Darum verschwinden Puschkin-Bücher aus europäischen Bibliotheken
Originalausgaben der Bücher von Alexander Puschkin können einen Wert von mehreren 10'000 Franken erreichen. Mutmasslich auch einer der Gründe, weshalb sich eine Spur Krimineller durch Europa zieht.
Promenade des Bastions in Genf: Zwei Männer entwenden in der Staatsbibliothek vier kostbare Erstausgaben des russischen Nationaldichters Alexander Puschkin. Der Versicherungswert der alten Bücher ist hoch: 173’000 Schweizer Franken. Warum ausgerechnet Puschkin? Die Spur führt nach Russland.
Der Diebstahl vom 31. Oktober 2023 in Genf ist kein Einzelfall: In zahlreichen europäischen Bibliotheken verschwinden seit 2022 kostbare Erstausgaben. Auffällig dabei: Die Diebe haben es auf russische Klassiker abgesehen, vor allem auf Werke des 1837 verstorbenen Dichters Alexander Puschkin.
Europol verhaftet mutmassliche Täter aus Georgien
Die europäische Polizeibehörde Europol Externer Linkverhaftet im April 2024 die mutmassliche Täterschäft des mysteriösen Bücherklaus. In Frankreich, Georgien, Litauen, Lettland und Estland werden zwei Handvoll Georgier festgenommen.
Sie werden verdächtigt, mindestens 170 Bücher im Wert von 2.5 Millionen Euro gestohlen zu haben. Ein Teil der Ware konnte sichergestellt werden.
Bücherklau in Genfer Bibliothek
Die Genfer Staatsanwaltschaft will sich zu den laufenden Ermittlungen nicht äussern. Zum konkreten Fall in Genf schreibt sie SRF: Zwei Personen hätten während mehrerer Tage immer wieder dieselben Bücher zur Ansicht verlangt.
Abends bei der Schliessung habe das Personal dann festgestellt: Die persönlichen Gegenstände der beiden Männer waren noch da, doch die vier Puschkin-Erstausgaben verschwunden. Ebenso weg waren ein Werk in russischer Übersetzung von Johann Hübner und eine russische Übersetzung von Samuel von Puffendorff.
Keine russischen Käufer auf Europas Auktionsmarkt
Der Zürcher Cyril Koller, Geschäftsleiter des Auktionshauses Koller, sagt zu dieser rätselhaften Diebesserie: «Solch gestohlene Ware lässt sich in europäischen Auktionshäusern nicht absetzen. Die Herkunft der Bücher muss in seriösen Auktionshäusern minutiös geprüft werden.»
Zudem habe der Ukraine-Krieg den europäischen Auktionsmarkt grundsätzlich verändert: Die russischen Käufer seien schon seit der Krim-Annexion 2014 weniger geworden, seit dem Krieg in der Ukraine seien sie inexistent.
Putins Galionsfigur des russischen Imperialismus
Auf dem Schwarzmarkt lassen sich mit solchen Werken immense Summen erzielen. Ulrich Schmid, Professor für Osteuropastudien an der Universität St. Gallen, vermutet, dass diese Bücher nicht nur in Russland Absatz finden, sondern allenfalls gar Auftraggeber dahinterstecken.
«In Putins Russland gilt Alexander Puschkin als Symbol für den russischen Imperialismus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Oligarchen versuchen, sich mit solchen Büchern als Kulturträger in einer neuen patriotischen Stimmung zu positionieren», sagt Schmid.
Die Bibliothek in Genf will sich zum Bücherdiebstahl nicht äussern. Auch nicht dazu, ob die Sicherheitsvorkehrungen seit dem Vorfall verstärkt wurden. Gemäss der europäischen Justizbehörde Eurojust soll es bereits in den nächsten Wochen zu Anklagen kommen. Vielleicht löst sich vor Gericht ein Teil des Rätsels rund um den Puschkin-Bücherklau.
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