Der neue Zytgloggeturm mitten in Amerika
Anfänglich schien es eine leicht verrückte Idee: Im kleinen Städtchen Berne in Indiana soll ein Zytgloggeturm, inspiriert vom Berner Original, stehen. Am Samstag wurde das neue Wahrzeichen mit einer grossen Feier eingeweiht.
Der Publikumsauflauf, schätzungsweise um die 2500 Menschen von nah und fern, überraschte sogar die Veranstalter. Die Einweihungsfeier fand im Rahmen der Swiss Days statt, mit denen Berne jeweils Ende Juli – auf den 1. August hin – seine Schweizer Wurzeln feiert.
Auf den ersten Blick wirkt der Turm fast ein bisschen surreal, alles überragend, an der Hauptkreuzung der Ost-West- mit der Nord-Südverbindung. Fährt man in der flachen Landschaft auf Berne zu, sieht man die Spitze des Turms bereits einige Kilometer ausserhalb des Städtchens.
Imposante Grösse
Die imposante Grösse war es denn auch, die viele Leute ins Staunen versetzte, als sie den Turm zum ersten Mal sahen. Allgemein herrschte viel Freude, das Bauwerk gefällt. Kritische Stimmen, die es lange Zeit gegeben hatte, waren kaum zu hören.
Mit knapp 49 Metern Höhe ist der Turm nur wenig kleiner als das Original in der Schweizer Hauptstadt. Mit dem allein dastehenden Bauwerk, das alle anderen Gebäude weit überragt, setzt Berne einerseits seiner Gründergeneration ein Denkmal. Man erhofft sich aber auch Impulse für die Zukunft, unter anderem für den Tourismus.
Die Siedler von Münsterberg
Mit dem Namen des Turms, «Munsterberg Clock Tower», wird auf die ersten Siedler hingewiesen, eine Gruppe Mennoniten, die 1852 aus dem Jura-Weiler Münsterberg nach Amerika ausgewandert waren, um ihre Religion ungehindert ausüben zu können. Auch heute noch nehmen Glaube und Religion im Leben der Menschen in Berne einen wichtigen Platz ein.
Der Clock Tower kam aufgrund privater Initiative zustande und wurde mit Spendengeldern erbaut. Die Gemeinde überliess den Initianten das Land – rund 8000 m2 – für den symbolischen Betrag von einem Dollar, wie Bürgermeister John Minch gegenüber swissinfo.ch sagte.
Dem Projekt hatten sechs Gebäude und eine alte Tankstelle weichen müssen, eines der Häuser wurde nicht abgerissen, sondern versetzt.
Innerhalb von rund 5 Jahren waren die Finanzen – rund 3 Millionen Dollar – zusammengekommen. Die meisten Beiträge kamen von Familien und Einzelpersonen. Vor einem Jahr hatten noch 600’000 Franken gefehlt, im Frühling 2010 wurde mit dem Bau begonnen.
Eine weitere Million
Um das ganze Projekt, zu dem neben dem Turm eine Plaza mit Sitzbänken, Wasserfontänen, einem Pavillon und einige weiteren Elementen gehört, zu vollenden, braucht es nochmals eine weitere Million Dollar.
Auch das Innere des Turms ist noch nicht ausgebaut: Geplant ist eine Aussichtsplattform auf etwa 25 Metern Höhe, mit Fenstern nach allen vier Richtungen sowie ein Kleinstmuseum mit historischen Elementen zur Geschichte des Städtchens.
Was der Turm aber wie das Original schon hat, sind ein Uhrwerk und ein Glockenspiel. Es besteht aus 12 Figuren, die am Samstagabend zum ersten Mal ihre Runde drehten. In Zukunft soll das Glockenspiel mittags um 12 und abends um 6 Uhr laufen.
Siedlungsgeschichte
Die 12 Figuren erzählen die Siedlungsgeschichte von Berne, angefangen mit dem Schiff «Hahnemann», mit dem die Siedler 1852 von Le Havre nach New York gesegelt waren. Die Reise war hart gewesen, etliche der Auswanderer, darunter nicht wenige Kinder, überlebten die Strapazen der Fahrt oder den Trek nach Indiana nicht.
Eine weitere Figur stellt den Trek über Land mit dem Pferdewagen dar, danach folgen Szenen aus dem Leben der Bauern, Menschen beim Beten, eine Lehrerin, eine amische Familie, ein Alphornbläser und eine Harmonikaspielerin oder ein Paar beim Tanzen.
Grundwerte der Gründer ehren
Eingraviert auf dem Turm sind zudem acht Grundwerte wie Glaube, Mut, Integrität, harte Arbeit, aber auch Vision und Hoffnung, die nicht nur an die Gründergeneration und deren Wertesystem erinnern, sondern der heutigen und künftigen Generationen in der sich stets ändernden Zeit als konstante Leitplanke im Leben dienen sollen.
Diese Werte standen denn am Samstagabend auch im Zentrum der Reden bei der Einweihungsfeier. Keith Reinhard, ein erfolgreicher Werber und «der berühmteste Sohn von Berne», hatte seine Rede unter den Titel «Bleibende Werte für sich ändernde Zeiten. Das ist es, was man in Berne lernt.» gestellt.
Dabei verwies er auf den Kontrast zwischen der Uhr, die jede Stunde schlägt und für Veränderung steht, und der Beständigkeit der in Stein gemeisselten Werte, die auch heute ihre Gültigkeit hätten.
Segensreiche Enge
Vor der Einweihung erklärte Reinhard, der nach Angaben der Initianten als grösster Sponsor viel zur Realisierung des Projektes beigetragen hatte, im Gespräch mit swissinfo.ch, dass er Berne gleich nach der Schule verlassen habe.
«Ich war etwas rastlos, Berne war mir zu klein, zu konservativ.» Zudem wollte er sich mit Werbung befassen, was er in den 1950er-Jahren in dem Städtchen nicht tun konnte.
«Erst mit der Zeit habe ich gemerkt, wie viele grundlegend wichtige Dinge wie zum Beispiel Arbeitsethik ich in Berne gelernt hatte, die mir in meinem späteren Leben zugute gekommen sind.»
Rita Emch, swissinfo.ch, Berne, Indiana
Beginn der Bauarbeiten Mitte März 2010
Einweihung 31. Juli 2010
Höhe: Knapp 49 Meter
Sockelbreite: 9,75 Meter
Durchmesser Zifferblatt: 5,48 Meter
Länge Uhrzeiger: 4,57m
Glocken: 12; 1000 Melodien
Figuren des Spiels: rund 1,7m hoch
1852 lässt sich eine Gruppe von 70 Mennoniten aus dem Jura in der Gegend nieder.
1871 wird die Gemeinde als Berne registriert. Erstmals fährt ein Zug durch Berne.
Die Eisenbahn-Verbindung bringt neue Einwanderer, zumeist aus der Schweiz und Deutschland. Die wirtschaftliche Entwicklung setzt ein.
Heute leben in Berne rund 4150 Personen. Um das Städtchen herum leben zudem etwa 4000 Amische.
Berne pflegt seine Schweizer Wurzeln. Die Nachfahren der Siedler legen Wert auf die Traditionen der alten Heimat.
Das Schweizer Erbe ist überall präsent, auffällig ist neben den vielen Schweizer Namen und Wappen an Geschäften und Wohnhäusern der Blumenschmuck, Geranien zieren Fensterbänke und Strassenränder.
Von den Schweizer Wurzeln zeugen nicht zuletzt die Familiennamen wie Graber, Habegger, Amstutz, Lehmann, Neuenschwander, Liechty oder Sprunger.
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