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Bern gedenkt der Evolutionstheorie Darwins

Dem in der Ausstellung gezeigten Hirsch fehlt das Pigment Melanin; diese genetische Mutation führt zu Albinismus. Lisa Schäblin/NMB

Wieso haben Frauen keinen Bartwuchs? Wieso haben Männer keine Schwanzfedern wie Pfauen? Solchen Fragen geht eine Ausstellung über Darwins Evolutions-Theorie im Naturhistorischen Museum Bern nach.

Die Ausstellung unter dem Titel «Es war einmal ein Fink – 150 Jahre Evolutionstheorie» dauert bis zum 31. Oktober. Sie gehört zu den vielen Veranstaltungen, die in diesem Jahr in der Schweiz zum 200. Geburtstag von Charles Darwin, dem grossen britischen Naturalisten, stattfinden. Vor 150 Jahren erschien sein Paradewerk «Von der Entstehung der Arten».

«Darwin war in vielen Bereichen ein Genie, aber was er tat, war, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Er begann damit, die Natur genau zu beobachten und darüber zu schreiben, was um ihn herum geschah. Und danach fügte er all das bereits existierende Wissen zu einer Theorie zusammen», erklärt Mandana Roozpeikar, die Kuratorin der Ausstellung, gegenüber swissinfo.

«Er hat also nicht eigentlich etwas Neues entwickelt, er trug einfach alles wie bei einem Puzzle zusammen und schuf so ein neues Bild.»

Die Welt verändert

Indem er ausführte, dass alle Arten sich im Verlauf der Zeit aus gemeinsamen Vorfahren entwickelten, und der Mensch nichts anderes als ein nackter Affe war, hatte Darwins Theorie zwei hauptsächliche Schlussfolgerungen: Um die Vielfalt des Lebens zu erklären, brauchte es keinen übernatürlichen Gott mehr, der alles erschaffen hatte, und der Mensch wurde von seinem Podest gestossen.

«Was Darwin vor 150 Jahren erklärt hat, veränderte die Welt», sagt Roozpeikar. «Zuvor hatte jedermann gedacht, ‹in Ordnung, es gibt einen Gott, der alles geschaffen hat› – und das war es, alles war konstant, die Arten veränderten sich nicht. Doch dann kam jemand und stellte alles in Frage, was zuvor 2000 Jahre gegolten hatte.»

Erst aufgrund der Erkenntnisse der Evolution habe man begonnen, die biologischen Mechanismen zu verstehen, sagt sie.

Herausforderung

Die grösste Herausforderung für die Ausstellungsmacher sei es gewesen, Darwins Buch in verständliche Teile herunterzubrechen. «Von der Entstehung der Arten» sei kein eigentlich kompliziertes, aber dickes Buch.

Die Ausstellung legt daher den Fokus auf die drei zentralen Mechanismen der Evolution und ist in die Themenbereiche Mutation, Variation und Selektion (Auslese) gegliedert.

So lernen Besucher und Besucherinnen unter anderem, dass blaue Augen vor etwa 6000 Jahren enststanden – durch eine Mutation, einen einmaligen Fehler beim Kopieren der Erbinformation.

Die spektakulären Unterschiede sichtbarer Eigenschaften, zu denen willkürliche Mutationen führen, sieht man am Beispiel ausgestopfter Bussarde: Da gibt es die hellen Tiere, die vor allem in Nordeuropa vorkommen, bis hin zu dunklen Exemplaren mit einem grossen Anteil des Pigments Melanin.

Selrektion nicht willkürlich

Selektion (Auslese) andererseits, ob natürlich oder künstlich, ist ausdrücklich nicht willkürlich. Züchter suchen sich gezielt Tiere mit den Eigenschaften heraus, die sie wollen. Und in der Natur geschieht die Selektion aufgrund des «Überleben des Angepasstesten».

Illustriert wird dies etwa mit Hilfe der markant unterschiedlichen Skelette eines irischen Wolfshundes und eines Chihuahua, zwei von schätzungsweise 400 Hunderassen, die alle aus einem gemeinsamen Vorfahren hervorgingen, der vor etwa 14’000 Jahren gelebt hatte.

Die Finken

Auf die Finken aus dem Ausstellungstitel stösst man im Bereich, in dem die Entstehung neuer Arten erklärt wird. Ausgestopfte Exemplare von den Galápagos-Inseln zeigen die subtilen Unterschiede in der Form der Schnäbel, die eine zentrale Rolle spielten, als bei Darwin «der Groschen fiel».

In einem sechsminütigen Film mit dem Titel «Vom Winde verweht» wird erklärt, wie Finken wahrscheinlich von einem Sturm auf die Galápagos-Inseln getrieben wurden. Sie waren damit abgeschnitten vom Rest ihrer reproduktiven Gemeinde, der erste Schritt auf dem Weg zu einer neuen Art.

