Das Alphorn im Aufwind
Der Klang des Alphorns lockt immer mehr Musiker unterschiedlichen Könnens in die Berge – und Lungen wie Blasbälge sind dazu keine Voraussetzung. Erlernen kann man das Ganze in der Schweizer Alphornschule auf dem Hornberg bei Gstaad im Berner Oberland.
Fritz Frautschi, der die Schule vor 16 Jahren gegründet hat, bereitet gerade einen Intensiv-Wochenendkurs auf dem – welch passender Name – Hornberg beim Nobelferienort Gstaad vor.
«Ich glaube, dass das Alphorn immer populärer wird, weil die Leute zurück zur Natur wollen. Und sie schätzen den warmen Klang dieses Instrumentes», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Das Alphorn wurde traditionell von Hirten zur Kommunikation in den Bergtälern verwendet. Frautschi ehrt diese Tradition, indem er draussen lehrt.
Der Hornberg ist einen halbstündigen Fussmarsch von der Bergstation der Horneggli-Gondelbahn entfernt, des nahegelegensten öffentlichen Transportmittels.
Der abgelegene Ort hält indes niemanden vom Besuch der Alphornschule ab. Eine Woche nach dem Intensiv-Wochenendkurs auf dem Hornberg wird ein einwöchiger Sommerworkshop folgen, ebenfalls an einem ländlichen Ort. Beide Kurse sind ausgebucht.
Um 10 Uhr morgens stehen 16 Schweizerinnen und Schweizer sowie ein Amerikaner auf der Terrasse des Hotels Hornfluh, bei einem Drink vor Beginn der harten Arbeit.
Sie alle nehmen an Frautschis Intensiv-Wochenendkurs teil. Das heisst, sie werden an jedem Tag vier Stunden Unterricht erhalten, ebenso Lektionen über Musiktheorie und Atemtechnik.
Vertrauen
Einige Kursteilnehmer bezeichnen sich selbst als «absolute Greenhorns», die noch nie ein Instrument gespielt haben. Andere sind Berufsmusiker oder haben bei Frautschi bereits Kurse besucht. Viele besitzen ein eigenes Alphorn, wenn nicht, dann leiht ihnen Frautschi eines aus, gegen eine symbolische Gebühr.
In der Lobby des Hotels Hornfluh befindet sich ein Alphorn-Laden. Frautschi lehrt nicht nur das Blasen der Alphörner, er verkauft sie auch. Ausgestellt sind eine schwindelerregende Anzahl von Alphorn-Mundstücken, Alphörnern (Preise zwischen 2000 und 3000 Franken), Alphorn-Tragtaschen und Hunderte von Büchern über Alphornmusik.
Frautschi erklärt den Studierenden, wenn sie etwas kauften, sollten sie das Geld einfach in eine Schachtel auf dem Tisch legen. «Ich vertraue einem Alphornspieler immer», betont er.
Während einem kurzen Informationsmeeting erläutert Frautschi den Studenten das Lernprogramm. Heute werden sie Gruppenlektionen nach Fähigkeiten haben, dann eine Pause zum Mittagessen, danach Lektionen über Atemtechnik und Musiktheorie, schliesslich noch mehr Gruppenlektionen.
Obwohl am Sonntagnachmittag vielleicht ein Konzert geblasen werden könnte, ist das wahre Ziel des Intensiv-Wochenendkurses nicht eine Performance. «Das Wichtigste ist, dass Sie, wenn Sie den Ort hier verlassen und üben, korrekt üben», legt Frautschi den Kursteilnehmenden ans Herz.
«Küssen Sie mehr!»
Die Studierenden werden in drei nach Erfahrung passende Gruppen aufgeteilt. Dann gehen sie nach draussen, wo die Berge ihr Publikum sind.
Während die fortgeschritteneren Studenten ab von Frautschi verteilten Notenblättern zu blasen beginnen, versuchen die Anfänger, aus ihrem drei Meter langen Instrument überhaupt einen Ton herauszubringen.
Nach einer halben Stunde Lektion ist eine Anfängerin derart frustriert, dass sie statt einen Ton zu erzeugen einfach durchs Alphorn singt. Laut Frautschi ist es am schwierigsten zu lernen, wie man das Alphorn bläst. «Man kann den Atem massiv verstärken, die Lippen werden nicht mithalten», sagt er.
Christine Stüssi, Studentin aus Bern, gibt diesen Tipp für Lippen-Ausdauer: «Küsse deinen Partner mehr.»
Viele Alphorn-Studierende klagen über Lippenschmerzen. «Ich habe meine Lippen in einem anderem Kurs verletzt. Ich hoffe, dass ich dies hier jetzt verbessern kann», sagt Ursula Pfister, eine Studentin aus Heimberg.
