«Das iranische Volk sollte ohne Helden leben können»
Das iranische Regime negiert ihre Kunst. Die Zensur hat sie ins Exil getrieben. Am Filmfestival von Freiburg gab die Regisseurin Mania Akbari einen intimen Einblick in die iranische Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne. Ein Interview.
In Iran einen Film zu drehen, braucht viel Mut, Ausdauer und vielleicht auch ein bisschen List, wenn man das Regime herausfordert. Mania Akbari, die schon mehrmals fast im Gefängnis landete, weiss das sehr gut.
Die in Teheran geborene und aufgewachsene 38-jährige Regisseurin verliess ihre Heimat im Herbst 2011 und begab sich nach London. «Es war keine Flucht», sagt sie, «sondern ein Akt der Ehrlichkeit gegenüber mir selbst und meinem Volk. Ich werde erst nach Iran zurückkehren, wenn es dort eine wirkliche Veränderung gegeben hat.» Eine Begegnung mit einer Antiheldin.
swissinfo.ch: Wie wird man zu einer engagierten Künstlerin in einem Regime wie jenem in Iran?
Mania Akbari: Ich bin in einer akademischen Familie aufgewachsen. Meine Eltern waren beide Naturwissenschafter, unsere Wohnung war voller Bücher über die Struktur der Atome. Ihre Vision der Kultur beschränkte sich auf ein paar persische Dichter wie Hafiz. Über Film und Malerei gar nichts.
Meine Mutter und mein Vater fragten sich oft, wie ich ihre Tochter sein konnte (lacht). Sie haben lange versucht, mich zu ändern, aber es gelang ihnen nicht…im Gegenteil. Heute sind sie die ersten, die Kunstausstellungen besuchen, und meine Mutter, die Schwierigkeiten mit meiner ersten Scheidung hatte, rät heute unseren Freundinnen, ihre Männer zu verlassen, wenn sie nicht glücklich sind.
Zu Beginn war es nicht leicht. Während des Krieges (Irak-Iran, Anm.d.Red.) konnte jedes Wort missverstanden, jede Geste denunziert werden. Aber die Kunst ist wie eine Einbahnstrasse, einmal eingebogen kann man nicht mehr zurück. Das Schwierigste in einer Diktatur wie Iran ist, dem Versuch nicht zu erliegen, dem Druck der Zensur nachzugeben und sich so selbst zu verleugnen.
swissinfo.ch: Die Zensur scheint Ihnen gegenüber unerschütterlich gewesen zu sein. Keine Bewilligung weder zur Produktion noch zur Vision der Filme, trotz dem Erfolg an mehreren internationalen Festivals.
M.A.: Ich glaube, dass ich eine der am meisten ausgegrenzten Künstlerinnen der iranischen Gesellschaft bin. Manchmal fühle ich mich so, wie wenn ich auf einer verlassenen, für mich und für meine Kunst geschaffenen Insel gelebt hätte.
Es gibt so viele Dinge, mit denen ich künstlerisch hätte experimentieren wollen. Was ich aber nie zu machen wagte wegen der Einschränkungen des Regimes.
swissinfo.ch: Wie funktioniert die Zensur der iranischen Behörden?
M.A.: Mit viel Schlauheit und Intelligenz. Zuerst erklären sie dir respektvoll, dass der Film aufgrund seines Skriptes nicht genehmigt werden kann. Sie verlangen von dir, einige Sachen zu ändern und es nochmals zu versuchen. Dazwischen vergehen zwei Jahre, vielleicht mehr, und von deiner ursprünglichen Idee bleibt nicht mehr viel übrig.
