«Cicero» – Ringier kehrt nach Deutschland zurück
Mit dem Autorenmagazin "Cicero", für das Eliten aus Politik und Wirtschaft zur Feder greifen sollen, wagt der Schweizer Ringier-Verlag erneut den Schritt nach Deutschland.
Ein mutiger Entscheid, befindet sich die Medienbranche doch in einer der grössten Krisen ihrer Geschichte.
Am Donnerstag ist die erste Nummer von «Cicero», dem neuen «Magazin für politische Kultur», erschienen. Die 146-seitige Publikation, davon rund 100 redaktionelle Seiten, gelangt in einer Startauflage von 100’000 Exemplaren in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Verkauf.
Mit «Cicero» will sich Ringier in der Klasse des qualitativ hochstehenden Hintergrund-Journalismus positionieren.
Der Neuling im deutschsprachigen Blätterwald ist ein politisch-kulturelles Autorenmagazin, das als «Treffpunkt für Vordenker» gedacht ist. Zu den Autoren der Startausgabe gehören Arthur Miller, Umberto Eco, Madelaine Albright und anderen Persönlichkeiten.
Prominente Interview-Gäste sind der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, der Kandidat für das Amt des deutschen Bundespräsidenten, Horst Köhler, sowie Milton Friedman, Träger des Nobelpreises für Ökonomie. Die Schweizer Publizistik ist mit Beiträgen von Roger de Weck und Frank A. Meyer vertreten.
Eliten-Anspruch
«Cicero» ist als «gedruckter Salon» konzipiert, in dem die grossen und tiefgreifenden Gesellschafts-Debatten hintergründig vertieft werden sollen. Essays in der Startnummer handeln unter anderem von Europa, grossen Reformern und dem Verhältnis des Geschehenen und Inszenierten in den Medien.
Lesen sollen den «Cicero» in erster Linie führende Köpfe und Meinungsmacher aus Politik und Wirtschaft sowie Politik- und Kulturinteressierte.
Qualität vor Quantität
«Winzig, aber gediegen»: So umschrieb Verlagsleiter Michael Ringier im Vorfeld die Devise des Monats-Magazins. «Als Antwort auf die Medienkrise haben die Verlage mit Boulevardisierung und Nutzwert reagiert. Wir wagen das Gegenteil, Salon und Denkwert», erklärte Chefredaktor Wolfram Weimer vor dem Start die Stossrichtung.
Marktlücke
«Es gibt Menschen, die Analytisches und Nachhaltiges lesen wollen», so Martin Paff, Verlagsleiter der Ringier Publishing GmbH in Berlin, gegenüber swissinfo. «Was heute offensichtlich fehlt, ist das ’nachhaltige Stück›, ohne staubig oder professoral zu wirken.» «Cicero» ziele in diese Marktlücke, ohne aber «die Leser zu überanstrengen».
Die gegenwärtige Medien-Krise ist gemäss Paff zudem der richtige Zeitpunkt zur Lancierung, denn die grossen Magazine seien immer aus ihrer Zeit heraus geboren worden.
Gute Chancen
Dem ambitionierten Projekt attestiert Georg Christoph Tholen, Professor für Medien- und Kulturwissenschaften an der Universität Basel, gute Chancen. «Ich finde «Cicero» als Modell sehr gut und sehr wichtig. Es besteht ein grosser Bedarf an guten, neuen Texten und gepflegten publizistischen Formen.»
Die Kultur hintergründiger oder schwerpunktorientierter Publikationen – Tholen erwähnt als Beispiele den «Merkur», das «Kursbuch» oder die «Frankfurter Hefte» – sei «zerbrochen». An deren Stelle sei die mediale Segmentierung getreten. Auch habe er bei der jungen Generation eine Tendenz zur flüchtigeren Zeitungslektüre, zur Lektüre von Hypertext-Fragmenten beobachtet, so Tholen weiter.
Neue Orientierung gefragt
«Da bricht das historische Wissen weg. Daraus entsteht auch bei jüngeren Lesern ein Orientierungsbedarf, eine Gegenströmung zum Hype der neuen Medien», so der Medienexperte.
In «Cicero» setzt Tholen auch deshalb Hoffnungen, «weil die längere Reflektionszeit eines Monatsmagazins per se eine höhere Recherche-Intensität und die Kunst, Sprache in Bilder zu fassen, voraussetzt».