Waldemar Krupski, ein Student aus Bern, fügt bei: «Man muss vorsichtig sein, nicht zu stark zu blasen.»
Atemkontrolle
Das Alphorn ist schwer zu blasen, weil alle Noten durch den Atem kontrolliert werden. Es gibt keine Modulationen, die gewissen Tonlagen entsprechen.
Benjamin Seale, der zusammen mit Frautschi den Intensiv-Wochenendkurs leitet, sagt, obwohl das Alphorn schwieriger zu spielen sei als die Trompete, sei es dennoch nicht unmöglich: «Wenn es jemand lernen will, dann lernt er es.»
Seale begann vor zwei Jahren, Alphorn zu blasen. Zwei Jahre bei regelmässigem Üben würden den meisten Leuten reichen, um Grundmelodien spielen zu können, beteuert Frautschi.
«Ich bin halb Schweizer und halb Engländer, so fand ich, dass ich das lernen sollte. Es ist einfach cool, auf einem Berg stehend ‹Amazing Grace› zu spielen», schwärmt Seale. Er lebt in der Nähe von Feutersoey, zwischen Gstaad und Gsteig.
Kühe als Publikum
Bevor er Alphorn zu blasen begann, spielte Seale – wie auch Frautschi – Jahre lang ein Blasinstrument. Wenn jemand Instrumente wie Kornett, Tuba oder Posaune kennt, ist das für einen Alphorn-Anfänger von Vorteil.
Der einzige Amerikaner am Intensiv-Wochenendkurs beweist es: Nach lediglich zwei Stunden konnte der Alphorn-Neubekehrte, der früher Trompete spielte, bereits in die Gruppe der Fortgeschrittenen, während alle anderen Anfänger darum kämpften, überhaupt einen Ton aus dem Instrument herauszubringen.
Nach den Morgenlektionen beschliessen einige der Kursteilnehmer, ihre Mittagspause mit dem Instrument zu verbringen, und sie klettern auf den Berg hinauf, um einen «Übungsraum» zu finden. Dabei gibt es ein neues Publikum: die Kühe.
«Kühe lieben den Klang des Alphorns», sagt Frautschi. Sie würden ihn oft umringen, wenn er übe.
Wenige Meter entfernt gelingt einer Anfängerin der erste Ton auf ihrem Alphorn. Sie lacht, als eine Kuh ihren Kopf aus der Stalltüre einer nahe gelegenen Sennhütte streckt und ihren Nacken auf die Pforte legt. Ein einziger Ton, und schon hat die Anfängerin ein Publikum.
12.-15. Aug.: 3. Nordamerikanisches Alphorn-Jahreslager in Salt Lake City, USA.
25. Sept.-2. Okt.: Alphorn-Herbstkurs in Schönried bei Gstaad, Berner Oberland.
Das Signal, der Ruf von Berg zu Berg, die Kommunikation von Alp zu Alp bilden den Ursprung des Jodelns und des Alphornspiels.
Die Liebe zur Natur und zur Heimat sind bis heute zentrale Themen dieser bereits nach den ersten Klängen erkennbaren Alpenmusik.
1827 bezeichnete der Musikwissenschafter Joseph Fétis das Alphorn als «schweizerisches Nationalinstrument».
Gleichzeitig war es mehr oder weniger aus den Alpen verschwunden, wurde aber zunehmend zu einer Touristenattraktion.
Unabhängig von der Förderung des Alphorns durch den Jodlerverband wurde das Instrument seit den 1970er-Jahren in der neuen Musik als Soloinstrument wiederbelebt.
Im Gegensatz zu den wenigen Kompositionen für Alphorn im 19. Jahrhundert begann 1972 mit Jean Daetwylers «Concerto pour cor des alpes et orchestre» eine neue Entwicklung: Das Stück wurde erstmals im Pariser Opernhaus Palais Garnier zur Eröffnung des Schweizer Fremdenverkehrs-Büros in Paris aufgeführt.
Diese Wiederentdeckung des Alphorns führte in der Schweiz zu mehr als 50 Kompositionen für Alphorn in Begleitung mit Orchester, Bläser-Ensemble, Orgel, Klavier und Harfe.
Es folgten Jam-Sessions mit Jazz-Musikern. Berufsmusiker begannen experimentelle Improvisationen mit dem Alphorn zu spielen: Jürg Solothurnmanns Band «Alpine Jazz Herd» und der Jazzmusiker Hans Kennel mit den drei anderen Mitgliedern des «Contemporary Alphorn Orchestra» veränderten das Alphorn in ein Idiophon, ein Instrument, das die Töne durch Eigenschwingung hervorbringt.
Das Alphorn hielt 1977 auch in der Popmusik Einzug, als Pepe Lienhard in seinem Eurovisions-Song «Swiss Lady» dieses Instrument einsetzte.
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)
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