So beschliesst man halt, den Film in der Klandestinität zu drehen. Dabei hat man Angst, weil man weiss, dass man das Gesetz verletzt. Wenn der Film fertig produziert ist, entscheidest du dich, den Behörden eine DVD-Kopie zu schicken. Du erklärst ihnen, es sei nichts Subversives daran und verlangst die Genehmigung zur Verleihung des Filmes. Bis eine Antwort erfolgt, gehen dann zwei weitere Jahre verloren…
Wenn dein Film, wie in meinem Fall, im Ausland Erfolg hat, rufen sie dich zu sich und gratulieren dir. Aber dann erklären sie dir, immer respektvoll, dass du nicht mit den Medien sprechen darfst. «Denn im Iran würden die Leute das Geflunker, das du erzählst, glauben», unterstreichen sie. «Und wo du auch immer hingehst, musst du das islamische Gesetz respektieren, sonst verbieten wir dir, das Land zu verlassen.»
Dann folgen die Drohungen, die ständigen Kontrollen, die Machtdemonstrationen. So zum Beispiel, wenn du an einer Pressekonferenz bist und ein Foto erhälst, auf dem du ohne Schleier zu sehen bist. So läuft das Zensursystem in Iran.
swissinfo.ch: War Ihr Entscheid auszuwandern die einzig mögliche Lösung?
M.A.: Es war keine Flucht. Ich habe mich in dem Moment entschieden wegzugehen, als ich merkte, dass ich Angst hatte, das auszudrücken, was ich wirklich im Sinn hatte. Für einen Künstler zählt nicht so sehr der Ort, wo er lebt, sondern viel mehr die Gewissheit, in voller Freiheit und Ehrlichkeit zu schaffen. Denn die schlimmste Form des Verrats ist die Selbstverleugnung.
Während der Aufnahme meines jüngsten Spielfilms «From Teheran to London» wurden viele Künstler inhaftiert. Ich begann, um mein Leben und meine Seele zu fürchten. Deshalb habe ich vor einem halben Jahr Teheran verlassen und bin nach London gegangen. Und bis sich mein Land nicht der Moderne öffnet, werde ich nicht zurückkehren.
Ich bin mir noch nicht sicher, ob Bleiben grössere Kraft erfordert als Weggehen. Das werde ich erst nach einiger Zeit begreifen.
swissinfo.ch: Wie haben Sie sich gefühlt, als 2009 die jungen Leute auf der Strasse gegen das Regime demonstriert haben?
M.A.: Ich war sehr erfreut, denn diese Proteste waren ein Symbol für eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft, vor allem für die Frauen. Endlich hatten die Leute den Mut gefunden, sich auszudrücken, ihre Angst zu überwinden, und dieses neue Selbstbewusstsein ist ein Prozess, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
Ich bin nicht mit den Demonstranten auf die Strasse gegangen. Ich habe kein grünes Kopftuch getragen. Jeder wählt die Art, die Barrieren zu brechen, für sich selbst. Meine Strasse ist die Kunst. Eine Kunst, welche die besondere Eigenschaft hat, die Gesellschaft und die Tradition abzubilden und der Rebellion ermöglicht, sich auszudrücken.
swissinfo.ch: Im Gegensatz zu Ägypten oder Tunesien scheint in Iran die «grüne Revolution» erloschen zu sein. Ist es dem Regime gelungen, die Stimmen des Protests zum Schweigen zu bringen?
M.A.: Womöglich ist es dem Regime gelungen, die Leute von der Strasse zu vertreiben, aber es wird niemals wieder so sein wie früher. Mit den Protesten im 2009 ist die heroische Aura, die Khamenei umgab, verschwunden, das gleiche gilt für Ahmadinedschad. Das musste früher oder später geschehen.
Am Tag, an dem ich gesehen habe, wie deren Fotos verbrannt wurden, habe ich mir gesagt, dass die Leute jetzt endlich das Ideal eines Helden bekämpfen, das ihnen von Geburt an eingetrichtert wurde. Wenn es den Leuten gelingen wird, ohne Helden leben zu können, dann wird es endlich eine Wende geben, eine kollektive Selbstbesinnung.
