Das Filmfestival, das die Realität übertrifft
Am Montag beginnt in Nyon am Genfersee das Festival Visions du réel. Die Schweiz ist mit nicht weniger als 34 Filmen vertreten.
Zu Gast im malerischen Städtchen ist auch die internationale Filmwelt, mit den Regisseuren Atom Egoyan aus Kanada und dem Franzosen Alain Cavalier.
Grosse Premieren sind Ende Woche angesagt: Am Freitag zeigt Atom Egoyan sein neuestes Werk «Citadel», einen Tag später ist Alain Cavaliers persönliches Journal «Le Filmeur» zu sehen.
Egoyan und Cavalier gehören zu den bescheidenen Stars unter den Regisseuren. Sie kommen im Wissen, dass am Léman nicht der Glamour zählt, sondern die filmischen Entdeckungen, Gespräche und künstlerische Ehrlichkeit.
In Nyon gehts um mehr als Dokumentarfilme, nämlich ums «Cinéma du réel» oder das Kino des Realen, wie Festival-Direktor Jean Perret, immer wieder betont. Denn für ihn ist der Begriff des Dokumentarfilms unpräzise geworden.
Dies Kino des Realen beinhaltet alle verschiedenen Ausdrucksformen, vom Experimentalfilm zur Selbstdarstellung bis zum politischen Film. Bestimmend ist der Blick der Autoren auf die Dinge, die sie sehen.
Altmeister und Junge
Im diesjährigen internationalen Wettbewerb stehen 22 Filme. Darunter «L’image à paroles» des Genfers Michel Favre, ein Porträt über die brasilianische Stadt Sao Paulo in der Tradition der filmischen Essais.
Nicht weniger als 34 der insgesamt 160 zu sehenden Werke stammen aus der Schweiz. Die meisten davon sind Kurzfilme. «Wir sind nicht überrascht, dass sie sowohl von gestanden Autoren stammen als auch von jungen Absolventen von Filmhochschulen, besonders derjenigen in Zürich, Lausanne und Genf», sagte Perret.
Qualität auf der Leinwand
Dies widerspiegle den traditionell hohen Stellenwert des Dokumentarfilms im Schweizer Filmschaffen: Perret charakterisiert ihn als Film von hoher Qualität, geschaffen von unabhängigen Autoren, welche sich exponierten und aussergewöhnliche Blicke auf die Welt zeigten.
Als Beispiel hebt Perret hebt «Kononga» von Christophe Cupelin hervor, in Burkina Faso mit einem Minimalbudget gedreht. Oder «Hokkaido – le chemin de la mer du Nord» von Samantha Granger, die sich auf die Spuren Nicolas Bouviers begab, des Genfer Autors und Fotografen, der 1955/56 neben anderen asiatischen Ländern Japan bereist hatte.
Oder auch «City Walls – My own private Teheran» der in Zürich lebenden Iranerin Afsar Sonia Shafie. «Ein faszinierendes Porträt zweier Frauen, die ihr Leben einem System geopfert haben, das ihnen kaum Platz zur freien Entfaltung bietet», wie Perret sagt.
Grande Dame des Schweizer Films
Am Visions du réel wird dieses Jahr die 76-jährige Westschweizer Regisseurin Jacqueline Veuve geehrt. Die Zuschauer können auf 40 Jahre ihres Schaffens zurückblicken, in dessen Zentrum Humanismus und Feminismus stehen.
Bekannt ist Nyon auch als Plattform neuer Tendenzen in den Filmgenres. So werden in «Der Kick» die dokumentarische und die fiktionalen Ebene vermischt. In der deutschen Produktion stellen zwei Schauspieler ein tragisches Ereignis nach, auf das sie in den Spalten der Unfälle und Verbrechen gestossen waren.
swissinfo, Pierre-François Besson
Die 12. Auflage von Visions du réel in Nyon dauert vom 24. bis 30. April.
Das Filmfestival wird am Montag von Kulturminister Pascal Couchepin eröffnet.
Die 160 Filme stammen aus 38 Ländern.
Am internationalen Wettbewerb nehmen 22 Filme teil.
Das Programm ist in neun Themenbereiche unterteilt.
Neben den Filmvorführungen gibt es auch Diskussionen.
Visions du réel ist das wichtigste Filmfestival in der Westschweiz und nach Locarno und Solothurn die Nummer 3 im ganzen Land. Letztes Jahr kamen 25’000 Filmfreundinnen und –freunde nach Nyon.
Erstmals wurde es 1969 durchgeführt. Die jetzige Form datiert aus dem Jahr 1995. Das Festival verfügt über einen hervorragenden internationalen Ruf.
Das Budget beträgt 1,8 Mio. Franken, was eine Steigerung von 25% gegenüber dem Vorjahr bedeutet.
Erstmals wird das Festival dieses Jahr von der Europäischen Union unterstützt.
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