«Die Affen-Frage»

Obschon es heute etwa soviel wissenschaftliche Zweifel an der Evolutionslehre gibt, wie daran, dass die Erde rund ist, wird sie noch immer nicht generell akzeptiert.

Im Jahr 2006 ergab eine internationale Umfrage des Magazins Science, dass einer von drei Schweizern dachte, es sei «definitiv falsch», dass der Mensch sich aus früheren Tierarten heraus entwickelt habe. In Europa war die Skepsis nur in Österreich noch grösser.

Dass die Evolutionstheorie trotz solider Beweislage bis heute auf Ablehnung stösst, wird unter anderem mit dem Problem riesiger Nummern erklärt – die Zeiträume von Millionen von Jahren, um die es geht, sind für viele Leute nur schwer zu erfassen. Dazu kommt die Tendenz, Ursache und Wirkung zu sehen, wo es keine gibt, was der Idee des so genannten «intelligenten Designs» zu ihrer Popularität verhilft.

Für Roozpeikar liegt der Grund für die Ablehnung der Evolutionslehre jedoch in der «Affen-Frage». «Ich denke, vielen Leuten macht es Angst, zu denken, dass Affen und Menschen die gleichen Verwandten haben.»

Debatte

Neben den wissenschaftlichen Exponaten werden Fragen rund um Religion und die «Bedeutung des Lebens» mit einer Videoinstallation thematisiert, bei der Wissenschafter und Theologen in eine Art Dialog treten.

«Bei einer früheren Ausstellung kamen viele Biologieklassen, aber auch Klassen von Konfirmanden», sagt Roozpeikar. «Es war sehr interessant, die Debatte nach der Videodiskussion zu verfolgen. Ich bat die Kinder, sich auf der Seite hinzustellen, die ihrer Ansicht nach Recht hatte – und viele gingen auf die Seite der Kreationisten.»

Dieser Teil der Ausstellung mag jene enttäuschen, die finden, Religion sollte im wissenschaftlichen Kontext keine Plattform erhalten – weil so eine Kontroverse suggeriert werde, wo es keine gebe. Generell gibt die Ausstellung «Es war einmal ein Fink» aber einen guten Einblick in etwas, das jeder Mensch verstehen sollte.

swissinfo, Thomas Stephens
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Alle lebenden Organismen – vom Menschen über Bergziegen bis hin zum Edelweiss – sind entfernt miteinander verwandt und haben sich aufgrund von willkürlichen Mutationen und dem nicht-willkürlichen Prozess der natürlichen Auslese entwickelt. Alle sind hervorgegangen aus einer einzigen Urzelle, die sich selbst replizierte und vor 3,5 Mio. Jahren durch einen chemischen Zufall entstanden war.

Bei der natürlichen Selektion haben Organismen mit Eigenschaften, die ihrem spezifischen Umfeld am besten entsprechen (am angepasstesten sind), grössere Überlebens- und Reproduktionschancen als ihre Rivalen. Daher werden Gene, die Erbeinheiten, welche erfolgreiche «Überlebens-Mechanismen» enthalten, weitergegeben und finden sich eher in einem Genpool als weniger erfolgreiche Gene.

Die natürliche Auslese erfolgt nur innerhalb einer Art, nicht zwischen unterschiedlichen Arten.

Evolution aufgrund natürlicher Selektion erklärt, wie sich einfache Organismen über Millionen von Jahren zu komplexen Organismen entwickeln können, die für ihr Umfeld geschaffen zu sein scheinen, ohne dass es dazu einen übernatürlichen Designer oder Schöpfer braucht.

Charles Robert Darwin wurde am 12. Februar 1809 in eine Arztfamilie geboren.

Nach dem Studium der Medizin und der Theologie wandte er sich der Naturgeschichte zu und schloss sich 1831 der Expedition der HMS Beagle an, um die Küstenlinie Südamerikas zu vermessen.

Die Reise dauerte fast fünf Jahre, wovon Darwin einen grossen Teil an Land verbrachte, um die dortige Geologie zu studieren, aber auch um Tiere und Pflanzen zu sammeln, die er nach Hause schickte.

1859 publizierte er sein bahnbrechendes Werk «Über den Ursprung der Arten». 1872 veröffentlichte er «Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl», mit dem er seine Theorie ausführte, dass der Mensch eine gemeinsame Stammesgeschichte mit dem Tier hat.

Am 19. April 1882 starb Darwin. Er erhielt ein Staatsbegräbnis und wurde in der Westminster Abbey begraben, nahe von Sir Isaac Newton.

Im September 2008 veröffentlichte die Anglikanische Kirche einen Artikel, in dem sie schrieb, der 200. Geburtstag von Darwin sei ein passender Moment, sich bei Darwin, einem selbsterklärten Agnostiker, zu entschuldigen dafür, «dass wir Sie falsch verstanden, und andere dazu ermutigten, Sie bis heute falsch zu verstehen, weil unsere erste Reaktion falsch war».

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