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Belästigungen und Machtmissbrauch in der Schweizer Tanzwelt

Ballettänzerin im Backstage
Backstage-Drama: Tänzer:innen und Schauspieler:innen haben weniger Angst, Erlittenes zu kritisieren. Keystone / Martin Divisek

Mehrere Tänzerinnen des Balletts der Bühnen Bern sollen Missbrauch in der Kompanie erlebt haben. Und es werden laufend neue Fälle bekannt. Was passiert gerade in der Schweizer Tanzszene?

Ende September erlebte die Stadt Bern einen Skandal. Der Ballettprobenleiter soll Tänzerinnen sexuell belästigt haben. Die Wurzel der Auseinandersetzung liegt in Missbrauchsvorwürfen, die eine Tänzerin im Frühjahr 2021 intern der Direktion der Bühnen Bern gemeldet hatte. Die Zuständigen haben daraufhin eine externe Untersuchung in Auftrag gegeben und den beschuldigten Probenleiter suspendiert. Nach der Sommerpause beschäftigten sie ihn weiter.

Öffentlich wurden die Vorwürfe diesen Herbst dank der Recherchen der «Zeit». Demnach bestätigte die externe Untersuchung, dass es verbale sexuelle Belästigung gegeben hatte. In der «Zeit» sagten Mitglieder des Ballett-Ensembles ausserdem, dass sich das Verhalten des Probenleiters langfristig nicht geändert hat.

Drei Menschen an einer Pressekonferenz
Florian Scholz, Direktor der Bühnen Bern (Mitte), Isabelle Bischof, Tanzdirektorin Bern Ballett (links), und Rechtsanwältin Monika Hirzel nehmen an einer Pressekonferenz am 29. September Stellung zum Vorwurf der sexuellen Belästigung innerhalb des Ensemble © Keystone / Peter Klaunzer

Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte Florian Scholz, der Künstlerische Direktor bei den Bühnen Bern, Ende September, dass er sich als Reaktion auf die Untersuchung bei den Tänzerinnen «sehr demütig» entschuldigt und lange Gespräche mit dem Beschuldigten geführt habe. Doch: «Wenn ich die Auffassung hätte, man könne ihm nicht vertrauen, dann wäre er heute nicht da.» Scholz sagte damals, man gehe den neuen Vorwürfen nach.

Am 23. Oktober machte die «NZZ am SonntagExterner Link» publik, dass es auch in der Ballettschule des Theater Basel zu Übergriffen gekommen ist. In Basel geht es um Demütigungen, herablassende Sprüche und anzügliche Bemerkungen. Dies führte bei einigen zu posttraumatischen Belastungsstörungen und in manchen Fällen zu gesundheitlichen Folgen bis heute. Zwei Tage danach wurde die Direktorin der Basler Ballettschule freigestellt.

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Die Recherche der «Zeit» löste eine Flut kritischer Medienberichte aus. Die TamediaExterner Link-Zeitungen, die NZZExterner Link, die CH MediaExterner Link-Zeitungen und BlickExterner Link griffen das Thema auf.

Der Berufsverband Szene Schweiz empörte sich und protestierte gegen die Entscheidung, den Probenleiter auf seinem Posten zu belassen: «Wie kann man jemanden unterstützen, der seine Macht missbraucht? Wenn sich nichts ändert, wird es wieder passieren», sagte Salva Leutenegger von Szene Schweiz gegenüber Radio SRF.

Dann, am 17. Oktober berichtete das Online-Medium «Hauptstadt», dass die Bühnen Bern den Probenleiter fristlos entlassen haben. Die Bühnen Bern, eine öffentliche Institution, kommentierten den Bericht nicht und teilten mit, dass man sich nicht weiter äussern werde, bis alle Untersuchungen abgeschlossen seien.

Der Vorstand des Berner Tänzerinnen- und Tänzerverbandes BETA kommentierte: «Wir sind traurig und bestürzt über die Arbeitsbedingungen, denen das Ensemble des Berner Balletts ausgesetzt war und ist.» Der Vorstand danke dem Ensemble für den Mut, sich gegen die Angriffe zu wehren.

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Anonyme Stimmen

Der Missbrauch in Bern ist kein Einzelfall. Im Juni 2021 war auch das renommierte Béjart Ballet in Lausanne in einen Skandal um Belästigungs- und Machtmissbrauchsvorwürfe verwickelt.

Zahlreiche anonyme Stimmen, die das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS recherchiert hatte, berichteten über Mobbing durch Gil Roman, den künstlerischen Leiter der Institution seit dem Tod des Namensgebers Maurice Béjart im Jahr 2007.

Die Stiftung des Béjart Ballet kündigte in der Folge an, dass «eine Untersuchung zur Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, des Arbeitsumfelds und des Managements des Unternehmens notwendig» ist. Die jüngste Entwicklung ist die Entscheidung des Stiftungsrats, dass der Beschuldigte sein Amt weiter ausüben kann.

Laut RTS lagen gegen Roman bereits früher ähnliche Anschuldigungen vor, die ersten gehen auf das Jahr 2008 zurück. Damals hatte das Ballet eine Petition zur Unterstützung von Roman gestartet, die von 82% der Ensemblemitglieder unterzeichnet wurde. Er konnte seine Position behalten. «Es ist schwer nachzuvollziehen, wie der künstlerische Leiter der Kompanie bei der Prüfung entlastet werden konnte», sagt Anne Papilloud von der Schweizerischen Gewerkschaft der Darstellenden Künste.

Auch andere Schweizer Tanzkompanien, wie Interface im Wallis oder Alias in Genf, sind bereits mehrfach wegen Vorwürfen von Missbrauch gegenüber Tänzer:innen aufgefallen.

Im Juni dieses Jahres sorgte überdies die Tanzakademie Zürich für negative Schlagzeilen. 13 ehemalige Schüler:innen warfen dem Direktor Oliver Matz, der künstlerischen Leiterin Steffi Scherzer, sowie weiteren Dozent:innen, ebenfalls im Rahmen einer Recherche der «Zeit», Machtmissbrauch vor. Sie seien beleidigt und erniedrigt worden. Das Ergebnis der eingesetzten Untersuchung wird Anfang 2023 erwartet.

Grosser Graubereich

Aber warum häufen sich gerade in der Tanzszene diese Fälle?

In diesem Beruf ist der Körper das wichtigste Arbeitsmittel. Körperliche Nähe gehört zum Alltag von Tänzer:innen. «In einem solchen Umfeld können die Grenzen verschwimmen. Es kann ein Nährboden für sexuelle Belästigung schaffen», erklärte Anne Davier, Direktorin des Pavillon ADC, einer Vereinigung für zeitgenössischen Tanz in Genf, im Dezember 2021 gegenüber swissinfo.ch

Viele Künstler:innen verschweigen, was ihnen zustösst, weil sie Angst haben und ihre Karriere nicht gefährden wollen, sagt die Gewerkschafterin Anne Papilloud.

Die Schweizer Gewerkschaften haben bereits eine Beschwerdestelle eingerichtet. Sie hat am 1. November 2021 die Arbeit aufgenommen. Ziel ist es, unabhängige Unterstützung bei Mobbing oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu bieten.

Editiert von Virginie Mangin. Übertragung aus dem Spanischen von Benjamin von Wyl.

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