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Bollywood im Oberland

Tandoori Love: Liebe geht eben doch durch den Magen. Film Festival Locarno 2009

Tag des Schweizer Films in Locarno: Das Angebot reicht von der Bollywood-Delikatesse über ein von Musik geprägtes Abenteuer in Afrika bis zum Softhorror-Streifen aus verwunschenen Tessiner Tälern.

Eingeläutet wurde der Tag des Schweizer Films mit «Tandoori Love». Dieses Werk verlangt vom Publikum keine intellektuellen Höchstleistungen: Einfach reinsitzen und geniessen!

Auch die Story ist einfach: Die Kellnerin Sonja, mehr oder weniger freiwillig mit ihrem Chef verlobt, trifft im Supermarkt Rajah, der für eine Bollywood-Produktion kocht, die in den Schweizer Bergen gedreht wird.

Für den indischen Pfannenvirtuosen ist das Treffen Liebe auf den ersten Blick. Er macht Sonja, ganz im Stil von Bollywood, einen gesungenen Antrag, der sie einerseits empört, andererseits aber auch erheitert.

Rajah lässt seinen Job sausen und heuert im Hirschen als Koch an. Mit seinen exotischen Kochkünsten, von Oliver Paulus umwerfend appetitlich ins Bild gesetzt, gewinnt er die Herzen, besser, die Bäuche der Bergler und deren Gäste. Nur Sonja lässt sich nicht so schnell um den Kochlöffel wickeln.

Rajahs Abtauchen stürzt jedoch die indische Filmcrew, die einen Bollywood-Schmachtfetzen vor der Kulisse von Eiger, Mönch und Jungfrau dreht, in eine tiefe Krise. Die indische Diva verweigert ohne dessen Leckereien die Arbeit und so wird Rajah fieberhaft gesucht.

Klar, das Happy End ist programmiert. Aber es wird gekonnt und lustvoll hinausgezögert.

Filmmusik: Gelungener Spagat zwischen den Kulturen

Die Filmmusik hat einen wesentlichen Anteil daran, dass indische und schweizerische Kultur irgendwie zusammenfinden. Dies gab wohl der Suisa-Stiftung für Musik den Ausschlag, den Komponisten Marcel Vaid mit dem mit 10’000 Franken dotierten ersten Preis für den Soundtrack zu «Tandoori Love» zu ehren.

Tatsächlich schafft Vaid, der nach eigenen Angaben seine musikalischen indischen Wurzeln lange verdrängt hatte, den Spagat zwischen Schweizer Volksmusik und Bollywood-Schnulze. Dabei umschifft er elegant die gefährlichen Kitsch-Klippen, die dann und wann beide Musikkulturen prägen können.

Baba’s Song

Auch die Weltpremiere von Wolfgang Panzers «Baba’s Song» ist durch Musik geprägt – afrikanische. In Malawi, einem der ärmsten Länder der Welt, kommt der gut 12-jährige Baba nach dem Tod seiner Eltern in ein Waisenhaus, das von Gilles Tschudi geleitet wird.

Er will Baba an das von Franca Potente und Sabina Schneebeli gespielte Lesbenpaar verkaufen. Dieser «Schweizer Teil» der Produktion fällt gegenüber dem afrikanischen leider total ab.

Baba entzieht sich den Europäern durch Flucht. Er trifft den HIV-positiven Jungen Jo, zieht mit ihm durch das Land, kommt mit Musik in Kontakt und macht eine Karriere als Musiker.

Panzer setzt das Leben, die Armut aber auch die Lebensfreude der Menschen in Malawi in bunte, fröhliche Bilder um, schreckt aber auch nicht davor zurück, Einblick zu gewähren ins Elend, in die dort herrschende bittere Armut.

Bevor er von Panzer entdeckt wurde, schlug sich Baba als so genannte «Malawische Jukebox» durchs Leben. Er sang den Menschen, die ihn dafür mit einem äusserst bescheidenen Betrag bezahlten, ihr Wunschlied.

Gruseliges aus den Tessiner Tälern

Der Schweizer Tag in Locarno wurde mit Mihàli Györiks «La valle delle ombre» beschlossen, der ersten Produktion aus dem Tessin, die es auf die Piazza Grande schaffte.

Das in den Tessiner Tälern Verzasca, Bavona und Muggio gedrehte Werk führt die Zuschauer in eine von Sagen umwobene, alte Welt. Gruselgeschichten, die auch heute in einigen, vom Tourismus noch nicht so stark heimgesuchten Tessiner Seitentälern präsent sind, werden für eine Gruppe Kinder bald zu einer alptraumhaften Realität.

Der aus Basel stammende und im Tessin lebende Györik hat das Hin- und Herswitchen zwischen Gegenwart und Vergangenheit in stimmungsvolle, teils mystische Bilder gepackt, welche die teilweise ein wenig ungelenk inszeniert wirkende Handlung problemlos tragen. Als wie andernorts als «Grusel-Thriller» beschrieben, geht das Werk jedoch nicht durch.

Fazit: Sowohl «Tandoori Love» wie «Baba’s Song» und «La valle delle Ombre» haben das für Schweizer Filme unübliche Potential, via Kinokassen finanziell einigermassen über die Runden zu kommen. Und dies trotz der Finanzkrise, welche auch die Schweizer Filmindustrie und deren Förderer getroffen hat.

Etienne Strebel, Locarno, swissinfo.ch

Am Tag des Schweizer Films wurde in Locarno auch über «Kulturberichterstattung & Sponsoring in der Krise» gesprochen. Teilnehmer der Debatte waren Festivaldirektor Marco Solari, Filmemacher Michael Steiner und Filmproduzent Edi Stöckli.

«La crise n’existe pas» für Locarno, so Solari. Sein Filmfestival hat sogar mehr Sponsoren als letztes Jahr, der Hauptpartner UBS verlängerte soeben trotz eigener Probleme den Vertrag.

«Des einen Freud, des andern Leid» gab Stöckli zurück, der auch Filmsponsor ist. Kleinere Veranstaltungen hätten jetzt in der Krise Probleme, weil ihnen die grossen das Wasser abgraben würden.

Michael Steiner, Regisseur von «Graounding», dessen fast fertiges «Sennentuntschi» wegen des Bankrotts des Produzenten blockiert ist, meinte, es sei durchaus möglich, dass der Film nie «das Licht der Leinwand» erblicke.

Gesprächsleiter Beat Glur, Präsident des Filmjournalisten- Verbands wies darauf hin, dass wegen der Krise auch rund ein Viertel der Filmkritiker in der Schweiz ihre Arbeit entweder ganz oder teilweise verloren haben.

Das 62. Internationale Filmfestival von Locarno dauert noch bis am 15. August. Es ist die grösste Kulturveranstaltung der Schweiz.

Am Tag des Schweizer Films wurde die Weltpremiere des Tessiner Films «La valle delle ombre» auf der Piazza Grande gezeigt.

Weiter sind Schweizer Regisseure aus den verschiedensten Generationen in den Wettbewerben des Festivals präsent: So «Complices» von Frédéric Mermoud, «The Marsdreamers» von Richard Dindo und «Ivul» von Andrew Kötting.

Als Weltpremieren gelangen Daniel Schweizers «Dirty Paradise» und Wolfgang Panzers «Baba’s Song» zur Aufführung.

Im Internationalen Wettbewerb laufen 18 Filme aus 15 Ländern, darunter 14 Weltpremieren, 7 Debütfilme und 4 internationale Premieren. Hauptpreis ist der Goldene Leopard.

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