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Der Ballonfahrer und sein Bilderspektakel

Kapitän Spelterini vor dem Start zum vierten Alpenflug am Eigergletscher (1904). Eduard Spelterini

Eduard Spelterini war ein Ballon- und Foto-Pionier: Seine Lichtbildervorträge zu seinen spektakulären Flügen waren in ganz Europa Publikumsmagnete. Um die Jahrhundertwende schrieb der Schweizer Luftfahrtgeschichte: Er überquerte als Erster die Alpen.

«Diese Bilder sind bei weitem das Beste und Sehenswürdigste, was Berlin im Augenblick zu bieten vermag und es sollte niemand versäumen, sich diese Eindrücke von ungeahnter Nachhaltigkeit zu verschaffen!», schrieb der Deutsche Reichsanzeiger über den Lichtbildvortrag des Schweizer Ballon- und Fotopioniers Eduard Spelterini.

Mit seinen Bilderspektakeln lockte der mitreissende Redner, der fliessend Französisch, Englisch und Italienisch sprach, auf seinen Vortragstourneen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa Scharen von Besuchern an.

Zu einer Zeit, als sich nur Gutbetuchte eine Mitfahrt im Ballonkorb und einen Blick von oben auf die Welt leisten konnten, liess Spelterini mit seinen Luftbildern das «Fussvolk» an seinen abenteuerlichen Reisen durch die Lüfte teilnehmen.

Neuer Blick aus Vogelperspektive

Spelterini, der über Wien, London, Bukarest, Athen, Leicester und Neapel hinwegschwebte und dessen Abenteuerlust ihn bis nach Russland, Südafrika und Ägypten führte, wurde als Held gefeiert: Seine Bilder schienen den Menschen wie Botschaften aus einer anderen Welt. Eine Welt, die im Gegensatz zum Industrialisierungsalltag stand.

Spelterini zeigte die Erde aus der bis anhin praktisch unbekannten Vogelperspektive: Auf seinen Lichtbildern verwandelten sich die Städte in abstrakte Muster, wurden Bauten wie das Basler Münster, der Petersdom, die Moschee El-Aschraf oder die Chephren-Pyramide bei Kairo zu Spielzeugklötzchen, verwandelte sich die arabische Wüste in eine geheimnisvolle Kraterlandschaft.

Spelterinis Ballonstarts waren ein Massenspektakel: «Der schöne, grosse Ballon erregte allgemeine Bewunderung, ebenso die Ruhe und Sicherheit, mit welcher Herr Spelterini seine Anordnungen traf», schreibt etwa die Neue Zürcher Zeitung zum Ballonaufstieg 1891 in Zürich, seinem ersten in der Schweiz, bei der laut der Zeitung sich gar auf den Dachzinnen dichte Menschengruppen drängten.

Erste Alpenquerung

Eduard Spelterini war der erste, der den Krater des italienischen Vulkans Vesuv überflog. Seine grösste Pioniertat war jedoch ein anderes risikoreiches Unterfangen: Am 1. Oktober 1898 gelang ihm mit dem Ballon «Wega» die erste Überquerung der Alpen. Er flog von Sitten nach Besançon, wobei er oft auf über 6000 Meter aufstieg.

Während die Schweizer Alpenwelt nach und nach von Touristen und Bergsteigern erklommen wurde, flog der Herr der Lüfte mit seinem Ballon zum Matterhorn oder zur Jungfrau empor, betrachtete die Gipfel praktisch auf Augenhöhe.

Die Aufnahmen, die er auf seinen insgesamt zehn Alpenflügen machte, sind bis heute atemberaubend: Dunkle Bergzacken, um die sich bizarre Wolkenformationen bilden, schneebedeckte Felsmassive, die vor dem sanftblauen Himmel in gleissendem Licht erscheinen, monumentale, zerfurchte Gletschergebilde.

Fliegende Hunde und eine Trapezkünstlerin

Der Schweizer Foto-Pionier begann 1893 – zu einer Zeit, als die Luftfotografie noch in den Kinderschuhen steckte – als Autodidakt aus dem Ballonkorb heraus zu fotografieren. Die Fotoapparate waren gross wie Kisten und die von ihm verwendeten Glasplatten benötigten eine Belichtungszeit von mindestens einer Dreissigstelsekunde – da durften weder der Fotograf noch der Ballon zu stark wackeln.

Der Foto-Pionier, der von seinen Schwarz-Weiss-Aufnahmen aufwändige kolorierte Glas-Dias anfertigen liess, kommt in der Fotogeschichte jedoch praktisch nicht vor: «Übersehen wurde dabei die grosse ästhetische Qualität seiner Bilderfindungen, die heute noch durch ihre Zeitlosigkeit frappieren», schreibt dazu Hilar Stadler, Kunsthistoriker und Leiter des Museums im Bellpark Kriens, im 2010 erschienenen Buch «Eduard Spelterini und das Spektakel der Bilder».

