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Berlin als «Sesam öffne dich» für Kunstschaffende

Der Zürcher Urs Küenzi hat in Berlin geschaffen, was ihm fehlte: Ein Raum für aktuelle Kunst aus der Schweiz. Lena Langbein

Egal ob Künstler, Kuratoren oder Galeristen – zahllose Schweizer Kunstschaffende zieht es nach Berlin. Warum Berlin für die Kunstszene so wichtig ist, erklärt der Zürcher Urs Küenzi, der dort einen Raum für aktuelle Kunst aus der Schweiz betreibt.

«Ich hatte das Gefühl, hier fehlt etwas: ein Zentrum für Kunst aus der Schweiz», sagt der Zürcher Kunsttheoretiker und Kurator Urs Küenzi. Seit 2005 kam er immer wieder nach Berlin.

Damals leitete er den «White Space», einen unabhängigen Kunstraum in Zürich. Und während ihm die Enge der Zürcher Kunstszene immer weniger behagte, faszinierten ihn die Freiheit und Offenheit Berlins.

«Berlin ist heute eine der wichtigsten Kunststädte überhaupt. Es gibt hier viele Schweizer Künstlerinnen und Künstler, aber kein kulturelles Zentrum wie das Centre Culturel Suisse in Paris oder das Suisse Institut in New York», sagt Küenzi.

Austausch zwischen Berlin und Schweiz

Küenzi fasste den Entschluss, das was ihm fehlte, zu schaffen: Im Juni 2007 eröffnete er in Berlin das «Substitut – Raum für aktuelle Kunst aus der Schweiz» als eine Art Mini-Kunsthalle, in der Werke von Künstlerinnen und Künstlern aus der Schweiz zu sehen sind. Das Label «aus der Schweiz» ist dabei sehr breit gefasst – Küenzi stellt im Ausland lebende Schweizer genauso aus wie beispielsweise Deutsche, die in der Schweiz tätig sind.

Er selbst sieht sich als Kunstvermittler. «Ich möchte Kunst aus der Schweiz in Berlin bekannt machen. Gleichzeitig soll das ‹Substitut› ein Ort für Austausch und Begegnung von Künstlern aus der Schweiz und Berlin sein.»

Auch Ausstellungsort für Stipendiaten

Das ‹Substitut› befindet sich in der Torstrasse in Berlin-Mitte, in bester Lage also. Die Räume des ehemaligen Ladenlokals hat Küenzi bewusst kaum saniert. Die Wände sind zum Teil ungestrichen, auf dem rohen Putz finden sich überall Abnutzungsspuren. «Solche Räume findet man wahrscheinlich nur noch in Berlin», sagt Küenzi. «Viele Künstler entwickeln Projekte speziell für das Substitut und spielen dabei mit den vorhandenen Strukturen der Räume.»

Das ‹Substitut› hat sich einen guten Ruf, auch in der Schweiz. Die Vernissagen sind meist gut besucht, viele Künstler möchten gern hier ausstellen. «Wegen Berlin und weil die Räume einzigartig sind», so Küenzi. Auch international bekannte Künstler wie Thomas Hirschhorn oder Christine Streuli haben schon an Gruppenausstellungen teilgenommen.

Zum Konzept des «Substituts» gehört es unter anderem, Werke von Künstlern zu zeigen, die über Atelier-Stipendien aus der Schweiz nach Berlin gekommen sind. «Früher hatten die Stipendiaten kaum eine Möglichkeit, das, was in Berlin entstanden ist, in der Stadt auch auszustellen», sagt Küenzi.

Die Stadt bleibt arm, aber sexy

«In Berlin kommen immer Interessierte, egal ob du einen Superstar ausstellst oder einen Nobody», sagt Küenzi, der vom Berliner Publikum begeistert ist. «Die Besucher sind neugierig und lassen sich, anders als oft in Zürich, wirklich auf die Sachen ein.»

