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Bollywood-Kitsch und Alpen-Romantik

Szene aus "Tandoori Love": Tanz auf dem Jungfraujoch. Cobra Film

Oliver Paulus bringt mit "Tandoori Love" Bollywood ins Schweizer Kino. Die orientalisch gewürzte Liebeskomödie mit den verführerischen Kocheinlagen ist an den diesjährigen Solothurner Filmtagen für den "Prix du Public" nominiert.

Oliver Paulus hat mit «Tandoori Love» Neuland betreten: Er hat den ersten Schweizer Bollywood-Film gedreht, Bollywood auf Berndeutsch sozusagen.

Die Idee ist eigentlich naheliegend: Seit den 1960er-Jahren dienen die hiesigen Alpen indischen Filmemachern als perfekte Ersatzkulisse fürs unstabile Kaschmir.

Dem 39-jährigen Regisseur kam die Idee für den Film jedoch nicht in der Schweiz, sondern vor rund 20 Jahren, als er mitten in Indien einen Film entdeckte, der in den Schweizer Bergen spielte.

«Ich wollte einen Film machen, der bunter, knalliger und sinnlicher ist, als man es sich von Schweizer Produktionen gewohnt ist», sagt Paulus gegenüber swissinfo. Der opulent angerichteten Liebes-Romanze fehlt es tatsächlich nicht an Sinnesfreude, höchstens an Stringenz der verschiedenen Handlungen.

Selbst die Kühe tanzen

Die Tanz- und Singeinlagen können es zwar nicht mit jenen von Bollywood-Filmen wie «Lagaan» aufnehmen, der 2001 den Publikumspreis in Locarno gewonnen hat.

Doch Szenen wie jene, wo Rajah (Vijay Raaz), der Leibkoch einer indischen Filmdiva, der Kellnerin Sonja (Lavinia Wilson) zwischen den Einkaufsregalen im Migros singend einen Heiratsantrag macht und Verkäufer und Kunden mittanzen, haben durchaus ihren eigenen Charme. Am Schluss des Films beginnen selbst die Kühe zu tanzen.

Bei den bisherigen paar Film-Vorstellungen in Indien seien die Zuschauer bei dieser Szene vor Lachen fast von den Stühlen gefallen, so Paulus. Beim indischen Publikum seien die Ironie und das Schweizerische in den für das Bollywood-Kino so typischen Tanzsequenzen sehr gut angekommen.

«Kulinarische Verführung»

In «Tandoori Love» wird nicht nur viel getanzt und gesungen, sondern auch gekocht. Im Zentrum des Films stehen neben der Liebes-Romanze von Sonja und Rajah dessen magische Kochkünste im Zentrum, fast ein bisschen wie in Ang Lees Film «Eat Drink Man Woman».

Mit Nahaufnahmen roter Granatäpfel-Kerne, Paprikaschoten, Drachenfrüchte und mit Blumen und Gewürzen dekorierten Menus schafft Paulus ausdrucksstarke Bilder. Paulus, selbst ein passionierter Koch, hat für «Tandoori Love» eigens eine Küche kreiert. Eine Küche, deren Zubereitung und Resultat visuell möglichst sinnlich ist.

Rajah verwandelt das Gasthaus «Hirschen» in Diemtigen im Berner Oberland, wo Sonja arbeitet, in einen Gourmet-Tempel. Seine kulinarischen Köstlichkeiten stehen im Kontrast zu der vor seiner Ankunft dort servierten Rösti aus der Mikrowelle.

Auch die Schlachtplatte mit der platzenden Leberwurst in Grossaufnahme regt alles andere als den Appetit an. Es gehe ihm um die «Magie des Kochens und die kulinarische Verführung» und keineswegs darum, die Schweizer Küche gegen die indische auszuspielen, so Paulus.

Klischee-Schublade

Nicht nur beim Essen prallen im Film zwei Welten aufeinander: Die Ankunft der indischen Filmcrew in Diemtigen bringt die überschauliche und behäbige Welt im Berner Oberland ziemlich aus den Fugen.

Dabei öffnet Paulus sowohl die indische als auch die schweizerische Klischee-Schublade. Auf der einen Seite eine Welt aus Chalets und Bergen, wo Einheimische mit Stumpen am Stammtisch das Geschehen kommentieren. Auf der anderen Seite das quirlige indische Filmteam mit einer verwöhnten Filmdiva, die während den Dreharbeiten in der Schweiz unbedingt wie Heidi leben will.

