Das Geschäft mit der ewigen Ruhe
Er kennt weder eine geregelte Nachtruhe noch die Fünftagewoche. Für seine Kunden ist er rund um die Uhr erreichbar. Denn Ali Furat aus Zürich hat es mit einem unberechenbaren "Geschäftspartner" zu tun: Er repatriiert verstorbene Muslime in deren Heimat.
Die Bestattungsfirma Furat International Repatriation liegt in einem anonymen Block im Industriequartier von Regensdorf bei Zürich. Der grosse Büroraum ist abgedunkelt und wirkt kahl. Auf einem Gestell stehen säuberlich Ordner aufgereiht, welche die Rückführungen verstorbener Menschen dokumentieren. Pro Jahr sind es etwa 400 Fälle.
Darüber eine riesige Weltkarte. Farbige Stecknadeln markieren Orte wie Athen, Lima, Antalya. Überall dort hat Furats Firma Partner. In den 12 Jahren seit der Gründung ist sein Geschäft dank Mund-zu-Mund-Propaganda jedoch so stark gewachsen, dass er mit dem Markieren aufgehört hat. Mittlerweile erstreckt sich sein Netz über alle Kontinente.
Hochsaison
Zur Zeit beginnt für Ali Furat die Hochsaison, denn im Herbst und Winter wird häufiger gestorben. «Viele alte und kranke Menschen haben wenig Kraft und überleben den Winter nicht. Zudem sind diese Monate für viele eine düstere und hoffnungslose Zeit», sagt der 47-jährige, gebürtige Türke, der seit 21 Jahren mit einer Schweizerin verheiratet ist.
Vor Jahren, als er dem Vorstand eines Sterbefonds für Türken angehörte, wurde er immer häufiger auch von Muslimen anderer Nationalitäten zu Rate gezogen. Er half ihnen im Umgang mit den Behörden bei einem Todesfall in der Familie.
So entstand 1997 sein Geschäft. «Eigentlich bin ich in dieses Metier hineingerutscht und sehe nicht, wie ich da wieder rauskomme», sagt Furat, der seinen Job trotz der unregelmässigen Arbeitszeit und grossen Belastung gerne macht.
«Es gibt mir eine gewisse Befriedigung, wenn ich Menschen in schwierigen Stunden helfen kann. Verliert eine Frau zum Beispiel mitten in der Nacht ihren Mann, kommt zuerst die Trauer, dann folgen Stress und Panik. Was ist zu tun, um den Leichnam in ein abgelegenes Dorf in Anatolien zu bringen?»
Hier kann Furat, der Türkisch, Englisch, Deutsch und etwas Arabisch spricht, mit seinen vier Mitarbeitern helfen. Seine Firma übernimmt die rituelle Waschung und Einkleidung des Leichnams und erledigt alle Formalitäten rund um die Rückführung des Verstorbenen. «In solchen Situationen sind die Menschen überfordert, für uns ist es tägliche Routine.»
Nicht nur Muslime
Furat repatriiert aus allen Teilen der Schweiz verstorbene Muslime in ihre Heimat, aber nicht nur: «Wir haben auch schon einen Juden in die Türkei, eine Mormonin nach Spanien oder letzte Woche einen Katholiken nach Kosovo überführt.» Sie seien zwar auf Muslime spezialisiert, ausgeschlossen werde aber niemand, betont Ali Furat.
Die Regensburger Firma organisiert auch die letzte Reise für im Ausland verstorbene Schweizer und Schweizerinnen. Hier arbeitet Furat eng mit den Versicherungen, dem EDA und den Vertretungen vor Ort zusammen. «Rückführungen in die Schweiz haben wir mehr im Sommer, während der Ferienzeit.»
Die grosse Leere
Trotz der Routine und der beruflichen Distanz, die er sich über all die Jahre zugelegt hat, macht Furat die Trauer zu schaffen, die seine Arbeit mit sich bringt: «Ich mache einen traurigen Job. Für die einen ist der Tod das Ende, nichts bleibt übrig. Andere glauben an ein Wiedersehen nach dem Tod. Aber wir wissen nicht, was kommt.»
