Bergsteiger-Doyen Inderbinen 100 Jahre alt
Bergführer-Legende Ulrich Inderbinen hat am Sonntag in Zermatt seinen 100. Geburtstag feiern können. Am Festakt wurde ein ihm gewidmeter Brunnen eingeweiht. Daniel Pasche erinnert sich an eine Begegnung mit dem berühmten Alpinisten.
Meine Begegnung mit der Ueli Inderbinen war 1992. Ich begleitete damals eine slowakische Jung-Journalistin zu einer alpinen Radio-Reportage nach Zermatt. Die sportliche junge Frau hatte sich nicht nur in den Kopf gesetzt, den alten «König der Alpen» zu interviewen. Sie wollte sich von ihm sogar aufs Matterhorn führen lassen. Für Ueli Inderbinen kein Problem. Er war ja damals erst 92. Und Touren aufs 4478 Meter hohe Matterhorn waren für ihn nichts aussergewöhnliches. Zum ersten Mal war er schon 1921 dort oben gewesen, mit seiner Schwester.
Ueli Inderbinen kam zu unserem ersten Treffen gebeugt am Stock, wie alte Hexen in Kinderbüchern. Seinen gekrümmten Rücken konnte er schon damals nicht mehr aufrichten. Möglicherweise – so ging es mir durch den Kopf – ist gerade das die ideale Körperhaltung, um einen Viertausender in Angriff zu nehmen.
Damals machte er mit Alpinisten-Gruppen noch sämtliche gängigen Touren auf die Schnee- und Eisriesen der Region, nicht nur aufs «Horu», wie die Einheimischen ihren Markenartikel-Berg respektvoll nennen.
Einmal, erzählte er uns, da hätten junge Deutsche im Bergsteiger-Büro einen Führer bestellt, und er sei dafür eingeteilt worden. Als die Deutschen am nächsten Morgen in der Früh sahen, wer sie auf den Berg führen sollte, reagierten sie geschockt und verlangten einen anderen Bergführer. Erst nach einigem Zureden waren sie schliesslich doch bereit, mit Inderbinen aufzubrechen. Der legte dann einen Zahn zu und amüsierte sich königlich: «Die waren schnell ausser Atem und hatten Mühe mir zu folgen».
Über 370 Mal brachte Inderbinen Gäste aufs Matterhorn. Zum letzten Mal 1995. «Es tut schon weh, dass ich nicht mehr auf die ganz hohen Gipfel steigen kann. Aber jetzt merke ich halt doch, dass ich älter werde…»
Inderbinen geniesst trotz seiner sonst liebenswürdig-bescheidenen Art, dass man ihn auf der ganzen Welt kennt. Als er einmal einen Einheimischen im Dorf zu einem Ausländer sagen hörte, Inderbinen sei in Zermatt die grösste Touristen-Attraktion, meinte er: «Zuerst kommt das ‹Horu›, dann die Geissen und dann ich».
Und damals, 1992, warf er einen wohlwollenden aber durchaus prüfenden Blick auf die sportliche Journalistin aus Bratislava: «Vielleicht ist es doch besser, wenn Sie das Matterhorn sein lassen. Für Sie würde ich eher das Breithorn empfehlen. Das ist auch ein Viertausender – aber viel weniger anstrengend und anspruchsvoll.»
«Macht mir nur kein grosses Theater», meinte Ueli Inderbinen, als er von den Plänen zu seinem runden Geburtstag hörte. Dennoch wird er sich freuen, auf seinen Gängen durchs Dorf künftig seinem Ebenbild zu begegnen – auf dem neuen «Ueli Inderbinen»-Brunnen.
Daniel Pasche
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