Doch die Schweizer Bergidylle trügt: Immer wieder sind rassistische Sprüche von Schweizern wie «Drecks-Tamil» und «schmuddliger Asylant» zu hören. Auch die Beziehung zwischen Sonja und ihrem Verlobten bröckelt, sie verlässt schliesslich das sichere Heim und folgt Rajah nach Indien.

Ein bollywodsches Happy-End, wenn auch ein etwas zögerliches – die in Indien gedrehten Schlussszenen des Liebespaares folgen teilweise im Abspann.

Trotzdem hat Paulus mit seinem Film ziemlich viel Mut zum Kitsch gezeigt. Wenn man nichts riskiere, könne auch nichts Aussergewöhnliches entstehen, sagt Paulus. Doch für die Schweizer Filmemacher sei es angesichts der Abhängigkeit zu Filmförderung, Produzenten und Fernsehsendern oft schwierig, mutig zu sein.

«Unglaublicher Schwachsinn»

Die Macht der Produzenten zulasten der Autoren und Regisseure zu vergrössern, wie es eine Gruppe von Produzenten fordert, findet Paulus denn auch «einen unglaublichen Schwachsinn und eine völlig unnötige Kriegserklärung». Die Forderung hatte bereits im Vorfeld der Solothurner Filmtage für grosse Polemik gesorgt.

Jeder dieser Grabenkämpfe sei nur kontraproduktiv. Produzenten, Regisseure und Autoren müssten sich vielmehr gemeinsam stark machen, um in der Bevölkerung eine grössere Akzeptanz für den Schweizer Film zu erwirken.

Für Paulus liegt die Stärke der Schweizer Filmbranche gerade bei Autoren-Filmen mit eigener Handschrift, denn «wir können nicht mit den grossen Studio- und Produzentenfilmen aus Hollywood konkurrenzieren».

Schweizer Bollywood-Filme in Indien vermarkten, wäre das nicht eine Marktlücke? Dann müssten die indischen Filmemacher nicht mehr extra in die Schweiz reisen. «Ohne Mega-Superstars ist eine Auswertung in Indien sehr schwierig», sagt Paulus. Anfragen von indischen und pakistanischen Verleihern würden jedoch bereits vorliegen.

swissinfo, Corinne Buchser, Solothurn

Am Samstagabend wird an den Solothurner Filmtagen (19. bis 25. Jan. 2009) der «Prix du Public» verliehen. Neben «Tandoori Love» sind dafür folgende Filme nominiert: «Das FräuleinWunder» von Sabine Boss, «Du bruit dans la tête» von Vincent Pluss, «Home» von Ursula Meier, «Luftbusiness» von Dominique de Rivaz, «Maman est chez le coiffeur» von Léa Pool, «März» von Händl Klaus, «Räuberinnen» von Carla Lia Monti, «Sauvons les apparences!» von Nicole Borgeat und «Tag am Meer» von Moritz Gerber.

2008 ist Paulus am 32. Cairo International Film Festival für seinen Film «Tandoori Love» mit dem «Best Artistic Contribution Award» ausgezeichnet worden.

Die vom Schweizer Fernsehen ko-produzierte Liebeskomödie kostete rund 4 Mio. Franken und wurde namentlich vom Bundesamt für Kultur finanziell unterstützt.

Gemäss Olivier Paulus hat der Detailhandelsriese Migros, der in «Tandoori Love» mehrmals Schauplatz der Handlung ist, den Film mit 10’000 Franken unterstützt.

Die Synchronisation der Protagonistin Sonja, die von der Schweizer Presse immer wieder kritisiert wurde, ist eine Folge der Ko-Produktion. Die Rolle ging an den Ko-Produzenten Deutschland. Sie wird von der deutschen Schauspielerin Lavinia Wilson gespielt.

Auch Österreich ist Ko-Produzent des Films.

Der Schweizer Regisseur Oliver Paulus ist 1969 in Dornach im Kanton Solothurn geboren.

Nach der Schule für Gestaltung Basel folgten verschiedene Praktika und Regie-Assistenzen in Basel, Zürich, Köln und Düsseldorf.

1994-1998 Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg.

1994 His Mother’s Voice (Kurzfilm)
1995 Zwischen Paris und Dakar (Animationsfilm)
2001 Die Wurstverkäuferin (Kurzfilm)
2003 Wenn der Richtige kommt (Fiktion)
2006 Wir werden uns wiederseh’n (Fiktion)
2008 Tandoori Love (Fiktion)

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