Besonders berührt ihn, wenn alte Menschen, die eine Ewigkeit zusammen waren, ihren Partner, ihre Partnerin verlieren. «Man sieht bei ihnen zu Hause die Hochzeitsfotos, auf denen sie jung und glücklich waren, dann verbringen sie ein ganzes langes Leben miteinander. Stirbt der eine plötzlich, ist der andere verlassen und verloren, das zu sehen, macht mich traurig.»
Auch Trauer geht vorbei
Das Schlimmste für ihn ist aber, wenn eine Mutter ihr Kind verliert, wie alt auch immer es ist. Nie mehr vergessen könne er eine Szene im Berner Inselspital, wo ein Mann im Alter von 72 verstarb. Am Totenbett eine uralte Frau, die seinen Kopf streichelte und ununterbrochen redete und weinte. «Die Frau, 94-jährig, hatte ihren Sohn verloren.»
Trotz der Routine könne er sich an solche Momente nicht gewöhnen und gehe ihnen wenn immer möglich aus dem Weg. «Dafür bräuchte ich ein Herz aus Stein.»
Und trotzdem: So wie er den Tod akzeptiere, gehörten Trauer und Verlust zum menschlichen Leben, und diese Gefühle gingen mit der Zeit auch wieder vorbei, ist Furat überzeugt.
«Ich bleibe in Zürich»
Laut Furat wollen die Menschen mehrheitlich dort begraben werden, wo ihre Familie lebt und sie ihre Kindheit verbracht haben. Er kenne viele Türken, die in den 1960er-Jahren als Arbeiter herkamen und den Wunsch haben, in ihrer Heimat beigesetzt zu werden.
Er selber wolle aber hier begraben werden, in Zürich-Witikon, im muslemischen Sektor des Friedhofs. Seine Frau und seine beiden Kinder lebten in der Schweiz. «Den Schmerz und die Trauer will ich nicht zu meiner Familie in die Türkei tragen.»
swissinfo, Gaby Ochsenbein, Regensdorf
Schritte nach Eintreten des Todes:
1. Rituelle Waschung. Männer waschen Männer, Frauen waschen Frauen.
2. Der Mann wird in drei Stück weisse Baumwolle gekleidet, die Frau in fünf Lagen.
3. Nach dem Totengebet folgt das Abschiednehmen vom Verstorbenen durch Familie und Freunde. Es ist ein Moment der Vergebung und des Verzichts auf Ansprüche gegenüber dem Toten.
4. Der Islam sieht nur Erdbestattungen vor.
5. Der Leichnam wird wenn möglich ohne Sarg ins Grab gelegt.
6. Der Tote ruht auf der rechten Körperseite mit dem Gesicht nach Mekka gerichtet.
7. Der Tote sollte möglichst rasch beigesetzt werden.
In der Schweiz leben rund 350’000 Muslime.
Das sind knapp 5% der Schweizer Bevölkerung.
Furat International Repatriation, Regensdorf, gegründet 1997, ist die grösste Bestattungsfirma für Muslime.
Daneben gibt es in der Schweiz noch Ahiret Islamic, Islamischer Bestatter, Bellach, gegründet 2005.
Bestattungen liegen in der Kompetenz der Kantone oder Gemeinden.
In der Schweiz gibt es keine muslimischen Friedhöfe, an verschiedenen Orten aber separate Sektoren für muslimische Gräber, Zahl steigend.
In mehreren Städten, so in Zürich und St. Gallen, haben Gesuche von Muslimen nach speziellen gen Mekka ausgerichteten Gräbern zu heftigen Diskussionen geführt.
Im Tod seien alle Menschen gleich zu behandeln, eine unterschiedliche Ausrichtung der Gräber sei zu untersagen, so die Argumentation.
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