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Der Bernerhof, ein Sonderfall am Denkmaltag

Kombination von Neu und Neu: rekonstruierte Stuckatur und Videobeam im grossen Salon des Bernerhofs. swissinfo.ch

Am Denkmaltag geht es um die Verbindung von Alt und Neu. Zum Auftakt des Anlasses wurde jedoch ein Bau präsentiert, in dem Neues vorgibt, alt zu sein.

Im Bernerhof, dem einstigen Nobelhotel und heutigen Bundesratssitz, ist am Mittwoch der nationale Tag des offenen Denkmals eröffnet worden.

Eindrücklich ist es, das Erdgeschoss des Bernerhofs in Bern, wo die offizielle Schweiz fremde Gäste empfängt und sich ihnen in bestem Licht präsentiert.

Auf den ersten Blick ein Bauwerk, das in idealer Weise das Thema des diesjährigen Denkmaltags verkörpert, der sich unter dem Motto «vorher : nachher» dem Bauen im historischen Umfeld widmet.

Erst auf den zweiten Blick stellt sich jedoch ein gewisses Unbehagen ein: Das Neue ist offensichtlich neu, aber ist das Alte auch wirklich alt? Zu glänzend die Täfer-Oberflächen, zu genau die Stuckaturen und zu steril das Raumgefühl.

«Jahrzehnte der Nutzung als Bürogebäude haben von der ursprünglichen Substanz des einstigen Nobelhotels Bernerhof herzlich wenig übrig gelassen», bestätigt Bernhard Furrer, Denkmalpfleger der Stadt Bern, den Eindruck.

Furrer begleitete im letzten Jahr die Totalsanierung des Bernerhofs und musste dabei sehr viele denkmalpflegerische Grundsätze «bewusst» beiseite lassen, wie er gegenüber swissinfo gesteht.

Vorher

Der Bernerhof war ursprünglich das vornehmste Hotel der damals noch jungen Bundesstadt. Jakob Friedrich Studer erbaute ihn 1858 direkt gegenüber dem soeben fertiggestellten «Bundes-Ratshaus», dem heutigen Bundeshaus West.

Mit seinen 123 Zimmern, der Gasbeleuchtung, fliessendem Wasser bis in die obersten Stockwerke – warm und kalt -, einer mit Dampf betriebenen Zentralheizung und Toiletten mit Wasserspülung setzte der Bernerhof einen neuen Standard in der Schweizer Hotelarchitektur.

Bis 1923 galt er den Noblen aus aller Welt als erste Adresse. Nicht nur die Kaiserin von Russland, sondern auch Napoleon III., der König von Siam und Kaiser Willhelm II. logierten im Bernerhof. Dem Bund diente er zudem als Veranstaltungsort für Staatsempfänge und Stände- und Nationalräten als Bleibe während der Sessionen.

Dazwischen

Nach 65 Jahren war das Hotel tief verschuldet und musste den Betrieb schliessen. Das Gebäude wurde für 2,9 Mio. Franken an die Bundesverwaltung verkauft. 1923 zog das Eidgenössische Finanzdepartement in den Bernerhof, wo es heute noch ist.

Aus dem einstigen Nobelhotel wurde Schritt für Schritt ein Bürogebäude, bis in den späten 80er-Jahren kaum mehr etwas an das einst prächtige Interieur des Grandhotels erinnerte.

Nachher

Inzwischen sind die noblen Gäste ins Erdgeschoss des Bernerhofs zurückgekehrt. Der Bund empfängt seine Staatsgäste in den Gesellschaftsräumen des ehemaligen Hotels, die bei der Totalsanierung wieder hergestellt worden sind.

In den oberen fünf Geschossen, die bei dem Umbau den Anforderungen der heutigen Verwaltung angepasst worden sind, befinden sich die Büros der 280 Angestellten des Finanzdepartements und der Sitz des Departementsvorstehers und Bundesrats Hans-Rudolf Merz.

Sonderfall

Wirklich alt sind im Bernerhof nur noch der Leuchtersaal im Erdgeschoss, das Treppenhaus und ein Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung, auf die man bei der letzten Sanierung gestossen ist. Das Übrige ist «eine neu geschaffene historische Umgebung», wie es Furrer nennt.

Vor der Sanierung sei das Gebäude im Innern denkmalpflegerisch gesehen praktisch eine Ruine gewesen. «Die Stuckaturen und Täfer fehlten, sehr viele Wandoberflächen waren völlig barbarisch neu gestaltet worden», so Furrer weiter.

Der Denkmalpflege sei praktisch nichts anderes übrig geblieben, als sehr vieles neu zu machen und zu rekonstruieren. «Nicht zu unserer Freude, aber aus schierer Notwendigkeit.»

Also ein Beispiel für ein misslungenes Miteinander von Alt und Neu? «Nein», meint Furrer, «aber ein extremes Beispiel». «Ein denkmalpflegerischer Sonderfall», findet auch Jürg Schweizer, Denkmalpfleger des Kantons Bern, weil «die Nutzung vorgegeben war und die höchsten Sicherheitsansprüche befriedigt werden mussten.»

Und wieder vorher

Dass der Bernerhof dem Publikum des Denkmaltags als mögliche Lösung beim Bauen im historischen Kontext vorgeführt wird, hält Schweizer trotz Vorbehalten für nachvollziehbar. «Es ist ja klar, dass das Publikum ein gewisses Interesse hat, zu sehen, wo das Steuergeld hingeht und wo die Staatsgäste bewirtet werden.»

Damit spricht er ein Thema an, das in der Öffentlichkeit für Unmut gesorgt hatte. Der Umbau kam den Bund auf 42 Mio. Franken zu stehen und das in einer Zeit, in der er grosse Sparprogramme verabschiedet hatte.

Ob der Preis des Umbaus gerechtfertigt ist, konnte Furrer weder bestätigen noch verneinen. «Tatsache ist, dass heute ein Gebäude vor uns steht, das in den nächsten Jahren sicher keinen grossen Unterhalt brauchen wird, weil alles – wie gesagt – neu gemacht wurde.»

swissinfo, Nicole Aeby in Bern

Der Europäische Tag des Denkmals findet am 10. und 11. September statt.

Er trägt das Motto «vorher : nachher» und ist dem Thema «pflegen, umnutzen, weiterbauen im historischen Kontext» gewidmet.

In der Schweiz finden an rund 100 verschiedenen Orten über 200 Führungen, freie Besichtigungen und Ausstellungen statt.

Die Führungen im Bernerhof, Bundesgasse 3 in Bern, finden am 10. September um 11, 14 und 15 Uhr statt. Die Repräsentationsräume im Parterre können zwischen 10 und 16 Uhr frei besichtigt werden.

Die heutige Denkmalpflege arbeitet nach der Regel «konservieren, statt rekonstruieren».

Beim Umbauen von alten Gebäuden propagiert sie Interventionen, die wieder rückgängig gemacht werden können, ohne die historische Substanz zu verletzen.

Mit diesen Grundsätzen begründete der deutsche Kunsthistoriker Georg Dehio 1905 die moderne Denkmalpflege.

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