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Ein Schweizer bei den letzten Penan-Nomaden

Tomas Wüthrich
Thomas Kern/swissinfo.ch

Der Fotograf Tomas Wüthrich gibt einen Einblick in das Leben der Penan, einem indigenen Stamm aus dem Sarawak-Regenwald in Malaysia. Von der Jagd mit dem Blasrohr bis zur Abholzung des Regenwaldes erzählen seine Bilder vom Alltag einer bedrohten Existenz. "Ich bin aber nicht der neue Bruno Manser", sagt er.

«Hallo Tomas, willst Du mit mir zu den Penan auf Borneo kommen?»

«Du meinst, dorthin, wo Bruno Manser verschwunden ist?»

«Ja, genau dorthin.»

So beginnt die Geschichte, die einen Bauernsohn aus dem Kanton Freiburg in den Dschungel von Sarawak auf der Insel Borneo führte. Es war an einem Sommertag im Jahr 2014, als Tomas WüthrichExterner Link den Anruf eines Freundes erhielt, einem Journalisten.

«Ich wusste nicht, ob es gefährlich werden könnte. Aber ich stimmte zu, bevor ich überhaupt mit meiner Frau darüber gesprochen hatte», erzählt er uns in seinem Wohnzimmer zu Hause in Liebistorf, einem kleinen Dorf zwischen Bern und Freiburg.

Tomas Wüthrich
Tomas Wüthrich hat viel von den Penan in Sarawak mit heim in die Schweiz genommen, insbesondere das Teilen mit anderen. Thomas Kern/swissnifo.ch

Tod eines Bauernhofs

Nach einer Lehre als Schreiner und einer Tätigkeit mit Behinderten stösst Wüthrich «fast zufällig» auf die Fotografie: Als die Eltern beschliessen, den bäuerlichen Familienbetrieb in Kerzers zu verkaufen, nimmt er die Kamera in die Hand und erzählt die Geschichte der letzten Tage dieses ländlichen Lebens, das seine Kindheit geprägt hat. «Die bäuerliche Welt faszinierte mich. Ich wollte den Tod eines Bauernhofs dokumentieren», sagt er.

Nach Abschluss der Ausbildung zum Pressefotografen an der Schweizerischen Journalistenschule MAZ in Luzern arbeitet er als Fotojournalist für die Berner Zeitung. Seit 2007 ist er freier Fotograf. Die Zusammenarbeit mit Schweizer Zeitungen und internationalen Zeitschriften, in deren Auftrag er Reportagen und Porträts realisiert, ermöglicht ihm das Überleben. «Aber es ist nicht immer ein erfüllender Job. Ich wollte schon immer mal etwas Eigenes machen», sagt der 47-Jährige.

Treffen mit den Penan

November 2014. Wüthrich ist das erste Mal in Sarawak. Er begleitet einen Schweizer Notarzt, der für drei Monate von Dorf zu Dorf gehtExterner Link, um die Gesundheitsversorgung der Penan zu gewährleisten.

Die etwa 10’000 Penan sind eine traditionell nomadisierende Gruppe, die im Regenwald lebt. Sie waren ursprünglich Jäger und Sammler, leben heute aber überwiegend sesshaft in Dörfern, obwohl sie für ihre Existenz weiterhin auf den Wald angewiesen sind.

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Wüthrich erinnert sich noch gut, wie stark die Realität der Einheimischen das erste Mal auf ihn wirkte. «Es war entmutigend zu sehen, wie die sesshaften Penan lebten, entwurzelt in Hütten an der prallen Sonne.»

Fasziniert war der Fotografen von einem Treffen mit einer Gruppe von Penan, die bis zum Vorjahr im Dschungel gelebt hatten. «Sie zeigten uns die Bäume, aus denen sie das Gift für ihre Pfeile gewinnen, den Bau der Blasrohre, die Jagd. Es war fantastisch.»

