doch seit dem legendären Tänzer Nijinsky galten männliche Tänzer auch als attraktiv. Vom Aspekt der Schönheit her gibt es für mich keinen Unterschied zwischen Tänzern und Tänzerinnen.

Tänzer können athletisch gesehen dynamischere Schritte ausführen, was eine sofortige Wirkung auf das Publikum hat – und auch auf Leute, die heroische Tänzer werden wollen. Für Tänzerinnen aber sind die Schönheit des Stils wie auch der tiefe und emotionale Ausdruck besser entwickelt als für die Männer.

Ballerinas erreichen diesen Punkt der Reife früher als Männer. Für einen jungen Mann ist die Technik attraktiver: Du bist voller Energie, und diese will sich ausdrücken. Das ist die Passion daran, ein männlicher Tänzer zu sein.

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swissinfo.ch: Wie hat sich der männliche klassische Tanz entwickelt, seit Sie 1989 in Lausanne die Goldmedaille gewonnen haben?

T.K.: Die Zivilisierung hat dank Youtube sehr zugenommen; jeder kann sehen, was die anderen tun. Heute kopiert jeder jeden und teilt sich die Techniken (lacht).

Die Technik ist aber nicht mehr so wichtig wie früher. In meiner Zeit war die Technik alles. Als ich ein kleines Kind war, musste ich lange suchen, um an gute Videoaufnahmen von Rudolf Nurejew oder Michail Baryschnikow zu gelangen. Ich habe sie mit meinem Taschengeld gekauft und wollte versuchen, wie sie zu sein.

Heute können die Leute eine Technik sofort teilen. Daher sind die Tänzer technisch ausgereifter als in meiner Zeit. Für sie ist die Technik nicht alles. Heute suchen sie darüber hinaus nach schönen Tanzlinien und -formen. Ich denke, das ist ein guter neuer Trend.

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swissinfo.ch: Letztes Jahr sind Sie 40 Jahre alt geworden. Sie sind neben der Leitung auch der Haupttänzer der K-Ballet Company. Sehen Sie sich noch viele Jahre auf der Bühne?

T.K.: Man muss sich seiner körperlichen Grenzen bewusst sein. In meinem Alter kann ich mich nicht mehr herumbewegen wie damals, als ich jung war. Doch ich bin als Tänzer reifer geworden.

Ich habe heute einen anderen Zugang: Ich schätze die Musik mehr, wie auch das Tanzen mit den Ballerinas und dem Rest der Company. Ich modifiziere die klassischen Stücke konstant auf meine Art; ich versuche, die Geschichte zu vereinfachen, damit sie wirklich verständlich wird, füge aber mehr Bewegungen für die Tänzerinnen und Tänzer ein, als früher.

Es gibt so viele Möglichkeiten, zu tanzen und sich selber auf der Bühne auszudrücken, so dass ich sicher auf der Bühne bleiben werde, wenn ich ein Repertoire finde, das meinem Alter entspricht.

Sollte das Publikum von mir aber die gleichen Dinge erwarten, die ich in meinen Teenager- und Zwanziger-Jahren gemacht habe, fände ich das nicht sehr attraktiv.

Die K-Ballet Company ist eine ganz besondere Company. Dank dieser privaten Tanzkompanie bin ich ein Star geworden – und als ihr Haupttänzer muss ich weitertanzen und Tickets verkaufen, so lange ich das noch kann.

Der 41. Internationale Wettbewerb für junge Tänzerinnen und Tänzer findet vom 27. Januar bis 2. Februar 2013 im Théâtre de Beaulieu in Lausanne statt. Rund 75 Kandidierende zwischen 15 und 18 Jahren aus aller Welt nehmen daran teil.

Der Wettbewerb war 1973 von Elvire und Philippe Braunschweig ins Leben gerufen worden.

Seit damals ist der Wettbewerb Partnerschaften mit fast 60 Ballettschulen und Tanzkompanien auf der ganzen Welt eingegangen.

Bis heute haben bereits über 4000 Nachwuchstänzerinnen und -tänzer aus 70 Ländern in Lausanne ihr Können unter Beweis gestellt.

Mehr als 300 Preisträgerinnen und Preisträger haben ein Stipendium oder einen Preis erhalten – für viele der Startschuss zu einer internationalen Karriere.

(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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