Spelterini verkaufte den Blick aus der Vogelperspektive mehr als Sensation denn als Kunst. Während der Ballonfahrer Jean-Pierre Blanchard, der 1785 als erster den Ärmelkanal überquerte, etwa mit dem Abwurf von Schafen oder Hunden an Fallschirmen für Publicity sorgte, arbeitete Spelterini eine Zeit lang mit der amerikanischen Trapezakrobatin Leona Dare zusammen: Leicht bekleidet vollführte sie unterhalb des Korbes hängend ihre waghalsigen Kunststücke.

Von der Scholle in die Lüfte

Der König der Lüfte, der zahlkräftige Abenteurer, Wissenschafter, Offiziere und auch Graf Zeppelin im Korb mitführte und in den mondänsten Hotels ein- und ausging, stammt aus Bazenheid, einem abgelegenen Bauerndorf im Kanton St. Gallen.

Als er 1877 in Paris, dem damaligen Zentrum für Ballonfahrer, von der Académie d’Aérostation de France das Patent als Ballonführer erhielt, wurde aus dem 1852 als Sohn eines Bierbrauers und Wirts geborenen Eduard Schweizer der «Capitaine Eduard Spelterini».

Wie genau Schweizer alias Spelterini von der bäuerlichen Scholle zur Fliegerei kam ist nicht gesichert. Über seine Jugendjahre sind sich die Biografen uneinig. Die einen schreiben, Spelterini sei in Oberitalien nahe der Schweizer Grenze aufgewachsen, wohin sein Vater ausgewandert sei. Er habe eine Sängerkarriere angestrebt und sich an den Konservatorien von Mailand und Paris ausbilden lassen. Andere wiederum besagen, dass Spelterini seine gesamte Jugend im St. Galler Toggenburg verbracht habe.

Vom Ballonfahrer zum Hühnerbauer

Der Erste Weltkrieg ist in Spelterinis fast 50-jähriger Flugkarriere eine Zäsur: Der Ruhm des Schweizer Ballonpioniers war nach dem Krieg verblasst, der Herr der Lüfte nahm ein tragisches Ende.

1922 trat er noch einige Wochen in einem Vergnügungspark in Kopenhagen auf, wo er wie ein Zirkuspferd mit Besuchern vor einem Ballon posierte. Vier Jahre später fiel der 74-jährige Spelterini während seines letzten Ballonflugs, bei dem er von Zürich aus gestartet war, in Ohnmacht. Die Passagiere schafften nur mit vereinten Kräften eine Notlandung.

Die Luftfahrt entwickelte sich stürmisch weiter: Als Spelterini 1928 das Buch «Über den Wolken» mit einer Auswahl seiner Bilder herausgab, wirkte die einst so weltlich anmutende Ballonfliegerei neben Zeppelinen und Motorflugzeugen plötzlich anachronistisch.

Spelterini zog sich schliesslich mit seiner 35 Jahre jüngeren Frau, die er im Alter von 61 Jahren geheiratet hatte, von der weiten Welt zurück ins kleine österreichische Dorf Zipf bei Vöcklabruck. Dort hielt der verarmte Himmelstürmer fortan Hühner und lebte vom Eierverkauf.

Spelterini starb 1931 im Alter von 79 Jahren – just zu jener Zeit, als die motoriesierte Passagierluftfahrt ihre Anfänge nahm und der hypnotisierende Blick vom Himmel im Westen nach und nach zum Courant normal wurde.

Corinne Buchser, swissinfo.ch

Das Zeppelin Museum in Friedrichshafen zeigt bis zum 29. August die Wechselausstellung «Eduard Spelterini – Fotografien des Ballonpioniers».

Zu sehen sind neben Original- und Neuabzügen von den erhaltenen Glasplatten der Kamera Spelterinis etwa auch ein vom Luftfahrtpionier benutzter Ballonkorb.

Im Rahmen der Ausstellung ist das Buch «Eduard Spelterini und das Spektakel der Bilder» erschienen.

Anlässlich des Jubiläums «100 Jahre Luftfahrt Schweiz» findet am Samstag in Emmen ein Flugmeeting statt.

Zu sehen sind historische und aktuelle Flugzeuge, Fallschirmspringer und Heissluftballone.

1910 fand in der Schweiz der erste Flug eines Motorflugzeuges statt. Im gleichen Jahr wurde in Luzern eine Luftschiffstation eröffnet.

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