Die Fotografien der Penan von Tomas Wüthrich werden im Kornhausforum in Bern vom 6. September bis am 12. Oktober ausgestellt. Zur Ausstellung erscheint im Verlag Scheidegger & Spiess der Bildband «Doomed Paradise».

2015 reist der Fotograf erneut nach Borneo, mit einem klaren Ziel: das tägliche Leben jener Penan dokumentieren, die noch immer eine nomadische oder halbnomadische Existenz im Urwald führen.

An Peng Megut, dem Dorfführer eines Stamms, fällt ihm sofort «ein unglaubliches Charisma» auf. Der im Dschungel aufgewachsene Mann ist sich des Fortschritts bewusst und schätzt einige Aspekte der Moderne. Dennoch sei er mit der alten Lebensweise der Penan verbunden geblieben, staunt Wüthrich. «Im Geist ist er weiterhin ein Nomade.»

20 Rappen für eine Tonne Holz

Zwischen 2014 und 2019 verbringt Wüthrich etwa sechs Monate bei den Penan. Er lernt ihre Sprache und schätzt ihre Gastfreundschaft. «Sie sind ein zurückhaltendes Volk, aber äusserst herzlich und gastfreundlich, ohne Vorurteile. Ich war beeindruckt von ihrer tiefen Kultur des Teilens.»

Zu seinen schönsten Erinnerungen gehört, sich nach einem tagelangen Marsch im unberührten Wald wiederzufinden. «Wir bauten eine Hütte und versammelten uns um ein Feuer und assen Sago und Fleisch, zwischen den Geräuschen der Zikaden und der anderen Tiere des Waldes. Es waren unvergessliche Momente.»

Auf seinen Reisen beobachtet der Fotograf auch die andere Seite dieser wilden Existenz: die Zerstörung des Urwaldes. Viele Gebiete wurden von Behörden und privaten Unternehmen abgeholzt. Andere wurden von Penan verkauft, die Geld brauchen. «Manchmal für nur 20 Rappen pro Tonne Holz», sagt Wüthrich traurig.

Die endlosen Ölpalmen-Plantagen, die dort entstanden sind, wo einst Regenwald stand, gehören zu den «traurigsten» Ansichten vom Leben in Sarawak, so der Fotograf. «Es ist erschreckend zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit ein Bulldozer arbeitet. In wenigen Minuten kann er durch den Wald einen Weg graben.»

Machete
Penan-Machete: Erinnerung an Wüthrichs Aufenthalt im Regenwald. Thomas Kern/swissinfo.ch

Der Kampf zwischen den indigenen Urwaldvölkern und den Forstwirtschaft-Konzernen ist ein ungleicher Kampf. Und doch konnten die Jäger mit den Blasrohren einen Sieg erringen: Als in 2018 die Holzfäller in Begleitung der Polizei vor der Barrikade der Penan erschienen, wurden die Bulldozer abgeschaltet.

Ohne die Erlaubnis von Peng Megut, der im Besitz von ordentlichen, mit Unterstützung aus der Schweiz hergestellten LandkartenExterner Link ist, könne hier kein Holz geschlagen werden, sagten die Polizisten. «Die Holzfäller sind mit leeren Händen abgezogen», sagt Wüthrich.

Das rätselhafte Verschwinden des Bruno Manser

Das Engagement des Freiburger Fotografen erinnert an das eines anderen Schweizer, Bruno Manser aus Basel. Zwischen 1984 und 1990 lebte Manser auf der Insel Borneo und studierte und dokumentierte die Sprache, Bräuche und Traditionen der Penan. In der Schweiz hielt er zahlreiche Vorträge über die Rettung des Tropenwaldes in Sarawak.

Manser verschwand im Jahr 2000, nachdem er illegal auf die Insel Borneo zurückgekehrt war. 2005 wurde er vom Zivilgericht Basel rechtlich für tot erklärt. Für das Gericht war offensichtlich, dass «die malaysische Regierung und die multinationalen Holzkonzerne ein grosses Interesse daran hatten, Bruno Manser zum Schweigen zu bringen».

