Bonnard, der Verkannte, in der Fondation Beyeler
Zum ersten Mal seit 1999 werden in der Schweiz Werke des französischen Malers Pierre Bonnard in einer Einzelausstellung gezeigt. Die Fondation Beyeler würdigt den während einiger Zeit unterschätzten Koloristen mit einer Retrospektive.
«Man meint, Pierre Bonnard zu kennen, aber über sein Werk wissen die meisten nicht viel.» Mit diesen Worten beschreibt Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler, die Bekanntheit des Künstlers heute.
Bonnard war einer der Hauptvertreter der Nabis, einer post-impressionnistischen Künstlergruppe, die nach neuen Ausdrucksformen für die Kunst suchte. Bonnards einmaliger Charakter hat vermutlich zum mangelnden Ansehen in der Kunstgeschichte beigetragen.
Während langer Zeit wurde er als zu artig und zu konventionell betrachtet. Die 60 Werke, die in diesen Wochen in Riehen im Kanton Baselstadt ausgestellt werden, zeigen, wie wenig das zutrifft.
Das Museum der Fondation Beyeler, das vom italienischen Architekten Renzo Piano konzipiert worden war und seine Tore 1997 öffnete, möchte dem Meister der Farben den richtigen Platz zuweisen. Die Ausstellung – sie wurde soeben eröffnet und dauert bis am 13. Mai – deckt alle kreativen Phasen des Künstlers ab.
«Wir hoffen, dass eine neue Generation Bonnard entdeckt», sagt Sam Keller, der die Ausstellungen seit Beginn seiner Tätigkeit in der Fondation zum Erfolg führen konnte. 2011 verbuchte das Museum einen neuen Besucherrekord (vgl. rechte Spalte).
Eine Besonderheit der Fondation Beyeler ist es, regelmässig den Zugang zu den Werken – auch für die Dauerausstellung – zu verändern. Die Fondation kann sich auch auf die wertvolle Sammlung ihrer Gründer Ernst Beyeler und dessen Gattin Hildy stützen.
Die Retrospektiven werden, abwechslungsweise mit der Präsentation von zeitgenössischen Künstlern, die eine Beziehung zum Galeristen hatten, mit Werken dieser Sammlung zusammengefügt. Das ist auch der Fall bei Pierre Bonnard, den Ernst Beyeler sehr geschätzt hat.
Ein neues Bonnard-Museum
Der Künstler scheint in den Museen derzeit eine Renaissance zu erleben, obwohl die letzte Ausstellung in der Schweiz – in der Fondation Gianadda – 13 Jahre zurückliegt. Eine umfassende Retrospektive wurde 2006 im Museum für moderne Kunst in Paris gezeigt.
Die Villa Flora in Winterthur hat ebenfalls zahlreiche Werke des französischen Malers. Im letzten Juni wurde in Le Cannet, im französischen Departement Alpes-Maritines, wo Bonnard gestorben war, ein Museum eingeweiht.
«Ich gehöre zu keiner Schule, ich versuche lediglich etwas Persönliches zu machen», hatte Pierre Bonnard gesagt. Seine Kompositionen gestaltete er immer wieder anders, und er wählt erstaunliche Perspektiven. Bonnard gilt als Magier der Farbe. Die überschwänglich farbigen Gemälde – der Kunsthistoriker Jean Clerc hatte über Bonnard einst gesagt, er sei ein «Abenteurer des Sehnervs» – ziehen heute wieder die Aufmerksamkeit auf sich.
Die Fondation Beyeler hat die Ausstellung so gestaltet, dass die Besucher das Gefühl haben, sich im «imaginären Haus» des Künstlers aufzuhalten. Zuerst wird man eingeladen, «die Strasse» zu betrachten, eines der privilegierten Sujets des Künstlers zu Beginn seiner Karriere, als er noch zu den Gründern der Nabis gehörte. Bonnards Interesse am sogenannten Japonismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts, verlieh ihm den Übernamen «Nabi japonard». Der Paravent «La promenade des nourrices» zeigt diese Affinität für die Kunst und die Gegenstände des Inselstaats Nippon.
Melancholie
Im zweiten Raum befinden sich die Werke des «Salle à manger». Die Melancholie des «Petit Déjeuner de Misia Natanson» entspringt sowohl dem verlorenen Blick der jungen Frau, ausgedrückt durch einen verschwommenen und sanften Stil, als auch dem leblosen Natur-Stilleben im unteren Teil der Komposition.
Die Szenen im Innenraum ermöglichen Bonnard, neue Perspektiven auszuprobieren. Laut dem Kurator Ulf Küster repräsentiert Bonnard auch eine Gesellschaft, die am Verschwinden ist.
Die Kälte und scheinbare Immobilität des Esszimmers kontrastiert mit den Szenen im Badezimmer und den Aktgemälden, die ebenfalls zu Bonnards privilegierten Themen gehören, und bei denen meistens seine Lebensgefährtin und spätere Frau Marthe als Modell figuriert.
