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Das Herz beim Film, aber beide Beine auf dem Boden

Max Hubacher in "Der Verdingbub". verdingbub.ch

Jedes Jahr versuchen in der Schweiz Hunderte junger Schauspieler ihr Glück in der Filmbranche. Die Konkurrenz ist hart, Talent und Glück reichen oft nicht für den Durchbruch. swissinfo.ch hat zwei talentierte Jungschauspieler getroffen.

«Die Schauspielerei war für mich Liebe auf den ersten Blick. Schon als kleines Mädchen verzauberten mich die Schauspieler im Theater. Und ich träumte davon, neben ihnen auf der Bühne zu stehen. Ich liebe es, in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen und deren Persönlichkeit auszuloten. Manchmal habe ich das  Gefühl, dass ich mich besser als Schauspielerin ausdrücken kann als im Alltag.»

Marie Leuenberger ist 33 Jahre alt. Sie hat in mehreren Filmen mitgespielt und einen grossen Traum: Sie möchte von der Schauspielkunst leben, in Theatern auf der ganzen Welt auftreten, aber natürlich auch in möglichst vielen Filmen auf der Leinwand erscheinen. «Im Moment komme ich ganz gut zurecht: Ich habe einige Verträge in Deutschland. Und wenn nichts läuft, halte ich mich mit diversen Jobs über Wasser.»

Ihre Filmkarriere begann 2009 mit dem Film «Die Standesbeamtin» vom Deutschschweizer Regisseur Micha Lewinsky. Für ihre Rolle in diesem Spielfilm erhielt sie beim World Film Festival in Montréal den Preis als beste Darstellerin sowie 2010 den Schweizer Filmpreis.

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«Mehr Geld für mutigere Filme»

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Starthilfe durch «Junge Talente»

Wie viele andere junge Schauspieler hat auch Marie Leuenberger im Theater begonnen, um dann – fast per Zufall – im Film zu landen. Ihr Glück war das Projekt Junge Talente, das vor sechs Jahren von den beiden Casting-Experten Corinna Glaus und Susan Müller mit Hilfe des Bundesamtes für Kultur ins Leben gerufen wurde. Jedes Jahr werden im Rahmen dieses Projekts acht junge und unbekannte Schauspieler ausgewählt und einer Reihe von europäischen Produzenten und Regisseuren vorgestellt. So lernte Marie Leuenberger das Team von Micha Lewinsky kennen.

Die Initiative Junge Talente ist einzigartig für die Schweiz. Sie habe geholfen, eine Lücke in der Filmindustrie zu schliessen, sagt Corinna Glaus. «Im Gegensatz zu Ländern wie Dänemark oder Belgien wird in der Schweiz wenig getan, um junge Schauspieltalente zu fördern. Nach dem Studium überlässt man sie praktisch sich selbst. Und häufig schaffen sie es erst ab 30 Jahren, sich einen Namen zu machen.

Zudem ist die Konkurrenz in diesem Business sehr hart. Jedes Jahr schliessen in der Schweiz rund hundert junge Leute eine Berufsschule mit einem Schauspieldiplom ab. Berücksichtigt man noch die diversen Privatschulen oder an Theaterensembles angegliederten Ausbildungen. dürfte die Zahl der Absolventen sogar doppelt bis drei Mal so hoch liegen. Das ist enorm, ist doch die Zahl der Theater- und Filmproduktionen in der Schweiz beschränkt.

Bis vor einigen Jahren hätten Schweizer Regisseure ihre Hauptrollen praktisch nie an junge Schauspieler vergeben, sagt Corinna Glaus. Doch inzwischen seien es häufig gerade die Nachwuchstalente, welche die Stärke von Filmen ausmachten und bei Festivals mit Preisen belohnt würden. Diese Preise wiederum sind unabdingbar, um sich international einen Namen zu machen und so allenfalls neue Aufträge oder Förderbeiträge zu erhalten.

Die 48. Auflage findet vom 24. bis 31. Januar 2013 statt.

Im Wettbewerb»Prix de Soleure” sind sieben Filme nominiert:

– «Der Imker», von Mano Khalil, Dokumentarfilm

– «Forbidden Voices», von Barbara Miller, Dok

– «Rosie», von Marcel Gisler, Langspielfilm

– «Thorberg», von Dieter Fahrer, Dok

– «Tutto parla di te», von Alina Marazzi, Langspielfilm

– «Von heute auf morgen», von Frank Matter, Dok

– «Wir kamen zu helfen», von Thomas Isler, Dok

Plötzlich ein Filmstar

Eines dieser jungen Talente ist Max Hubacher. 2012 gewann er im Alter von nur 19 Jahren den Schweizer Filmpreis für die Interpretation der Hauptrolle im Film «Der Verdingbub» von Markus Imboden. Hubacher wurde auch bei den Filmfestspielen in Berlin als Shooting Star ausgezeichnet.  Diesen Preis erhalten die besten zehn europäischen Nachwuchsschauspieler.