Aber im Grunde genommen ist das grösste Problem, dass die Leute meinen, sie brauchten die Religion, um zu leben und glücklich zu sein. Ich respektiere diese Wahl, aber man muss sich bewusst sein, dass das Ergebnis nicht immer positiv ist. Iran war noch nie fähig, Staat und Religion zu trennen. Die Machthaber haben den Glauben ausgenutzt, um ihre Ideen voranzutreiben, um ihre Interessen zu verteidigen.
swissinfo.ch: Sie sprechen von einem Punkt ohne Wiederkehr. Und dennoch kann der kürzlich errungene Sieg der Konservativen in den Parlamentswahlen als schmerzliche Niederlage für die grüne Jugend erachtet werden.
M. A.: Nein. Es ging um Wahlen zwischen Khamenei und Ahmadinedschad, was nichts mit der Revolte von 2009 zu tun hat.
Was aber stimmt, ist, dass während der Demonstrationen das Regime, das auf die Jugend losging, von vielen Leuten auf dem Land unterstützt wurde. In den vergangenen Jahrzehnten ging die Regierung intelligent vor und benutzte die Religion, um die Bevölkerung noch abhängiger von Traditionen zu machen.
Und um alte Gewohnheiten zu ändern, braucht es nicht nur viel Zeit, sondern vor allem auch Mut.
1974 in Teheran geboren, beginnt Mania Akbari ihre Künstlerlaufbahn Anfang der 90er-Jahre als Malerin.
Darauf verschreibt sie sich dem Film. Zuerst als Schauspielerin in «Zehn» von Abbas Kiarostami. Ein Porträt über Frauen aus dem Jahr 2002, der am Festival in Cannes zu sehen war.
Zwischen 2003 und 2005 schreibt und dreht sie sechs «Video-Arts»: «Self», «Repression», «Sin», «Escape», «Fear» und «Devastation».
Ihre Arbeiten sind an verschiedenen Festivals aufgeführt worden, unter anderem auch in Locarno.
2005 produziert sie ihren ersten Spielfilm, «20 Fingers», der an der Mostra del cinema in Venedig in der Kategorie digitales Kino ausgezeichnet wurde.
Drei Jahre später erkrankt sie an Krebs. Mit Kiarostami zusammen dreht sie einen Dokumentarfilm, der schonungslos ihren Kampf gegen die Krankheit zeigt.
«10 + 4» wird an zahlreichen Festivals gezeigt, unter anderem in Cannes und San Sebastian.
Zwischen 2007 und 2010 arbeitet sie als Fotografin.
2011 kommt «One.Two.One» heraus – ein Spielfilm, der in der internationalen Kategorie des Filmfestivals Freiburg gezeigt wird.
Ein Jahr später produziert sie «From Teheran to London» und «In my country men have breasts».
Ali Khamenei: Oberster Führer.
Nach dem Tod von Ayatollah Khomeini 1989 wurde Ali Khamenei, heute 72, zum obersten Führer Irans ernannt.
Innerhalb des theokratischen Systems der islamischen Republik ist er ermächtigt, die Richtung in der Aussenpolitik, in der Armee und im Geheimdienst vorzugeben.
Bei allen heiklen Dossiers, zum Beispiel jenem der atomaren Aufrüstung, hat er das letzte Wort.
Mahmud Ahmadinedschad: Präsident der Republik.
Aus bescheidenen Verhältnissen kommend, begann der heute 55-jährige Bauingenieur seine Karriere im Geheimdienst während den Kurdenkriegen.
2003 wurde er Bürgermeister von Teheran. 2005 wurde er für ein 4-jähriges Mandat als Präsident des Republik gewählt.
2009 wurde er – sehr umstritten – wiedergewählt. 2011 zerstritt er sich mit Ali Khamenei.
Der Präsident ist zuständig für die Wirtschaftspolitik. Er steht dem Obersten Rat der nationalen Sicherheit vor.
Rat der Revolutions-Wächter
Dieser Rat besteht aus 12 Mitgliedern: 6 Vertreter der Religion und 6 islamische Rechtsgelehrte. Der Rat wacht über die Verfassungsmässigkeit der vom Parlament verabschiedeten Gesetze.
Diese Wächter wählen unter anderem auch die Kandidaten für die Präsidentschaft.
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)
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