Beklemmende Visionen vom Tod im Leben
Zurück ins Museum und in die Welt der Kunst will die Ausstellung in Chur den Schweizer Oscar-Preisträger HR Giger holen, und dies mit seinen frühen Werken vor dem Welterfolg durch den Film "Alien".
In der persönlichen Begegnung bei ihm zuhause wirkt der Schöpfer von bizarren Horror-Gestalten erfrischend humorvoll und gar nicht so düster.
Monströs verformte menschliche Körper mit überdimensionierten Hinterköpfen, technoide Embryos in Knochenhöhlen oder Gewehrläufen und endlos fallende Wände, an denen sich schmale Treppen ohne Geländer schmiegen: das ist die Horror-Welt des HR Giger in den Räumen des Bündner Kunstmuseums in Chur.
Viel freundlicher ist es dagegen in Gigers Garten hinter seinem Reihenhäuschen in Zürich-Oerlikon. Bei Tageslicht wirken die von Bäumen beschatteten Monster neben buschigen Sträuchern und wild wucherndem Gras wie zahme, wenn auch etwas bizarre Haustiere.
«Das ist alles ein wenig am Verlottern», sagt der Meister lapidar und verweist auf den grossen, von ihm entworfenen Springbrunnen mit metallenen Armen und Beinen als Brunnenfiguren: «Der hat ein Leck, ich weiss nicht, wo.»
Problematischer Erfolg
Um seine Person macht er kein Aufheben. Den durch den Oscar für die Ausstattung in Ridley Scotts Science-Fiction-Film «Alien» errungenen Ruhm nimmt er nicht wichtig: «Was heisst schon berühmt, man kennt mich jetzt in Graubünden, das ist alles», untertreibt er stark.
Tatsächlich hat ihm der Erfolg in Hollywood nicht nur gut getan. Denn in der Welt der Kunst wurde Giger seither geschnitten. «Er wurde nicht mehr zu Ausstellungen in die Kunstmuseen eingeladen, und die Museen kauften keine Werke mehr an», erklärt Beat Stutzer, Direktor des Bündner Kunstmuseums.
Gleichzeitig sei seine Popularität in der Tattoo-Szene, bei den Designern, Esoterikern und Filmfreaks merkbar gewachsen. Das habe auch auf sein Schaffen abgefärbt.
«Giger hat sich immer mehr auf das Entwerfen von Möbeln, Ausstattungsstücken, Plattencovern und weiteren Designs für Filme kapriziert», sagt Stutzer. Die künstlerische Höhe, Intensität und Aussagekraft, die seinen frühen Werken zugrunde liege, habe der Künstler später nicht mehr erreicht.
Die ägyptische Mumie im Keller
Deshalb wird im Bündner Kunstmuseum das Frühwerk Gigers von 1961 bis 1976 gezeigt. «Hier ist stilistisch und ikonografisch bereits alles angelegt, worauf der Künstler später bauen konnte», sagt Stutzer weiter.
Einen Herzenswunsch erfüllte man dem Meister des Phantastischen Realismus, indem man die ägyptische Mumie, die Giger als Kind im Rhätischen Museum in Chur entdeckt hatte, in die Ausstellung integrierte.
Sie liegt jetzt im ersten Raum, gleich neben Gigers «Passagen-Tempel», durch dessen schmalen Eingang in Form eines Sarkophags man sich in eine Höhle zwischen Leben und Tod zwängt.
«Als achtjähriger Knabe bin ich fast jeden Sonntagmorgen in den Keller des Rhätischen Museums gestiegen und habe mir die ägyptische Mumie angeschaut», erinnert sich Giger. Immer wieder sei er dort hingegangen, fast besessen.
Dieses Erlebnis hat ihn für immer geprägt. «Mein Werk ist gar nicht vorstellbar ohne die Inspiration durch die ägyptische Kunst und mit ihrem Todeskult», sagt Giger.
Enge Durchschlüpfe und Grabkammern
Schon als Kind habe er gerne gezeichnet und gemalt. «Eisenbahnen haben mich immer inspiriert, Burgen, Ruinen, Skifahrer, Indianerinnen, Feen und überhaupt schöne Frauen» erinnert sich der ausgebildete Industriedesigner und Innenarchitekt.
Gigers monströse Kreationen, bei denen sich Mensch (meistens Frau) und Maschine vereinen, indem etwa das Rückgrat als Sauerstoffschlauch in den Mund führt, lassen auf Alpträume schliessen. Giger winkt ab: «Nein, meine Figuren und Gestalten sind Phantasieprodukte. Ich weiss gar nicht, was ich mache.»
Dennoch zeugt sein Werk von Ängsten, Obsessionen und immer wieder von Klaustrophobie: «Wenn ich Alpträume hatte, sah ich oft so unangenehm enge Durchschlüpfe, da musste ich mich zwischen engen Marmorplatten durchzwängen, schrecklich», sagt er schliesslich.
In der Realität hatte er nur ein einziges vergleichbares Erlebnis. Das war in Ägypten, als er in die Cheops-Pyramide hinabstieg, durch extrem niedrige Gänge zu den Grabkammern kroch und von Platzangst erfasst wurde. «Dort gehe ich nie mehr hinein», versichert der Gestalter des Horrors und schaut liebevoll auf seine blitzenden Kreationen.
swissinfo, Susanne Schanda
Die Ausstellung zeigt das frühe Schaffen von HR Giger aus den Jahren 1961-1976, vor dem Welterfolg beim «Alien»-Film.
Sie ist noch bis am 9. September 2007 im Bündner Kunstmuseum in Chur zu sehen.
Im Museum HR Giger im Château St. Germain in Gruyère sind das ganze Jahr über neben Bildern, Skulpturen und Zeichnungen auch Film- und Möbeldesigns zu sehen.
HR Giger wurde 1940 in Chur geboren.
Nach einer Bauzeichner-Lehre bei einem Architekten zog er 1962 nach Zürich, wo er während fünf Jahren Innenarchitektur und Industriedesign studierte.
Ab 1975 arbeitete er für verschiedene Science Fiction-Filmprojekte in Hollywood. 1978 erhielt er den Oscar für die Ausstattung von Ridley Scotts Film «Alien».
1984 wurde eine Retrospektive im Seedamm-Kulturzentrum Pfäffikon gezeigt.
Es folgten Retrospektiven in Paris, Prag und Wien.
Zur Zeit bereitet HR Giger mehrere Ausstellungen seiner Werke vor. Zuerst in Valencia (Spanien), dann in Frankfurt (Deutschland). Ausserdem nimmt er an einer Ausstellung über Schweizer Design-Künstler teil.
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