«Cicero» biete zudem eine Chance, den von ihm konstatierten Generationenbruch zwischen Publikum und Schreibern zu überwinden. «Das Magazin könnte sowohl für die Älteren interessant, als auch Vorbild für die Jüngeren sein, gut schreiben zu lernen.»
Aufklärung als Auslaufmodell?
«Cicero» als Forum räsonierender Bürger in der Tradition der Salon-Debatten hält Tholen nicht für ein Auslaufmodell. Vielmehr sieht er darin eine «in Geschwindigkeit und Format neu kombinierte Form der Aufklärung».
Bedarf für diese neue Form ortet Tholen vielerorts, beispielsweise bei Themen wie Liberalismus, Islamismus, der Postmoderne mit ihrem Recycling-Muster, aber auch bei multikulturellen Phänomenen wie der Hip-Hop- und Technomusik.
Politformen wie im ehemaligen Jugoslawien oder generell Formen des internationalen Austausches, zu dem er auch die Folgen des 11. September 2001 zählt, seien weitere Felder, wo aufklärerischer Handlungsbedarf bestehe. «Dazu gibt es wenige Artikel mit längerer Haltbarkeit», so Tholen.
Wider den Trend
Für «Cicero» spricht laut Tholen auch, dass «der Hype der Lifestyle-Feier» vorbei sei. «Die Kluft zwischen Selbstbild und Vorbild ist wieder aufgerissen. In diesem Vakuum beginnt die Suche nach neuen Vorbildern, auch politischen.» Da mache ein Magazin mit aufklärerischer Funktion durchaus Sinn, so Tholen.
Ringier, der Antizykliker
Das «Cicero»-Engagement in Deutschland erfolge aus purer Lust, erklärte Michael Ringier. Strategische Überlegungen hätten keine Rolle gespielt. «Wir machen das Magazin bewusst aus der Krise heraus, warten also nicht darauf, dass die Werbewirtschaft bessere Zeiten ankündet», erläutert Verlagsleiter Paff.
Paff ist sich bewusst, dass «Cicero» mit der Mediennutzungszeit von Politikern, Wirtschaftskapitänen und Industrie-Bossen konkurriert, die oft 16-Stunden-Tage hätten. «Da wir monatlich erscheinen, funktionieren wir anders als Tageszeitungen oder Wochenmagazine. Die Beiträge können auch noch Tage nach Erscheinen mit Genuss und Gewinn gelesen werden.»
Die Zielsetzung ist im Schweizer Verlagshaus bewusst tief angesetzt. «Wenn der Markt «Cicero» gewisse Sympathien entgegenbringt, ist es mir egal, ob es drei oder fünf Jahre dauert, bis das Produkt Geld abwirft», so Verleger Michael Ringier.
Freie Hand
Verlagsleiter Paff ist über das Credo aus Zürich in zweierlei Hinsicht glücklich: «Erstens verfolgt der Schweizer Verlag in Deutschland mit «Cicero» keine politischen Interessen, und zweitens ist ein politisches Magazin kein ‹leichter› Titel, sondern braucht einen längeren Atem.»
swissinfo, Renat Künzi
Ringier startet in Deutschland mit «Cicero», einem Monats-Magazin für politische Kultur.
Das Magazin trägt den Namen von Marcus Tullius Cicero, einem römischen Staatsmann und Philosophen, der als Begründer der politischen Debatte gilt.
Im Autorenmagazin schreiben Schriftsteller, Publizisten, Politiker und Wirtschaftsführer über zentrale Themen der Gesellschaft.
Mit den essayistisch-hintergründigen Beiträgen will «Cicero» anknüpfen an die «Debatten-Tradition vergangener Zeiten».
Vorbilder von «Cicero» sind der Atlantic Monthly (USA), The Spectator und The Economist(GB), Le Nouvel Observateur (F).
«Cicero» soll Ringier gemäss Schätzungen vorerst knapp über 10 Mio. Euro kosten.
Branchenkenner gehen aber davon aus, dass ein solch ambitioniertes Produkt bis zu 100 Mio. Euro verschlingen könnte.
Vor «Cicero» hatte Ringier bereits dreimal versucht, nach Deutschland zu expandieren, allerdings ohne Erfolg (Illustrierte Zeitung, Beteiligung am Otto Beyer Verlag, diverse Spezialtitel wie «Natur» und «Globo»).
Neben «Cicero» gibt es zwei andere neue oder neu aufgelegte anspruchsvolle Publikationen: Die traditionelle Schweizer Kulturzeitschrift «du» sowie «Monopol», eine neue deutsche Zeitschrift zu bildender Kunst.
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