Claude Nobs oder die Effizienz des Träumers
Zum 39. Mal geht das Montreux Jazz Festival ab dem 1. Juli über die Bühne. Noch immer unter der Ägide seines Gründers Claude Nobs.
Ein Gespräch mit einem Mann, der neben seinen Chef-Aktivitäten immer das Essenzielle zu bewahren wusste: Traum und Leidenschaft.
swissinfo: Herr Nobs, wir stehen kurz vor der 39. Ausgabe des Montreux Jazz Festival. Haben Sie Vorfestival-Symptome?
Claude Nobs: Das ist von Jahr zu Jahr verschieden. Manchmal bin ich ziemlich ruhelos, nervös. Dieses Jahr habe ich mehr Aufgaben delegiert, vielleicht auch wegen der Operation, der ich mich Anfang Januar unterziehen musste. Eine Operation am offenen Herzen, die mich dazu zwang, den Umgang mit meinem Leben neu zu überdenken. Damit will ich nicht sagen, dass ich mich zurückgezogen habe; ganz im Gegenteil, es gab mir die Möglichkeit, andere Dinge zu tun, mich andern Projekten zuzuwenden.
So war ich zum Beispiel vor einigen Wochen in Düsseldorf an einem Anlass zum Kampf gegen Personen-Minen, der unter der Ägide von Paul McCartney stand. Dabei wurde mir bewusst, dass ich mehr von meiner Zeit investieren möchte, um gegen diese Geissel unserer Gesellschaft zu kämpfen.
Dass ich heute gewisse Aufgaben nicht mehr selber an die Hand nehme und dabei dennoch den Musikern nahe bleibe, gibt mir zumindest für dieses Jahr, eine gewisse Abgeklärtheit.
swissinfo: Aus all den Festival-Jahren gibt es auch ein ausserordentlich reiches Bild- und Ton-Archiv. Um diese Sammlung zu verwalten, haben Sie die Marke «Montreux Sounds» ins Leben gerufen. Wie ist das zu verstehen?
C.N.: Es handelt sich um eine kleine Firma, die mir und meinem Partner Thierry Ansalem gehört. Sie wurde schon vor Jahren gegründet und sie hat die Rechte an den Ton- und Bild-Archiven.
Viele Jahre wurden die Bild-Archive nicht genutzt. Jetzt kamen endlich die ersten DVDs mit Montreux-Konzerten auf den Markt; rund 30 in den letzten zwei Jahren. Im Archiv liegen insgesamt ungefähr 3500 Stunden Material, es liegt also noch etliche Arbeit vor uns!
swissinfo: Das Montreux Jazz Festival ist auch ein «Qualitäts-Label», dass Sie nach Montréal, São Paulo, Sapporo, Tokio, Detroit exportiert haben, jüngst nach Singapur und bald auch nach Marrakesch.
C.N.: In Montreux haben wir einen Plafond erreicht, die Kapazitäten an Konzertsälen sind ausgeschöpft, aber auch die Seeufer-Promenade kann nicht noch mehr Publikum aufnehmen. Daher entschieden wir uns, das Label zu vermarkten, so können wir andere Festivals unterstützen – und damit gleichzeitig Werbung für Montreux und die ganze Schweiz machen.
Der Name des Festivals lässt sich gut exportieren; dies gilt auch für die Ausrichtung: Konzerte, die Eintritt kosten, Gratiskonzerte, Workshops mit Musikern, Wettbewerbe, Archivpräsentationen und die Beteiligung lokaler Gruppen. Wir exportieren das gesamte Konzept.
swissinfo: Sie sind von einem jungen Mitarbeiterstab umgeben. Wie sehen diese Leute Ihrer Ansicht nach den ‹big boss› Claude Nobs?
C.N.: Ich glaube, ich bin ein Boss, der ein bisschen untypisch ist. In meinem Büro sind die Türen immer offen, und ich hasse terminierte Sitzungen. Bei mir gibt es nur Sitzungen, wenn es wirklich nötig ist. Hingegen ist es sehr wichtig, dass der interne Informationsfluss gut funktioniert.
Wenn ich eine Schwäche für etwas habe, engagiere ich mich total dafür, aber manchmal kann ich auch fluchen und ganz laut werden…das ist bekannt! Doch meistens verhalte ich mich nicht wie ein autoritärer Chef. Ich bin eher der Kollege, der Copain. Wir verstehen uns sehr gut.
swissinfo: A propos Ihrem Image, Sie haben sich in Begleitung Ihres Freundes vor der Abstimmung im Juni über das Partnerschaftsgesetz für Gleichgeschlechtliche engagiert, man hat es in der Presse sehen können. Wieso haben Sie sich erst jetzt als Homosexueller geoutet?
C.N.: Mein Privatleben war bisher geheim – aber ein Geheimnis, das keines war. Ich habe seit 18 Jahren einen Freund, alle wussten das. Die Abstimmung war für mich nun ganz wichtig. Dieses Gesetz ist für mich total logisch: Keine Heirat, keine Adoption von Kindern, ganz einfach nur gewisse Rechte für gleichgeschlechtliche Paare, die zusammen leben.
Was ich dagegen nicht unterstütze, sind Gay-Paraden. Ich kann mich nicht mit einer Perrücke und mit Stöckelschuhen an einem solchen Umzug vorstellen! Ich glaube, das ist nicht nötig. Man kann ganz normal sein, ein normales Leben führen, eine normale Haltung haben und gleichzeitig seine eigenen sexuellen Präferenzen leben.
swissinfo: In Ihrem Leben hat sich alles verändert – vom jugendlichen Kochlehrling bis zum Chef eines international renommierten Festivals. Gibt es etwas, das bei Ihnen bis heute gleich geblieben ist?
C.N.: Ja, ich bin immer noch ein Träumer und werde es auch bleiben. Ich bin auch immer neugierig geblieben, ein Phantast sogar. Und ich bin naturverbunden. Und dann bin ich einfach geblieben…ich bin kein Cocktail-Typ, kein Party-Freak usw. Ich erhalte zwar tonnenweise Einladungen, aber ich gehe nie hin!
swissinfo-Interview: Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
Das 39. Montreux Jazz Festival dauert vom 1. bis 16. Juli.
Die Konzerte finden an mehreren Orten statt::
Die grossen Auftritte im Auditorium Stravinsky und in der Miles Davis Halle, die spezifischer auf Jazz ausgerichteten Auftritte im Casino Barrière, die Freiluft-Konzerte entlang der Seepromenade,
Parallel zu den Konzerten gibt es wie jedes Jahr Instrumental-Wettbewerbe und Workshops.
Claude Nobs
Geboren 1936 in Territet bei Montreux
Lehre als Koch
Später Buchhalter im Tourismusbüro Montreux
Leidenschaften: Reisen und Musik.
Seine Passion für Jazz und Rythm’n Blues bringt ihn dazu, erste Konzerte zu organisieren.
1967 ruft er das Montrexu Jazz Festival ins Leben.
Dieses öffnet sich bald einmal auch für andere Musikrichtungen wie Pop, Rock, Blues, brasilianische Rhythmen, Reggae, später auch für Rap und Techno.
Seit 1973 ist Nobs auch Direktor der Schweizer Niederlassung der Musikfirma WEA (Warner, Elektra , Atlantic).
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