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Der Kosovo in der Schweiz, die Schweiz im Kosovo

Der Kosovo und die Schweiz: Eine intensive Beziehung

Lange blieben Kosovar:innen in der Schweiz unsichtbar, in den 1990er-Jahren wurden sie zum rassistischen Klischee gemacht, heute gibt es viele Verbindungen. Über das Zusammenwachsen zweier Länder. 

Einige bezeichnen den Kosovo als 27. KantonExterner Link der Schweiz. Im Kosovo leben 1,8 Millionen, in der Schweiz 250’000 Kosovar:innen. Spätestens seit der tragenden Schweizer Rolle für die Unabhängigkeit des jungen Staats im Jahr 2008 sind die Beziehungen eng. 

Sie gehen ursprünglich zurück auf die Anwerbung von Arbeitskräften im ehemaligen Jugoslawien der 1960er-Jahre. Zwischen 1965 und Mitte der 1970er-Jahre kamen pro Jahr 300 bis 1800 Arbeiter aus den ärmeren Gebieten Jugoslawiens in die Schweiz, viele aus dem Kosovo: Dort soll das Arbeitsamt Leute direkt in die Schweiz verwiesen haben. Meist arbeiteten sie hier auf Bauernhöfen. Oft zog der Vater den Sohn oder den Neffen nach. Ethnolog:innen sprechen von regelrechten «Stammbäumen der Vermittlung». 

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Die geholten Arbeitskräfte hatten nicht vor, ihre Familien nachzuholen. Seit dem osmanischen Reich gingen kosovarische Männer auf die Suche nach einem Einkommen im Ausland. Die «Gurbet», die Arbeit im Ausland, wird bis heute in bitteren Liedern besungen: «Aman, Aman, Deutschland und du, einsame Schweiz, habt mich in meiner Jugend betrogen, was nützt mir all der Reichtum».   

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Der Lohn war für die Grossfamilie im Kosovo gedacht, zu der man wieder zurückkehren wollte. Als sogenannte «Gastarbeiter» hangelten sich die Kosovaren in der Schweiz von Arbeitsbewilligung zu Arbeitsbewilligung. Oft kehrten sie jahrelang oder gar nicht zurück in ihre Heimat. In der Schweiz lebten sie bescheiden, zurückgezogen in ihrer Sparsamkeit, fast unsichtbar. Der «Kosovo» – das war lange nichts als eine Landschaftsbezeichnung. 

Der Kosovo erscheint auf der Landkarte 

1981 revoltierten die Studierenden im Kosovo – zuerst gegen mieses Essen in der Kantine, dann dafür, dass der Kosovo eine unabhängige Teilrepublik im Vielvölkerstaat Jugoslawiens wird, unabhängig von Serbien. 

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Im gleichen Jahr forderten auch 300 Demonstrant:innen in Zürich eine «Republik Kosovo». Sie prangerten die Brutalität an, mit der der jugoslawische Staat gegen ihre Minderheit vorgehe. «Dort, wo ich wohne, kennt mich niemand als Albaner, wir passen sehr auf», meinte damals ein Aktivist in einem Interview in der linken Schweizer Wochenzeitung. Er berichtete von den Repressalien, die sie zu befürchten hätten – von Gefängnis über Folter bis Tod. 

In Europa wurde der Konflikt des Kosovo mit dem Rest Jugoslawiens lange als Hinwendung zum Stalinismus des benachbarten Albaniens betrachtet – so, wie es die jugoslawische Führung darstellte. Dabei hätte sich das Anliegen für Schweizer:innen verständlich runterbrechen lassen. 1984 wird ein Teilnehmer an einer weiteren Kundgebung in einer Schweizer Zeitung zitiert: «Verglichen mit der Schweiz wollen wir einfach einen eigenen Kanton».  

Demonstrationsumzug mit Transparenten, auf denen Republik Kosovo steht
Am 1. Mai 1985 wird in Zürich eine Republik Kosovo gefordert. Gertrud Vogler / Schweizerisches Sozialarchiv

In den 1980er-Jahren stieg die Zahl kosovarischer Asylbewerber:innen in der Schweiz stetig an. Die Zahlen sind nicht genau erfasst, Kosovar:innen tauchen in den Statistiken als Jugoslaw:innen auf. Flüchteten zuerst primär Aktivist:innen, begannen in den späten 1980er-Jahren erste Kosovar:innen in der Schweiz, ihre Familien zu sich zu holen, auch wenn das nie so geplant war. 

Die Situation erschien ihnen als zu aussichtslos für eine baldige Rückkehr: In den späten 1980ern erklärte Slobodan Milošević, der letzte Präsident Jugoslawiens vor dem Bürgerkrieg, den Kosovo zum entscheidenden Schlachtfeld der serbischen Nationsfindung und entriss der Region das Recht auf autonome Verwaltung, das sie seit 1974 hatte. Der Ausnahmezustand wurde ausgerufen und eine Zweiklassengesellschaft errichtet. 

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Die kosovarischen Medien wurden gleichgeschaltet, in den Schulen lehrte man nun nach serbischen Lehrplänen, die albanische Sprache wurde marginalisiert. Man erschwerte Kosovar:innen den Zugang zum  Gesundheitssystem und drängte sie aus der staatlichen Wirtschaft und Verwaltung – was in einem sozialistischen Land  sofortige, anhaltende Arbeitslosigkeit und Armut bedeutete.