Eines der schönsten Bilder der Ausstellung, «L’homme et la femme» (1990), zeigt Marthe auf einem Bett sitzend und daneben den Maler stehend auf der anderen Seite des Spiegels, der am Boden steht – keine Erotik, sondern eine von Melancholie gefärbte Zartheit.
Die Gärten, ein weiteres malerisches Betätigungsfeld des Künstlers, finden sich in mehreren Ausstellungsräumen mit Titeln wie «Le jardin sauvage», «Le jardin ensolleillé» und «Jardins et paysages». Pierre Bonnard hat ihnen unzählige Bilder gewidmet, anfänglich in der Normandie im Haus «Ma roulotte» in Vernonnet, später an der Côte d’Azur in der Villa «le Bosquet» in Le Cannet.
Dort fand er zahlreiche Ideen für seine Farbexperimente. Fotografien, welche Marthe nackt zwischen Baumgruppen zeigen, bezeugen, dass der Garten Ort des Familienlebens und der Inspiration für die Gemälde war.
Selbstporträts
Im Freien sind die Gesichter der Personen meistens verschwommen, kaum erkennbar. Das ist auch der Fall bei Bonnards wenig schmeichelhaftem Selbstporträt «Le boxeur» (1931), auf dem man einen Ausdruck des Schmerzes hinter der Verschwommenheit seines Gesichts zu erkennen glaubt.
Als ob er gezögert hätte, sich wirklichkeitsgetreu zu malen. Etwas älter und ebenfalls undeutlich dargestellt ist er auf dem «Portrait de l’artiste dans la glace du cabinet de toilette». Ein anderes Selbstporträt, im Stil Gaugins gemalt, zeigt den jungen Künstler mit Bart, der dem Betrachter ins Gesicht schaut.
Für Bonnard war die Farbe ein Mittel, die Seele zu beeinflussen, oder wie er es selbst formulierte: «Es geht nicht darum, das Leben zu malen, sondern darum, die Malerei lebendig zu machen.»
Pierre Eugène Frédéric Bonnard kommt 1867 in Fontenay-aux-Roses auf die Welt.
Von 1885 bis 1888 ist er an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Paris immatrikuliert. Parallel zu seinem Studium belegt er Kurse an der Académie Julian.
1887 wird er an der Ecole des Beaux-Arts aufgenommen.
Ab 1888 schliesst sich Bonnard, beeinflusst von den Ideen und vom Stil Paul Gaugins, mit Maurice Denis, Paul Sérusier, Henri-Gabriel Ibels und Paul Ranson in der post-impressionistischen Avant-Garde der Nabis (hebräisch: Propheten) zusammen.
1890 macht die Ausstellung «La Gravure japonaise» grossen Eindruck auf Bonnard und wirkt sich auf seine späteren Werke aus, was ihm den Übernamen «Pierre Bonnard, très japonard» einträgt.
1891 stellt Bonnard seine Werke zum ersten Mal im «Salon des Indépendants» aus. Sein Plakat «France-Champagne» auf den Mauern von Paris findet grosse Beachtung.
1893 macht er im Montmartre Bekanntschaft mit der 24-jährigen Maria Boursin (1869-1942), die sich Marthe de Méligny nennt. Sie wird sein bevorzugtes Modell und seine Lebensgefährtin.
1912 kauft er ein Haus in Vernonnet im Nordwesten von Paris. Er besucht regelmässig Claude Monet, dessen Haus in Giverny sich ganz in der Nähe befindet.
1916 folgt er der Einladung seiner Freunde Hedy und Arthur Hahnloser nach Winterthur, wo er 12 seiner Werke in einer Ausstellung zeigt, die der französischen Kunst gewidmet ist.
Am 13. August 1925 – nach einer 30-jährigen Partnerschaft – heiraten Pierre Bonnard und Marthe Boursin.
1940 zieht sich Bonnard nach Le Cannet zurück. Während den Kriegsjahren kehrt er kein einziges Mal nach Paris zurück.
Am 26. Januar 1942 stirbt Marthe Bonnard an chronischer Lungen-Tuberkulose.
Die letzten Lebensjahre zwischen 1944 und 1946 sind geprägt von einer Vielzahl Ausstellungen, Publikationen und einer grossen künstlerischen Aktivität.
Am 23. Januar 1947 stirbt Pierre Bonnard in Le Cannet an Kehlkopf-Tuberkulose.
Die Stiftung wurde 1997 in Riehen, Basel-Stadt, auf Initiative des Galeristen und Kunstsammlers Ernst Beyeler gegründet.
Dieses vom italienischen Architekten Renzo Piano konzipierte Kulturzentrum ist das Schweizer Kunstmuseum mit der grössten Besucherzahl.
Es empfängt jedes Jahr über 300’000 Besucher. 2011 hat die Fondation einen Besucherrekord von mehr als 420’000 Personen verzeichnet.
Die Ausstellungen von 2011 haben 8,8 Mio. Franken gekostet, 2010 beliefen sie sich auf 6,7 Mio. Franken.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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