Max Hubacher hat bereits eine eindrückliche Karriere aufzuweisen. Er wuchs mit dem Theater auf; mit 16 Jahren war er erstmals im Kino zu sehen. «Sie suchten junge Schauspieler für den Film «Stationspiraten» von Michael Schaerer. Ich habe mich beworben, auch wenn ich noch nie vor einer Filmkamera  stand. Das war eine enorme Herausforderung. Aber ich habe wirklich Glück gehabt», erzählt Hubacher.

In der Tat gibt es in der Schweiz keine speziellen Filmschauspielschulen. Aber immer mehr Theaterschulen bieten in Zusammenarbeit mit der Filmindustrie spezielle Kurse an. Einige Institute helfen Schauspielern auch beim Ergattern von Aufträgen, generell bei der Karriereplanung und allenfalls dann auch im Umgang mit der Tatsache, ein Filmstar zu sein.

Denn selbst in der kleinen Schweiz, deren Bewohner für ihre Zurückhaltung bekannt sind, kann Berühmtheit zu Problemen führen. «Von einem Tag auf den anderen stehst du im öffentlichen Scheinwerferlicht. Journalisten überhäufen dich mit Fragen. Auf der Strasse sprechen dich wildfremde Leute an und machen dir Komplimente. Sicherlich macht dies Freude, aber es ist gleichzeitig auch ein wenig merkwürdig», erzählt Hubacher bescheiden. «Als ich in die Stadt ging, hatte ich ständig das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich dachte schon, ich sei paranoid.»

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«Projektoren unterwegs»

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Verein Lichtspiel hat eine riesige Menge an Projektoren, Filmen, Dokumenten und Werbematerial vor dem Ruin gerettet, die aus dem Nachlass des 1998 verstorbenen Kinounternehmers und -sammlers Walter A. Ritschard stammen. Die Sammlung war in einer alten Schokoladefabrik am Rande Berns untergebracht. Inmitten des Raums, zwischen verstaubten Projektoren, wurden einem begeisterten Publikum regelmässig Filme vorgeführt.…

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Kino allein reicht nicht

Obwohl die Karriere als Schauspieler sehr schwierig ist, übt dieser Beruf eine ungebrochene Anziehungskraft aus. «Wir erhalten täglich spontane Anfragen von Berufsschauspielern, aber auch von Laien, die in einem Film mitspielen wollen. Doch nur wenige verstehen, wie viel Energie und Willen es für diesen Beruf braucht, in dem Träume, Erfolg und Absturz eng beieinander liegen können.» 

Tatsächlich ist es heute fast unmöglich, nur vom Beruf des Filmschauspielers zu leben. «In der Schweiz erhält ein junger Schauspieler vielleicht 1000 Franken pro Tag. Die Dreharbeiten können zwischen zwei und sieben Tagen dauern. Für eine Hauptrolle können auch mal 20‘000 Franken rausspringen. Und wer schon einen Namen hat, erhält vielleicht 50‘000 Franken», sagt Corinna Glaus.

Da es jedoch schwer sei, mehr als eine Rolle pro Jahr zu ergattern, sei das finanzielle Überleben nicht leicht. Viele Junge müssten andere Jobs annehmen, meist im Theater, manchmal aber auch in der Werbung oder sogar als Animator in einer Bank.

Das Programm «Rencontre» der 48. Solothurner Filmtage ist dem Regisseur Silvio Soldini gewidmet.

Der Mailänder mit Tessiner Wurzeln gilt seit seinem Spielfilm Pane e tulipani (2000) mit dem Schauspieler Bruno Ganz als Grossmeister des italienischsprachigen Kinos.

In Solothurn wird es zudem ein Podiumsgespräch mit Nachwuchsschauspielern geben (in Zusammenarbeit mit dem Projekt «Junge Talente»  und der «Stiftung FOCAL: Weiterbildung Film und Audiovision».

Die Schauspielerin Marie Leuenberger wird zudem für ihre Rolle in der TV-Serie «Hunkeler und die Augen des Ödipus» mit dem Fernsehfilmpreis ausgezeichnet.

Lust am Spiel, nicht an Starruhm

Marie Leuenberger und Max Hubacher lassen sich von diesen Perspektiven nicht entmutigen. «Nach meiner Matura will ich jetzt in Deutschland am Theater studieren. Ich mache zurzeit die Aufnahmeprüfungen», sagt der junge Berner Hubacher. In Bezug auf weitere Engagements für Filmrollen hält er sich bedeckt.

Träumt er von Hollywood? «Natürlich bleibt Hollywood immer ein grosser Traum. Aber dieser wird wohl kaum wahr werden. Ich muss aber sagen, dass meine Erfahrung in der Schweiz bisher sehr gut war. Das hat mir viel gegeben. Mein Ziel ist der Auftritt als Schauspieler: Das ‚wo‘ ist nicht so wichtig wie das ‚wie‘.»

Marie Leuenberger denkt gleich. «Ich möchte bei Filmen mitspielen, die mich begeistern. Berühmtheit ist mir nicht wichtig. Europa kann mir in dieser Hinsicht vielleicht das grössere Geschenk machen als Amerika.»

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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