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Bunter Literatur-Cocktail in Solothurn

Newcomer Urs Mannhart liest aus seinem Romanprojekt "Hürlenen". swissinfo.ch

Fazit der 26. Solothurner Literaturtage: Literatur multimedial präsentiert spricht viele Bevölkerungsschichten an, auch solche, die ihre Nasen nicht gern zwischen Buchdeckel stecken.

Rund 8500 Literaturbegeisterte folgten den Darbietungen von Literaturstars und Newcomers aus dem In- und Ausland.

Ausverkauft waren die Lesungen der deutschen Literaturstars Hans Magnus Enzensberger und Christoph Hein. Auch Eveline Hasler mit Ausschnitten aus ihrem im Herbst erscheinenden Roman «Tells Tochter» und Hugo Loetschers Lyrikdarbietung mit Klavierbegleitung fanden grossen Anklang.

In Solothurn lebt die Literatur jedoch nicht nur von den grossen Namen. Die Literaturtage sind eine Plattform für unbekannte Autorinnen und Autoren, die ihre Werke dem Publikum präsentieren wollen, häufig in der Hoffnung, von Talentsuchern der Buchverlage entdeckt zu werden.

«Literatur querbeet»

Immer beliebter werden die Lesungen auf dem Friedhofplatz, wo «Literatur querbeet» gratis konsumiert werden kann. Viele Wochenmarktbesucher unterbrachen hier ihre Einkaufstour, setzten sich, tranken einen Kaffee und lauschten den Darbietungen.

Bei «Literatur querbeet» ging es ungezwungen zur Sache. Frische Texte, teilweise auch in Lieder verpackt, hallten über den Platz. Besonders fiel die deutsche Strassenmusikerin Uta Titz auf. Sie unterbrach die Lesung aus ihrem Roman «Stella Runaway» immer wieder mit Musikeinlagen.

Uta Titz könnte ihre Zuhörer auch ohne Unterbrechung bei der Stange halten. Frech, unbekümmert und witzig schilderte sie Episoden aus dem Leben einer Strassenmusikerin. Sie erweckte ihre Roman-Protagonistin zum fast realen Leben.

Literatur geht durch den Magen

Eine literarische Speisekarte auf dem Friedhofplatz bot hungrigen Hörerinnen und Hörern einen Max-Frisch- (Risotto), ein Jeremias-Gotthelf- (Beinschinken und Kartoffelsalat) sowie einen Hermann-Hesse-Teller (gemischter Salat). Der Rotwein wurde Peter Bichsel gewidmet. Dies freute den Solothurner Autor dermassen, dass er eine Spontanlesung veranstaltete. Mit «Tessin und Grappa» demonstrierte Bichsel, dass er auch agil, witzig und spritzig sein kann. Das Publikum dankte seinen Effort mit Ovationen.

Mit dem Apero, einem «Michael Moore-Cüpli», bewiesen die Veranstalter eine prophetische Ader. Moore wurde ja am Filmfestival von Cannes für seinen Anti-Bush-Streifen «Fahrenheit 9/11» mit der «Goldenen Palme» ausgezeichnet.

Erfolgreicher Literaturwettbewerb

Die sieben Gewinner des OpenNet-Literatur-Wettbewerbs boten eine spannende und unterhaltsame Lesung. Das Publikum durfte sich an ungewöhnlichen Formulierungen freuen. So las etwa der Berner Velokurier Urs Mannhart aus seinem «Hürlenen»-Romanprojekt. Geschickt baute er die fiktive Berner Oberländer-Gemeinde Hürlenen in einen realen Kontext ein, indem er General Dufour, dem Schöpfer der ersten genauen Landeskarte der Schweiz, einen Flüchtigkeitsfehler andichtete.

Lockere, witzige Formulierungen wie «In Hürlenen nehmen alle Geschichten einen natürlichen Ausgang: Er oder sie oder es ist oder sie sind in die Schlucht gestürzt», sorgten beim Publikum für Heiterkeit. Sprachwitz, rasche Tempowechsel und eine geschickt aufgebaute Choreographie lassen hoffen, dass Mannhard einen Verleger findet, der das Werk auch publiziert.

Kinder sind dankbare Zuhörer

Lesungen vor einem jungen Publikum sind grundsätzlich anders als vor erwachsenen Hörerinnen und Hörern. Kinder gehen mit, das sieht und hört man. Kinder melden sich, geben dem Autor sofort Rückmeldungen.

Unter anderen gab der 73-jährige Max Huwyler einige seiner Texte zum besten. Seine witzigen und trotzdem zum Nachdenken anregenden Geschichten kamen an, trafen offensichtlich den Geschmack des jungen Publikums.

Ein Beispiel: «Es war einmal eine Giraffe, die hatte den Wunsch, einen langen Hals zu haben. – Aber du hast doch schon einen langen Hals, sagte der kleine Vogel. – Ich weiss, sagte die Giraffe, aber ich werde den Wunsch nicht los.»

Essayisten – Vereinigt euch!

Ein wenig elitärer als in der Mundartnacht ging es auf dem Podium «Essay und Essayismus» zu. Dieter Bachmann, Hans Magnus Enzensberger, Christoph Hein und Jacques Pilet veranstalteten eine nicht immer hochstehende Diskussion.

Zum Glück retteten Christoph Hein und Hans Magnus Enzensberger die sonst etwas hölzern daherkommende Gesprächsrunde. Ihrem Wortwitz, ihrer offensichtlichen Erfahrung und ihrer Schlagfertigkeit waren die Schweizer Teilnehmer nicht gewachsen. Manch einer im Saal hätte sich Roger de Weck als Schweizer Diskussions-Teilnehmer gewünscht.

Mund-Art

Bei «GÄGÄWÄRT – Die Mundartnacht» in der Kulturfabrik Kofmehl fand sich ein vorwiegend junges Publikum ein, das man an den offiziellen Lesungen der Literaturtage vergeblich suchte.

In der berstend vollen und unglaublich heissen Kulturfabrik fesselten «Mund-Artisten» die dicht gedrängt stehende Menschenmasse mit ihren teils absurden, witzigen, überraschenden Darbietungen – ein Ohrenschmaus!

Lyrischer Ausklang

Hugo Loetscher und Hans Magnus Enzensberger schenkten den Solothurner Literaturtagen einen lyrischen Ausklang. Die musikalische Begleitung der Pianistin Eriko Kagawa brachte Loetschers besinnliche und sauber komponierte Verse vorteilhaft zur Geltung. Dem Zürcher Altmeister liegt die Prosa jedoch eindeutig besser.

Als Schlusspunkt kramte Hans Magnus Enzensberger in seinem reichen Poesie- und Lyrikschatz. Seine humorvollen aber auch nachdenklich stimmenden, ausgefeilten Texte vermochten die durch drei Tage Dauer-Literatur strapazierte Publikums-Aufmerksamkeit bis zum Schlusspunkt aufrecht zu halten.

swissinfo, Etienne Strebel, Solothurn

Rund 8500 Literatur-Intressierte besuchten die diesjährigen Solothurner Literaturtage.
Mehr als 60 Veranstaltungen standen zur Auswahl.
Anwesende Prominenz: Hans Magnus Enzensberger, Eveline Hasler, Christoph Hein, Wolf Haas, Peter Bichsel, Alain Robbe-Grillet.

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