Der Bruno-Manser-FondsExterner Link (BMF) setzt das Engagement des Schweizer Umweltschützers heute fort. Die Organisation kämpft für den Schutz des Tropenwaldes und die Verteidigung der Rechte der von der Entwaldung bedrohten indigenen Völker.

Pfeile
Penan-Pfeile, ohne die mit Gift bestrichene Spitze. Thomas Kern/swissinfo.ch

Trotz der Gemeinsamkeiten sieht sich Tomas Wüthrich nicht als neuen Bruno Manser. «Ich entfliehe nicht unserer Gesellschaft und ich will mich nicht wie Manser in den Wald zurückziehen. Meine Familie und mein Leben sind in der Schweiz», betont er.

Wüthrich lobt die unglaubliche Arbeit des BMF, besonders das Waldkartierungs-ProjektExterner Link, und bedauert, dass Manser manchmal falsch dargestellt wird. So stand dieser nicht vor den Barrikaden, wie im neuen Kinofilm über den AktivistenExterner Link zu sehen ist, der am 26. September 2019 beim Zurich Film Festival (ZFF) als Weltpremiere gezeigt wurde.

«Mansers Verdienst ist, dass er die verschiedenen Stämme der Penan vereint und einen gemeinsamen Widerstand organisiert hat. Aber er hielt sich bewusst im Hintergrund», sagt Wüthrich.

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Verlorenes Paradies

Für Wüthrich bleibt die Erfahrung mit den Penan nicht nur eine Erinnerung. Eine Auswahl der Bilder, die er im Dschungel und in den Dörfern aufgenommen hat, zeigt er in dem Buch «Doomed Paradise»Externer Link, das er Anfang September an der gleichnamigen Ausstellung seiner Fotografien im Berner KornhausforumExterner Link präsentierte.

«Peng Megut wurde für mich zu einem Freund», sagt Wüthrich. «Er bat mich, der Welt vom Leben der Penan zu erzählen. Das wollte ich machen, ohne ein romantisches Bild vom Leben im Dschungel zu vermitteln. Ich wollte auch den Einfluss der Moderne zeigen.»

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Der Fotograf gibt sich keinen Illusionen hin. Der Wald und das Leben im Kontakt mit der Natur stehen unter Druck, und seine Fotos werden die Welt nicht verändern. «Ich möchte den Menschen jedoch zeigen, dass alles miteinander verbunden ist: Unser Verbrauch von Palmöl hat Folgen für die Penan, und die Abholzung hat Auswirkungen auf das Klima.»

Wie das alte Nomadenvolk von Borneo hat sich auch Tomas Wüthrich verändert. Nach den Erfahrungen im Dschungel habe er weniger Angst vor der Zukunft, sagt er. «Heute lebe ich friedlicher. Ich teile, was ich besitze. Und ich habe mein Haus für Fremde geöffnet und einen Asylsuchenden aufgenommen.»

Penan

Die Penan sind eine von 24 indigenen Gruppen in Sarawak, dem grössten Bundesstaat Malaysias, auf der Insel Borneo. Mitte des letzten Jahrhunderts führten sie noch ein nomadisches oder halbnomadisches Leben, jagten und sammelten Nahrung im Urwald.

Heute sind die meisten der rund 10’000 Penan zu einem sesshafteren Leben übergegangen. Die indigene Bevölkerung baut Reis und andere Nutzpflanzen an, obwohl sie weiterhin für den grössten Teil ihrer Bedürfnisse auf den Wald angewiesen ist.

Die Entwaldung, speziell um neuen Platz für Ölpalmen-Plantagen zu schaffen, ist die grösste Bedrohung für die Lebensweise der Penan. Sie ist auch die Ursache für Trinkwasser-Verunreinigungen und Bodenerosion. Laut dem Bruno-Manser-FondsExterner Link sind weniger als 10% des Urwaldes intakt geblieben.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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