Wer weiterarbeiten wollte, musste seine Loyalität zum serbischen Staat erklären, per Unterschrift – kaum jemand brachte das über sich. Massendemonstrationen gegen diese Apartheid-Politik wurden brutal niedergeschlagen. 

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Die UÇK in Schweizer Uniformen 

Die Kosovar:innen gründeten eigene Schulen, Fernsehsender, eine Krankenversorgung. So entstand eine ganze Parallelgesellschaft, stark unterstützt durch Gelder der Diaspora, einbezahlt auf ein Schweizer Nummernkonto. 1991 rief man – einseitig – erstmals den Staat «Kosovo» aus. Jedoch ohne internationale Wirkung. 

Nach den Jugoslawienkriegen beendete das Abkommen von Dayton 1995 den Krieg in Bosnien und Herzegovina. Die Kosovo-Frage wurde darin aber nicht berücksichtigt. Die Loslösung von Serbien rückte in weite Ferne. Lange war der Kampf für einen freien Kosovo gewaltfrei von der «Lidhja demokratike e Kosoves» (LDK) von Ibrahim Rugova getragen worden. 

Doch zunehmend fühlten sich die Kosovar:innen nicht mehr vom pazifistischen Kurs der LDK vertreten, denn die serbische Unterdrückung und die Zweiklassengesellschaft dauerten unvermindert an. Aus der Wut in einem eher ländlichen Milieu bildete sich Mitte der 1990er-Jahre die Ushtria Çlirimtare e Kosovës (UÇK), die sogenannte Befreiungsarmee, heraus.

Zur gleichen Zeit entstand auch der Sammelfonds «Das Heimatland ruft», mit dem die Diaspora unter anderem Geld für Kriegsmaterial sammelte – auch in der Schweiz. Zeitweise soll die UÇK sogar Uniformen der Schweizer Armee getragen haben, die man in Zeughäusern hier gekauft hatte. 

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Unterstützung der UCK von der Schweiz aus

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Mehrere Leute, deren Beziehung zur UCK unklar ist, frequentierten Albaner-Organisationen in der Schweiz, sagte der mazedonische Botschafter in Bern, Alajdin Demiri. Das dort gesammelte Geld schickten sie den Rebellen. Derartige Sammel-Aktionen würden in den Albaner-Organisationen seit Jahren durchgeführt, sagte Wladimir Ralew vom mazedonischen Konsulat in Genf. Vor allem während des Krieges im Kosovo seien diese…

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1998 eskalierte der Konflikt mit Serbien endgültig. Im Frühling 1999 vertrieben serbische Truppen einen Grossteil der Kosovar:innen. Insgesamt starben im Konflikt 1998 und 1999 13’000 Menschen, an die 10’000 davon waren Kosovar:innen, 3000 Serb:innen und Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen.

Von 860’000 Geflüchteten nahmen die Nachbarländer Albanien und Mazedonien 670’000 auf. Über 43’000 stellten einen Asylantrag in die Schweiz. Nur das zehnmal grössere Deutschland nahm mit 53’000 Menschen mehr Asylsuchende aus dem Kosovo auf. Die meisten, die 1999 Asyl beantragt hatten, kehrten nach der militärischen Intervention der NATO, die Serbien von März bis Juni 1999 bombardierte, jedoch zurück. 

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Schweizerdeutsch in Pristina 

Die Kosovar:innen flüchteten in den 1990er-Jahren in eine Schweiz, die in einer Rezession steckte und sich mit dem Abschied von der Ordnung des Kalten Krieges schwer tat. 

Auf der Suche nach neuen Feindbildern profilierte sich insbesondere die rechtskonservative Schweizer Volkspartei (SVP). Bereits 1998 sorgte ein Plakat in Zürich für Aufruhr, auf dem die Partei sich gegen ein Kontaktnetz für Kosovo-Albaner:innen aussprach, gegen eine Massnahme, um die wachsende Gemeinschaft Geflüchteter zu verknüpfen.  

Auf einem Plakat steht Kontaktnetz für Kosovo-Albaner: Nein.
Plakat der Schweizerische Volkspartei, Zürich, Mai 1998. Keystone / Michele Limina

In den 1990er-Jahren war es mit der Unsichtbarkeit der Kosovaren vorbei – sie wurden Teil der politischen Rhetorik, ihnen wurde nachgesagt, sie seien Drogendealer und Messerstecher.

Das Schweizer Bild der kosovarischen Diaspora hat sich in den letzten zwanzig Jahren gebessert: Die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft könnte sich ohne kosovarische Spieler wie Xherdan Shaqiri oder Granit Xhaka wohl kaum regelmässig für die Welt- und Europameisterschaften qualifizieren und alle Parteien versuchen nun, eingebürgerte Kosovar:innen für sich einzunehmen. 

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Laut Zahlen des Bundesamts für Statistik von 2021 sprechen 285’000 Menschen in der Schweiz zuhause albanisch – ein Grossteil davon kommt aus dem Kosovo.

Umgekehrt hört man in Pristina im Sommer sehr viel Schweizerdeutsch, wenn die «Schatzis», wie die deutschsprachigen Diaspora-Kosovar:innen genannt werden, ihre Zweitheimat besuchen. 

Editiert von Mark Livingston.

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