Wie wichtig der Standort Berlin auch sonst für das «Substitut» ist, erlebte Küenzi kürzlich, als er für künftige Ausstellungsprojekte nach Israel reiste. «Es gibt in Tel Aviv zwar ein grundlegendes Interesse an Schweizer Künstlern. Aber das Wort ‹Berlin› ist wie ein ‹Sesam öffne dich.»

Der Zürcher Martin Rinderknecht, der die Berliner Kunstmesse «Preview Berlin – The Emerging Art Fair» mit aufgebaut hat und nun eine Galerie für zeitgenössisches Design in Berlin besitzt, erklärt sich den Berliner Kunsthype mit ökonomischen und kulturellen Faktoren. Generell hätten die für Europa verhältnismässig erschwinglichen Lebensbedingungen sicherlich dazu beigetragen, dass immer mehr Künstler nach Berlin kommen, sagt Rinderknecht.

In Berlin bekomme man noch bezahlbare Ateliers und Galerien. Ausschlaggebend sei ausserdem, was die Stadt Künstlern bietet: «Museen, Oper, Theater, Ausstellungen zeitgenössischer Kunst und Künstler mit Welt-Renommee – all das ist eine Quelle für Auseinandersetzung und Inspiration», sagt Rinderknecht.

Natürlich gebe es auch Schattenseiten. «Trotz grosser Begeisterung fehlt es oft an Investitionen in die Kunst», so Rinderknecht.

Leben und arbeiten auf 20m2 in Berlin

Am Abend des 25. November treffen sich Küenzi und Rinderknecht im «zwanzigquadratmeter», einem ebenso grossen Projektraum in Berlin-Friedrichshain. Eine Vernissage läutet hier an diesem Abend die «Saison écalienne» ein: Bis Juli 2011 werden Studenten der Hochschule für Gestaltung und Kunst Lausanne (ECAL) auf diesen 20m2 leben und arbeiten und ihre Werke am Ende ihres Aufenthalts präsentieren.

Initiator des «zwanzigquadratmeter» ist der in Lausanne geborene Eric Emery, selbst Absolvent der ECAL und seit 2003 in Berlin. Das Kooperationsprojekt zwischen «zwanzigquadratmeter» und der ECAL soll es Studenten ermöglichen, nach Berlin zu kommen. «Aber es geht auch darum, die ECAL in Berlin bekannt zu machen», sagt Emery.

Emery bekommt für «zwanzigquadratmeter» viel positives Feedback und Künstler aus aller Welt schreiben ihn an, um sich für einen Aufenthalt in dem Projektraum zu bewerben. «Das liegt am Konzept und dem Programm, aber auch an Berlin», ist Emery überzeugt.

In Sachen Kunst gilt also nicht nur für Schweizer: Hauptsache Berlin – und seien es auch nur 20m2.

Das «Substitut» ist ein unabhängiger Kunstraum, der Werke von Künstlern aus der Schweiz zeigt. Der Name setzt sich aus «Institut» und «Subkultur» oder «Subversion» zusammen und soll den doppelten Charakter des Projekts – eine Institution, die aber unabhängig bleibt – zum Ausdruck bringen. Im Gegensatz zu einer Galerie arbeitet das «Substitut» nicht profitorientiert und vertritt keine einzelnen Künstler. Die Arbeit wird über Mitglieder- und Gönnerbeiträge finanziert.

Die aktuelle Ausstellung «Untitled – Über Erfolg in der Kunst» zeigt Werke von zehn Schweizer Künstlern und ist noch bis zum 11. Dezember 2010 zu sehen.

Der Projektraum «zwanzigquadratmeter» präsentiert junge Künstler in Einzelausstellungen. Die Künstler haben die Möglichkeit, längere Zeit im «zwanzigquadratmeter» zu leben und somit gezielt eine Arbeit für den Projektraum zu entwickeln. Besonders enge Kontakte bestehen zur jungen Schweizer Kunstszene, aber auch Künstler aus England, Belgien und Deutschland waren bereits im «zwanzigquadratmeter» zu Gast.

Die Aktuelle Ausstellung «The Galactic Yodel Order» von Jonathan Naas ist noch bis 10. Dezember 2010 zu sehen.

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