Das Video-Format wird erwachsen
Video gewinnt bei der Filmproduktion immer mehr an Bedeutung, nicht zuletzt dank einfacher Handhabung und der Nachbearbeitung auf dem Computer.
Seit zehn Jahren veranstaltet das Filmfestival von Locarno einen Video-Wettbewerb. Vielleicht schafft das Format bald den Sprung in den grossen Wettbewerb.
Tiziana Finzi ist viel auf Achse: Für den Video-Wettbewerb reist sie rund um die Welt und am Filmfestival in Locarno ist sie ebenfalls immer in Bewegung. Eben noch musste sie einer fehlenden Filmkopie nachrennen, doch nun findet sie kurz Zeit für ein Gespräch.
Finzi ist die Botschafterin des Video-Formats, das vor zehn Jahren einen eigenen Wettbewerb erhalten hat. Ob Dokumentarfilm, Fiktion, klassischer oder experimenteller Film: Heute wird vieles auf Video gedreht oder produziert.
Qualität auf Film-Niveau
Die Bedeutung und Qualität der Videoproduktionen habe sich in den letzten Jahren stetig gesteigert, sagt die Verantwortliche für den Video-Wettbewerb gegenüber swissinfo.
«Heute können wir im Kino einen Film sehen, der auf Video gedreht und geschnitten und erst danach auf 35mm-Film kopiert wurde. Und wir spüren und sehen keinen Unterschied.»
Die Entwicklungen der Technik und die Möglichkeit des Filmschnitts auf dem Computer könnten heute vielen den Einstieg ins Filmgeschäft erleichtern. «Seit rund zehn Jahren wurde Video zu einer guten Wahl und Möglichkeit, Kino etwas anders zu machen.»
Günstige Produktion
Hauptsächlich unabhängige Filmemacher mit knappen Budgets hätten es dank Video heute einfacher. Bereits eine kleine Crew von zwei Leuten könne heute einen Video-Film drehen. «Mit Video sind sowohl Vorproduktion wie auch Dreharbeiten und Schnitt sehr einfach.»
Zum zehnjährigen Jubiläum des Wettbewerbs werden in Locarno die 11 Siegerfilme nochmals gezeigt. Darin könne man die Entwicklung gut sehen und nachfühlen, erklärt Tiziana Finzi und nennt gleich ein Beispiel.
«Vor zehn Jahren gewann ein sehr experimenteller Film von Alexander Sokurov, der in 327 Minuten eine Geschichte erzählte. So etwas ist nur mit Video möglich.»
Grosse Bandbreite
Im Wettbewerb sind dieses Jahr 23 Filme aus 20 Ländern. Sie umfassen die gesamte Bandbreite an Trends und Tendenzen des zeitgenössischen Videoschaffens. «Ich habe mit meinen Leuten rund 500 Video-Filme gesichtet. Es war hart», meint Finzi lachend.
Das Festival habe dieses Jahr grosses Glück gehabt: «Durch unsere Kontakte haben wir viele gute Filme erhalten.» Zahlreiche Regisseure würden das Buschtelefon der Independent-Szene benutzen und ihren Kollegen von Locarno erzählen. «Für uns ist das eine der wichtigsten Arten der Kommunikation.»
Bilanz nach 10 Jahren
Neben der Qualitätssteigerung durch die neuen Technologien hat Finzi in diesen zehn Jahren noch eine weitere Veränderung festgestellt. Video wurde immer wichtiger für die zeitgenössische Kunst: «In den letzten paar Jahren habe ich einen grossen Teil meiner Nachforschungen in Galerien und Museen gemacht.»
Ausserdem würden immer mehr bekannte Regisseure bewusst mit Video arbeiten, auch wenn sie durch ihren Namen einfach zu Geld und Produktionsfirma kommen könnten.
Und auch beim Publikum komme Video immer besser an. Der Vorführsaal «Palavideo» hat 300 Sitze. Er ist heute fast immer voll.
«Vor zehn Jahren haben wir vorsichtig und ganz klein angefangen. Nun denke ich, es wäre der richtige Zeitpunkt, in die ‹Sala› zu zügeln», wünscht sich Finzi. Diese fasst rund 1000 Zuschauer.
Bald im offiziellen Wettbewerb?
Bei den schwindenden Gegensätzen zwischen den Formaten Video und Film hofft Finzi, dass in Zukunft nicht mehr ein grosser Unterschied gemacht wird zwischen Film, Video, Dokumentarfilm und Fiktion. Bereits hätten einige kleinere Filmfestivals Video-Produktionen in den Hauptwettbewerb aufgenommen.
Sie möchte, dass mit den neuen Möglichkeiten auch der Blickwinkel des Festivals auf 360 Grad geöffnet wird. «Zeitgenössisches Kino sollte der Fokus sein. Ich denke, das ist die Zukunft des Filmfestivals.»
Und daher habe auch das Video-Format eine Berechtigung, im wichtigen Hauptwettbewerb auftreten zu können. Denn: «Wenn wir den zeitgenössischen Film fördern wollen, müssen wir den Wettbewerb für alle Arten von Formaten öffnen.»
swissinfo, Christian Raaflaub, Locarno
Der Video-Wettbewerb am Filmfestival Locarno feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen.
Die wichtigste Entwicklung während dieser Zeit liegt laut der Koordinatorin des Wettbewerbs auf der technischen Ebene.
Durch die qualitative Annäherung zum Film wünscht sie sich in Zukunft eine Öffnung des Hauptwettbewerbs auch für Video-Produktionen.
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