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Barnabás Bossharts Brasilien: schwarz und weiss

Grenzerfahrungen des Schweizer Fotografen Barnabás Bosshart, ausgestellt in Winterthur.

Der Schweizer Fotograf Barnabás Bosshart zeigt schwarz auf weiss, wie er mit der Kamera nachhaltig in drei extreme Wirklichkeiten am Rand der Zeit eingedrungen ist.

Die Fotostiftung Schweiz zeigt in Winterthur drei fotografische Langzeitbeobachtungen des Schweizer Fotografen.

1980 begann Barnabás Bosshart in Alcântara do Maranhão, im Nordosten von Brasilien, eine fotografische Langzeitbeobachtung. «Es brauchte viel Zeit, bis ich die Leute von Alcântara zu verstehen begann und bis der Augenblick kam, die Kamera hervor zu nehmen», erklärt Bosshart gegenüber swissinfo.

Ein Vierteljahrhundert später zeigt die Fotostiftung Schweiz in Winterthur «Drei Welten», die Brasilienbilder (1980-2005) von Barnabás Bosshart. An den kahlen, weißen Wänden der Ausstellung trifft der Betrachter auf drei Grenzerfahrungen, die Barnabás Bosshart mit der Kamera festgehalten hat.

In Alcântara, dieser einst prächtigen Kolonialstadt, fotografierte Bosshart archaische Menschen, die uns aus der Tiefe der Zeit scheinbar allwissend anschauen.

Zwischen Dekadenz und Aufbruch

Zu sehen sind zerbrochene Wohn- und Palastträume und Gruppenbilder von Generationen übergreifenden Clans. In einer Zeit des Umbruchs schuf Bosshart Kompositionen von scheinbarer Hoffnungslosigkeit, von Resignation, Identitätsverlust und Niedergang.

Dekadenz und Aufbruch können in Brasilien nahe zusammen liegen. Ganz in der Nähe von Alcântara entstand damals das brasilianische Kosmodrom für den Start von Fernmelde- und Wettersatelliten. «Ich stellte mir damals vor, Alcântara werde bald von Kosmonauten bevölkert sein, seinen Charakter verlieren», erzählt Bosshard gegenüber swissinfo.

Die brasilianischen Raketen steigen inzwischen bei Alcântara ins Weltall, aber die bröckelnde Kolonialstadt vermochte ihren Charakter zu bewahren, wie Barnabás Bosshart mit seinen Bildern beweist.

Extreme

1991 begann Barnabás Bosshart – als Kontrapunkt zum bukolischen Alcântara – ein Fotoprojekt in den gewalttätigen Vorstädten von Rio de Janeiro, genauer in der «Zona Norte» und in «Baixada Fluminense». Bosshart verbrachte drei Jahre in diesem schwierigen und deliktiven Umfeld, belichtete 20’000 Negative und überlebte drei bewaffnete Überfälle. Er musste das Projekt aus Sicherheitsgründen abbrechen.

In der Fotostiftung sind unter dem Arbeitstitel «Rio Exposito» beunruhigende Bilder von menschlichen Abgründen, Tragödien, unwiderstehlicher Schönheit und Poesie und vom rauschhaften Tempo der Körper zu sehen. Magische Momente von sozialer Heiterkeit treffen auf Bilder von Mord, Verbrechen, Pestilenz, Unerbittlichkeit, Blut und Rache, Selbstzerstörung und Trance.

Es war für Bosshart nicht leicht, in die Eingeweide dieser entwurzelten und entzweiten Gesellschaft einzutauchen. «Wie dringe ich mit der Kamera in eine abgeschirmte Gesellschaft ein?», fragte sich Bosshart in Rio. «Man muss reden, sich unterhalten mit den Menschen, bis man selbst nicht mehr Objekt und ausserhalb ist; dann ist der Zeitpunkt da, abzudrücken.»

Der unveräusserliche Blick

Im dritten Teil der Ausstellung sind in der Fotostiftung berührende Aufnahmen der Canela-Apanyekra-Indianer im Bundesstaat Maranhão zu sehen. Vom ehemaligen Kriegsstamm leben heute noch ungefähr 800 Menschen, die jedoch mit Nachdruck ihre Kultur und Gebräuche leben. Barnabás Bosshart nimmt im Fotomuseum den Betrachter mit zu magischen Formen des Daseins, zu Baumstammrennen der Männer unter brennender Sonne, zu lyrischen Gesangsrunden der Frauen im Abendlicht.

Bosshart zeigt in der Fotostiftung eine indigene Gesellschaft am Rand der Zeit, die sich mit ihren Kulten, Tänzen, Riten und Festen in der hektischen Zeit des neoliberalen Brasiliens zu halten vermag. «Angst scheinen die Canela-Apanyekra-Indianer nicht zu haben. Wenn sie in der Ferne eine Kreissäge und das Krachen fallender Baumstämme hören, gehen sie hin – und dann gibt es auf der anderen Seite ein paar Tote», berichtet Bosshard gegenüber swissinfo.

Der Schweizer Fotograf Barnabás Bosshart liefert über die Canela-Apanyekra-Indianer eine Art visuellen Nachruf auf einen Stamm, der in starken Bildern durch innere Kraft und Vitalität lebt. Bosshard zeigt mit seinem unveräusserlichen Blick persönliche Bilder. Er will nicht Ethnologe oder Völkerkundler sein. Will Bosshard mit der Kamera Probleme lösen? «Ich bin kein Politiker. Ich kann Probleme aufzeigen, festhalten und weiter vermitteln und bei anderen Menschen Impulse auslösen, vielleicht.»

swissinfo, Erwin Dettling, Winterthur

Alle Arbeiten, die Bosshart in der Fotostiftung zeigt, sind in der Schwarz-Weiss-Technik gehalten.

«Ich finde die Schwarz-Weiss-Fotografie im Vergleich mit dem Farbbild aussagekräftiger; auch wenn sie für uns schwieriger lesbar ist. Vor meinen Bildern muss der Betrachter einen Moment stehen bleiben», meint Bosshard gegenüber swissinfo.

«Mit den Farben können wir uns identifizieren. Meine Bilder sind mit ihren Tönen in Schwarz, Weiss und Grau eine Abstraktion der Wirklichkeit, die Betrachter werden mehr gefordert.»

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