Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Martin Suter – Erfolgsautor als Zaungast seines Werks

Martin Suter und André Schäfer in Locarno
Der Schriftsteller Martin Suter (links) mit dem Regisseur André Schäfer bei der Premiere des Films am Filmfestival in Locarno im August 2022. © Locarno Film Festival / Ti-press / Samuel Golay

Der deutsche Filmemacher André Schäfer widmet dem Schweizer Schriftsteller Martin Suter einen ungewöhnlichen Film, der mit den Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion spielt. swissinfo.ch hat anlässlich der Weltpremiere des Films in Locarno mit dem Regisseur gesprochen.

Martin Suter hat spät mit dem Schreiben begonnen. Er arbeitete lange Jahre erfolgreich als Werbetexter und war fast 50 Jahre alt, als er seinen ersten Roman “Small World” veröffentlichte.

Der wurde zum Verkaufsschlager, wie auch viele seiner Bücher, die darauf folgten. So beliebt Suter bei der Leserschaft ist, so kritisch zeigen sich Literaturkritiker:innen.

Im Film “Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit” des deutschen Regisseurs André Schäfer hat er jedoch einen Bewunderer gefunden. Dieser widmet dem Schweizer Bestseller-Autor einen vielschichtigen Dokumentarfilm, in dem Figuren aus Suters Romanen zum Leben erweckt werden und der Autor selbst die Hauptrolle seines eigenen Lebens verkörpert.

Suter meinte trocken zu swissinfo.ch, er habe sich aus einer “Mischung aus Neugierde und Eitelkeit” entschlossen, dabei mitzumachen. “Meist reicht ein Leben nicht, um sich selbst kennenzulernen. Deswegen ist es immer interessant, sich mit den Augen von anderen zu sehen.”

Der Film feierte seine Weltpremiere am Filmfestival in Locarno und kommt nun in der Schweiz wie auch in Deutschland, wo Suter eine treue Leserschaft besitzt, in die Kinos. swissinfo.ch traf den Regisseur zum Gespräch.

Externer Inhalt

swissinfo.ch: Wie kamen Sie darauf, einen Film über Martin Suter zu realisieren?

André Schäfer: Suter schreibt kurze Sätze, keine von zweieinhalb Seiten Länge, seine Bücher sind sehr plastisch, sehr filmisch geschrieben: Das sind quasi Drehbücher. Seine einfache, schnelle, lustige, manchmal auch melancholische Sprache gefällt mir als Filmer sehr.

Wie haben Sie das Konzept des Films entwickelt?

Ich wollte Kostproben der Bücher geben. Mir kam die Idee, Szenen aus den Geschichten zu inszenieren: Während man die Handlung inszeniert sieht, sollte eine Stimme aus dem Off die Zitate aus Suters Büchern vorlesen und diese so kommentieren. Suter selbst sollte in den Szenen als Zaungast sichtbar daneben stehen und zuschauen, was aus dem wird, was er geschrieben hat.

Wie haben Sie Suter in den Film einbezogen?

Ich wollte anfänglich einfach, dass Suter wusste, was ich vorhatte. Für so ein Projekt braucht man Vertrauen zueinander. Dass er sich dann so viel Zeit für uns nimmt und sich so öffnet, davon bin ich nicht ausgegangen.

Ich hatte viele Interviews mit ihm gelesen, und er legt es sich schon stark zurecht, was er preisgibt. Er sieht ja auch recht steif aus. Doch es hat Spass gemacht, mit ihm zu arbeiten, ich habe ihn überhaupt nicht als reserviert kennengelernt. Ich mag seine ironische Art.

Suters Literatur wird nicht von allen so gelobt wie von Ihnen. Wie haben Sie den Literaturkritiker ausgewählt, der zu Wort kommt?

Ich wollte nicht irgendwelche Passantinnen und Passanten auf der Bahnhofstrasse zu Suter befragen, wollte aber auch niemanden im Film sagen lassen, Suter könne nicht schreiben. Mein Film ist ja auch eine Hommage an seine Bücher.

Roman Bucheli, der für die Neue Zürcher Zeitung schreibt, hat eine genügend ambivalente Haltung. Er verglich Suters Bücher mit einem Hamburger: Sie machten einen hungrig, man wisse genau, was man kriegt, dann seien sie aber dann auch schnell wieder weg.

Das Gespräch mit Bucheli dauerte zwei Stunden. Am Ende sagte er, dass er gar nicht vermutet hätte, dass man über Suter so lange reden könne. Das fand ich schön.

Sie haben gleich auf Hochdeutsch gedreht. War das von Anfang so geplant?

Zum einen war das, weil seine Bücher auf Hochdeutsch geschrieben sind. Zum anderen hat Suter mit mir während des Projekts Hochdeutsch gesprochen, und deswegen ist es so geblieben. Ich glaube, ich wäre nicht so nahe an ihn herangekommen, wenn er Schweizerdeutsch gesprochen hätte. Dafür verstehe ich die Sprache zu wenig.

Auch Suters Schweizer-Sein ist kaum ein Thema.

Ich wollte den universellen Schriftsteller zeigen, der nicht auf ein Land fokussiert ist und der international schreibt. Ich hätte Suters Weltläufigkeit und Multikulturalität gerne mehr ausgebaut. Wir sollten beispielsweise den französischen Autor Philippe Dijan treffen. Suter und er kennen sich gut und sind über den Schweizer Sänger Stephan Eicher verbunden.

Suter schreibt für Eicher die deutschsprachigen Lieder und Dijan die französischsprachigen. Bei einem Treffen mit Dijan hätten sie Französisch gesprochen. Ich wäre mit ihm auch gerne nach Guatemala gereist, wo er regelmässig lebt und schreibt, doch das war während zwei Jahre Pandemie nicht möglich. Wir sind schliesslich nur in Marrakesch gewesen.

MAnn tippt auf einer alten Schreibmaschine
Szene aus “Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit”. Im Film besucht der Schriftsteller Orte seiner Vergangenheit und die Schauplätze einiger seiner Romane. ©dcm Film Distribution

Der Titel des Films hat einen ironischen Einschlag, den man auch in Suters Art widerspiegelt sieht.

Ich mag den Titel sehr. Er stammt von aus einer Szene, die wir relativ am Ende gedreht haben. Wir standen vor diesem Garagentor, und ich erinnerte mich daran, dass die Produktionsfirma meinte, wir bräuchten noch ein Aufmacherzitat für den Film. Das habe ich Suter gesagt, und nach kurzem Überlegen kam er mit diesem Satz.

Hat er nun die Wahrheit gesagt oder nicht?

Ich denke schon, dass er die Wahrheit gesagt hat (lacht). Man stellt sich die Leute natürlich irgendwie vor, wenn man ihre Bücher liest. Meine Wahrheit ist eine subjektive Wahrheit, seine Wahrheit ist auch eine subjektive Wahrheit.

Hat sich Ihre Wahrnehmung der Bücher durch die Arbeit am Film geändert?

Wenn ich jetzt Martin Suter lese, klingt es irgendwie anders, wenn ich lese. Es gab ein paar Bücher, die erst danach geschrieben worden sind, die habe ich ganz anders gelesen. Ich habe mir nicht das Tempo seiner Sprache angeeignet, aber ich habe einen anderen Blick. Ich bilde mir ein, dass ich weiss, wieso er das oder das so schreibt, weil ich ihn sehr gut kennengelernt habe.

Editiert von David Eugster

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft