Bundesverwaltung respektiert Mehrsprachigkeit zu wenig
Laut Helvetia Latina verlieren Französisch und Italienisch in der Bundesverwaltung immer mehr an Boden, namentlich wegen Sparmassnahmen in den verschiedenen Departementen.
Der Verein zur Interessenvertretung der lateinischen Sprachen und Kulturen in der Bundesverwaltung fordert die Neulancierung des Sprachengesetzes, das nächste Woche ins Parlament kommt.
Die Umsetzung der bundesrätlichen Weisungen zur Mehrsprachigkeit sei drei Jahre nach Inkrafttreten enttäuschend, teilte die aus Parlamentariern und weiteren Akteuren zusammengesetzte Gruppe Helvetia Latina am Montag mit.
Es fehlten verlässliche Statistiken über die effektive Mehrsprachigkeit auf höchster Hierarchie-Ebene. Zum anderen sei zwar gewährleistet, dass das Bundespersonal jeweils in der eigenen Sprache arbeiten könne. Im Alltag sei es damit aber nicht weit her. Eine weitere Diskriminierung drohe mit der beginnenden Auslagerung der Sprachdienste.
Laut Helvetia Latina bleibt viel zu tun, «um drohendes Unheil abzuwenden». Ein Augenmerk gilt einer von Claude Ruey, liberaler Waadtländer Nationalrat und Helvetia-Latina-Präsident, eingereichten Motion.
Darin fordert Ruey, dass Spitzenleute beim Bund zwingend einer zweiten Landessprache mächtig sein müssen und eine Dritte verstehen. Der Vorstoss muss vom Parlament noch behandelt werden.
«Heute dominiert der Utilitarismus. Man arbeitet immer mehr nur noch in einer Sprache, Deutsch oder Englisch», sagte Claude Ruey gegenüber swissinfo. Er betonte jedoch auch, dass das Eidgenössische Personalamt viel für die Mehrsprachigkeit mache.
«Doch auch die Amtsvorsteher müssen konkret dafür kämpfen», so Ruey. «Helvetia Latina erwartet mehr als nur das politisch korrekte.»
Heisse Diskussion erwartet
Zudem will Helvetia Latina Druck für das vom Bundesrat «recht stiefmütterlich» behandelte Sprachengesetz machen.
Angesichts der «Starrköpfigkeit» der Landesregierung müsse das Parlament nun seine Verantwortung wahrnehmen und seine Arbeit machen. Das Sprachengesetz ist im Nationalrat in der letzten Sessionswoche traktandiert.
Gleich aus zwei Gründen wird es in dieser Woche zu einem Sprachenstreit kommen: Zum einen will die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) das Bundesgesetz zur Förderung der Landessprachen gegen den Willen der Schweizer Regierung durchsetzen.
Zum andern legt sich die Kommission mit den Kantonen an: Das mit einem Antrag, der sich klar gegen den vorgezogenen Englischunterricht in Ost- und Zentralschweizer Schulen richtet.
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Vielsprachigkeit
Kommission enttäuscht
Bereits die beratende Nationalratskommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) war im November nicht zufrieden mit der Stellungnahme der Regierung zu ihrem Entwurf für ein Sprachengesetz. Sie sieht darin «eine Geringschätzung des politischen Willens der Kommission».
Bereits im April 2004 hatte die Regierung das beschlussreife Sprachengesetz aus Spargründen zurückgezogen. Aufgrund einer Parlamentarischen Initiative nahm die WBK diese Arbeiten aber wieder auf.
Wie die WBK zur Kenntnis nehmen musste, bleibt der Bundesrat bei seiner ablehnenden Haltung. In einer Mitteilung kritisierte sie die «sehr knappe und wenig konstruktive Stellungnahme».
swissinfo und Agenturen
63,7% der Bevölkerung des Landes sprechen Deutsch, 20,4% Französisch, 6,5% Italienisch, 0,5% Rätoromanisch und 8,9% eine andere Sprache.
In den untersten Lohnklassen der Bundesverwaltung haben 68,9% Personen Deutsch als Muttersprache, 18,1% Französisch, 8,4% Italienisch und 0,3% Rätoromanisch.
In den höchsten Lohnklassen haben 72,2% Deutsch als Muttersprache, 22,2% Französisch, 4,4% Italienisch, und 0,6% Rätoromanisch.
Helvetia Latina wurde 1980 als politisch unabhängige Institution gegründet.
Sie wacht darüber, dass die allgemeine Bundesverwaltung und die Eidgenössischen Betriebe der lateinischen Kulturen den ihr zukommenden Platz garantieren.
Sie zählt heute 350 Mitglieder, darunter rund 100 eidgenössische Parlamentarier aus der lateinischen Schweiz.
Das Schweizer Sprachengesetz soll den Gebrauch der Amtssprachen regeln.
Es soll Verständigung und Austausch fördern und die mehrsprachigen Kantone bei ihren besonderen Aufgaben unterstützen.
Es will die Viersprachigkeit als Wesensmerkmal der Schweiz stärken. Das Italienische und das Rätoromanische sollen als Landessprachen erhalten bleiben.
Die Vorlage war für die Session in Flims geplant. Da jedoch noch eine Stellungnahme der Regierung benötigt wurde, ist die Vorlage nun für die letzte Woche der Wintersession traktandiert.
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