Schweizer Landeshymne erhält ein Facelifting
Die Schweiz hat einen neuen Text für die Landeshymne – oder noch nicht? Zwei Jahre nach Beginn eines Wettbewerbs für einen neuen Schweizerpsalm wurde am 12. September 2015 am Eidgenössischen Volksmusikfest der Sieger gekürt. Nun hat die nächste Phase begonnen: das Land zu überzeugen, den neuen Text der Hymne anzunehmen.
Der Wettbewerbs-Gewinner Werner Widmer aus Zürich tastete die Melodie nicht an. Er passte lediglich den 170-jährigen Text des Schweizerpsalms von Alberich Zwyssig der heutigen Zeit an. Bereits in einer frühen Phase des Wettbewerbs hatten die Veranstalter klar gemacht, dass sie jene Versionen bevorzugen würden, die sich so nah wie möglich an der Originalmusik orientierten. Diese ist viel beliebter als der Originaltext.
Auch wenn man nun einen Sieger erkürt habe, «werden wir nicht das Bundeshaus stürmen», sagt Jean-Daniel Gerber, Präsident der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), die den Wettbewerb organisiert hat. Die Organisatoren würden andere Wege bevorzugen, die neue Landeshymne unter die Leute zu bringen, so Gerber. Er denkt dabei etwa an Schulen, Chöre und Sportvereine.
Doch der neue SchweizerpsalmExterner Link braucht auch grünes Licht von der Schweizer Regierung, dem Parlament oder in einer nationalen Abstimmung, denn es gibt keine offizielle Vorgehensweise, was das Ersetzen einer Nationalhymne betrifft.
Für die nächsten Schritte gibt es auch keinen fixen Fahrplan. «Wenn sich einmal eine gewisse Welle ergibt in der Schweizer Bevölkerung – das kann Monate, wenn nicht Jahre dauern – dann ist der Moment gekommen, dass wir ins Parlament gehen oder in den Bundesrat», sagt Gerber.
Der Sieger und sein Text
Während des gesamten zweijährigen Wettbewerbs wurde die Identität von Personen und Gruppen, die neue Hymnen eingereicht hatten, streng unter Verschluss gehalten. Der Sieger wurde in einer Fernsehsendung am 12. September gekürt. SGG-Direktor Lukas Niederberger musste drei Versionen der Pressemitteilung vorbereiten, weil nicht einmal er wusste, welcher der drei Finalisten das Rennen machen würde. Die drei waren in der ersten Jahreshälfte durch ein Online-Voting gekürt worden.
Bis kurz vor der Fernsehsendung konnte die Öffentlichkeit schliesslich den Sieger bestimmen. «Weisses Kreuz auf rotem Grund» heisst die neue Hymne. Getextet hat sie der 62-jährige Werner Widmer aus Zürich, Ökonom, Leiter der Stiftung Diakoniewerke Neumünster und Verwaltungsratspräsident des Kantonsspitals Baselland. Er ist Inhaber eines Lehrdiploms für Musiktheorie des Konservatoriums Bern.
An der Siegerzeremonie nach der TV-Sendung sagte Widmer, seine Motivation zur Teilnahme am Wettbewerb sei der Gedanke gewesen, die Landeshymne brauche einen zeitgemässen Text.
Die Herausforderung, die Werte der Präambel der Bundesverfassung mit der alten Melodie zu verschmelzen, habe ihn gereizt, «um etwas Neues und Vollständiges zu schaffen». «Es war ein sehr kreativer und spielerischer Prozess», sagte er.
Die Tatsache, dass der Wettbewerb auf Werte fokussierte, sei für ihn sehr wichtig gewesen. «Wir sind ein Land von Minderheiten», sagte er. «Im Unterschied zu anderen Ländern haben wir weder eine einzige Sprache noch eine Staatsreligion, die uns eint. Wir haben auch nicht ein Meer um uns herum wie in England. Das bedeutet, dass bei uns die Werte sehr wichtig sind. Ich glaube aber, die geteilten Werte kommen zu kurz. Diese Werte haben uns hierhin gebracht, und sie sollten uns in Zukunft helfen, Probleme gemeinsam zu losen.»
Änderungen willkommen
Bereits nach der Siegerehrung gab es ermutigende Worte von einigen älteren Personen aus dem Publikum der Fernsehsendung, in welcher der Sieger erkoren worden war.
Laut den Wettbewerbsbedingungen musste der Vorschlag in einer der Nationalsprachen eingereicht werden. Die Siegerversion, in der Sendung vorgetragen durch den Schweizer Jugendchor, wurde abwechselnd auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch gesungen.
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Der neue Text
«Die neue Version passt mir», sagte eine Frau. «Ich bin froh, dass diese gewonnen hat.»
Eine weitere Bedingung war, dass die Kompositionen aus einer Melodie bestanden, die «ähnlich» jener der bisherigen Nationalhymne ist. Viele Schweizerinnen und Schweizer sind der Meinung, die Musik sei gut, der Text aber veraltet.
«Ich finde den französischen Text toll. Mir gefällt er sehr gut», sagte eine andere Frau. «Und die alte Melodie bleibt bestehen», freute sich eine weitere.
Ein drittes Kriterium im Wettbewerb war die Bedingung, dass die neue Hymne einfach zu singen ist – nicht nur durch einen Chor, sondern auch von Durchschnittsbürgerinnen und -bürgern.
Ein älterer Mann gab zu: «Ich konnte die alte Hymne schon nicht singen. Und jetzt muss ich eine neue lernen.»
Wird das eine grosse Herausforderung? «Es ist bereits üblich, dass wir am 1. August den Text erhalten», sagte eine der Frauen. «Das wird einfach. Wenn man die Melodie bereits kennt, ist der Text egal. Ich denke, so ist es gut.»
Der Wettbewerb
In der ersten Hälfte 2014 wurden 206 brauchbare Vorschläge eingereicht: 120 auf Deutsch, 69 auf Französisch, 10 auf Rätoromanisch und 7 auf Italienisch.
Eine Jury, bestehend aus 30 Personen, welche die vier Sprachregionen der Schweiz vertreten, prüfte die Eingaben.
Sie wählte daraus 6 Halbfinalisten aus und liess deren Texte in die 3 anderen Schweizer Landessprachen übersetzen.
Mit dem Schweizer Jugendchor wurden von jedem dieser 6 Beiträge je 4 Videos aufgenommen, woraus die Öffentlichkeit von Ende März bis Mitte Mai 2015 ihre Favoriten bestimmen konnte.
Ende Mai wurden 3 Finalisten bekanntgegeben. Die zweite Abstimmungsrunde dauerte von Juni bis September 2015.
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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